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Berliner SzenenAuf der Rolltreppe

Ein Kindheitstraum

Vor mir standen lauter alte Frauen und quatschten

Ich sitze in der S-Bahn und lese auf meinem Handy über Donald Trump. Ostkreuz. Ich muss umsteigen. Ich dränge mich auf die Rolltreppe, ohne damit aufzuhören, auf meinem Handy zu lesen. Ich rolle nach oben und lese. Und dabei wird mir bewusst, dass ich gerade einen Kindheitstraum lebe.

Ich war zwölf und habe nach der Schule auf dem Sofa gelegen und einen Roman gelesen. Meine Mutter kam und sagte: „Gehst du mal zum Bäcker?“

Bäcker gab es in der DDR nicht an jeder Straßenecke. Ich musste einen Kilometer laufen. Ein Kilometer verlorene Lesezeit. Unterwegs träumte ich mich auf ein Förderband. Darauf hätte ich zum Bäcker rollen und dabei meinen Roman weiterlesen können. Vielleicht gibt es ja Förderbänder statt Gehwege, wenn ich erwachsen bin, dachte ich.

Monate oder ein Jahr später sollte ich im Kunstunterricht meine Vision vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt malen. Meine Klassenkameraden malten sich als Kosmonauten oder als Ingenieure. Ich malte einen zum Förderband umgewandelten Gehweg. Darauf stand ich und las das „Tagebuch der Anne Frank“.

Beim Bäcker angekommen reihte ich mich in die Warteschlange ein. Vor mir standen lauter alte Frauen und quatschten. Ich entfloh dem Hausfrauengequatsche, packte meinen Roman aus und las. Bis mich die Bäckersfrau in die Realität zurückholte. „Ähm ja. Ein Brot, vier Schrippen und vier Splitterbrötchen.“

Während ich so in Erinnerungen schwelge, komme ich an meiner Zielstation an. An den Trump-Artikel auf meinem Handy habe ich dabei gar nicht mehr gedacht. Gegenüber der S-Bahn-Station hole ich ein frisches Brot vom Biomarkt. Und auf dem Nachhauseweg genieße ich es zu schauen, wie sich in meiner Straße die ersten Knospen an den Sträuchern hervorkämpfen. Es wird Frühling. Lesen auf einem Förderband? Nee, ein bisschen Bewegung muss schließlich sein. Und meinen Augen tut es auch gut, mal in die Weite zu schauen. Marina Mai

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