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Under, Middle und Upper Class

Filmfestspiele Heute startet die 67. Berlinale und ist auch wieder in ausgewählten Programmkinos zu Gast.Um sich orientieren zu können, geben unsere Filmexpert_innen vorab einige besondere Empfehlungen

„Acht Stunden sind kein Tag“, D 1972/2017, R.: R. W. Fassbinder Foto: Rainer Werner Fassbinder Foundation

„Acht Stunden sind kein Tag“ (Berlinale Special)

Fünfundvierzig Jahre lang war diese fünfteilige Fernsehserie aus den Archiven des kollektiven Gedächtnisses verschwunden, nun kehrt sie dank der Arbeiter der Fassbinder Foundation in einer restaurierten Fassung zu uns zurück: Rainer Werner Fassbinders Beitrag gehört zum Genre des sogenannten Arbeiterfilms: eine Serie, die sich tief in die Gewerkschaftsfragen vergräbt, dies aber als Familiengeschichte erzählt und mit dem Fassbinder so eigenen Hang zum Melodram zu verbinden versteht. Sie kommt zeitgleich auch auf DVD heraus, aber die Gelegenheit, das Wiedererscheinen dieses Werks auf der großen Leinwand zu bezeugen, sollte man sich deshalb nicht entgehen lassen. (Folgen 1 und 2: 11. 2., 21 Uhr, Volksbühne; Folgen 3, 4 und 5: 12. 2.,9 Uhr, Volksbühne; Folgen 1 bis 5: 16. 2., 10 Uhr, CinemaxX 6)

Ekkehard Knörer

„Call Me by Your Name“

„Call Me by Your Name“, I/F 2017, R.: Luca Guadagnino Foto: Sony Pictures Classics

(Panorama)

Der Beschreibung nach klingt es wie einer jener Filme, die „sie nicht mehr machen“: eine Villa in Norditalien, eine amerikanische Professorenfamilie mit einem Sohn im Teenageralter, ein Doktorand auf einer Forschungsreise … Da weiß man doch schon, dass es um Liebe und das Erwachsenwerden gehen wird, und zwar im gepflegten Rahmen des Bildungsbürgertums und italienischem Espresso. Aber wer „A Bigger Splash“, den letzten Film des italienischen Regisseurs Luca Guadagnino gesehen hat, wird hier sehr viel mehr erwarten. Guadagnino beweist ein ganz besonderes Gespür für den Zusammenhang von Orten, Figuren und Atmosphäre und hat zudem einen schonungslos ehrlichen Blick auf das, was die Einzelnen so wollen im Leben und vom Leben. Außerdem spielt Armie Hammer mit. (13. 2., 21.30 Uhr, Zoo Palast; 14. 2., 12 Uhr, CinemaxX 7; 15. & 17. 2., 17 Uhr, Cubix 9; 19. 2., 21.30 Uhr, Zoo Palast)

Barbara Schweizerhof

„Golden Exits“ (Forum)

Ganz traue ich Alex Ross Perry nicht über den Weg. Aber er interessiert mich. 2015 lief sein letzter Film, „Queen Of Earth“, auf der Berlinale, ein ambitioniertes Psychodrama im Wald. Ein Jahr zuvor gab es „Listen Up Philip“, der stark an Philip Roths Roman „Der Ghost Writer“ erinnerte. Jetzt taucht Alex Ross Perry mit „Golden Exits“ wieder auf, und zwar in der Sektion Forum. Emily Browning und Chloë Sevigny spielen mit und auch Jason Schwartzman. Ort des Geschehens ist New York City. Hierhin verschlägt es die 25-jährige Australierin Naomi, die einen Sommerjob erledigt und zur Projektionsfläche nörgeliger Middle und Upper Classer wird. Fies. (12. 2., 19.15 Uhr, CineStar 8; 13. 2., 20 Uhr Cubix 9; 16. 2., 11 Uhr Cinestar 8; 18. 2., Delphi Filmpalast)

„Golden Exits“, USA 2017, R.: Alex Ross Perry Foto: Sean Price Williams

Carolin Weidner

„Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“ (Perspektive Deutsches Kino)

Wer sich einmal darauf eingelassen hat, dass die Wolke am strahlend blauen Berliner Himmel einen Hund darstellt und es sich bei diesem um den Jungfilmemacher Julian Radlmaier persönlich handelt, welcher zur radikalen Selbstkritik seines (und unseres) bürgerlichen Daseins schreitet, ist hier goldrichtig. Alles, was dem modernen Prekariat und der hauptstädtischen Linksboheme angehört, zieht mit dem wunderbar selbstironischen Sozialhilfeempfänger (der doch eigentlich nur seiner romantischen Liebe Camille nah sein will) auf die utopisches Kommunalglück verheißende Apfelplantage Oklahoma: Hong (kommunistischer Franz-von-Assisi-Fan), Sancho (Schweizer), Zurab (Sowjetheld im Ami-Pelz) & Co. Das postproletarische Sommermärchen schlechthin! (17. 2., 19.30 Uhr, CinemaxX 3 (E, D); 18. 2., 20.30 Uhr, CinemaxX 1)

„Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes“, D 2017, R.: Julian Radlmaier Foto: faktura film

Barbara Wurm

Zwei Raoul-Peck-Filme

Gleich zwei Filme eines der derzeit wichtigsten Filmemacher für politisches Kino – Raoul Peck: „Der junge Karl Marx“ und „I Am Not Your Negro“ – zwei Filme über Analytiker ihrer Zeit, über Karl Marx und James Baldwin. Peck sucht seinesgleichen, wenn es darum geht, komplexe politische Themen aufzugreifen, ohne in populistische Reduktionen zu verfallen oder das Publikum durch arg hermetische Formen zu verschrecken. „Der junge Karl Marx“ geht zurück an den Ausgangspunkt der modernen Linken, Marx’ kritische Analyse des Kapitalismus, „I Am Not Your Negro“ verhilft James Baldwin als kritischem Beobachter der amerikanischen Gesellschaft zu neuen Ehren. (I Am Not Your Negro: 15. 2., 17 Uhr, International; 16. 2., 11 Uhr Cine Star 7; 17. 2., 14.30 Uhr, Colosseum, 19. 2., 14. 30 Uhr Zoo Palast Der junge Karl Marx: 12. 2., 21 Uhr Friedrichstadt-Palast;13. 2., 18. 30 Uhr Odeon; 13. 2., 21.30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele)

„Der junge Karl Marx“, F/D/BEL 2017, R.: Raoul Peck Foto: Frederic Batier

Fabian Tietke

„1945“ (Panorama)

„1945“, HUN 2017, R.: Ferenc Törö Foto: Ferenc Törö

Ein wenig erstaunlich ist es schon, dass aus dem Ungarn Viktor Orbáns ausgerechnet dieser Film ins Programm der Berlinale geschickt wurde. Und das eindeutig im positiven Sinn. Denn in „1945“ erzählt der Regisseur Ferenc Török eine pechschwarze Geschichte aus der frühen Nachkriegszeit: Schritt für Schritt offenbart Török an einem einzigen schwülheißen Augusttag 1945 die Verstrickung eines kompletten ungarischen Dorfs in die Denunziation und Deportation seiner jüdischen Bevölkerung. Seine Aktualität muss der Film gar nicht eigens verkünden, ungeachtet der in scheinbar archaischem Schwarz-Weiß gehaltenen Bilder. (12. 2., 20.15 Uhr CineStar 3; 14. 2., 19.30 Uhr Zoo Palast 2; 15. 2., 20 Uhr CinemaxX 7; 16. 2., 22.45 Uhr CineStar 3; 17. 2., 20.15 Uhr Cubix 7+8)

Tim Caspar Boehme

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