Gefrustete Lehrer ohne Nachwuchs

Am heutigen Tag des Lehrers besteht wenig Aussicht, dass der Berufsstand seinen legendären Ruf wiedererlangt: Weniger Studierende, wenige berufszufriedene Lehrer und keine koordinierte Haltung der Kultusminister. Verband Bildung und Erziehung will Staatsoberhaupt anrufen

Für Susanne Herlt und Ulf Kieschke wirkte die gestrige Mitteilung des Statistischen Bundesamtes wie ein Schock. Um satte 6 Prozent sind die Studienanfänger für den Lehrerberuf im Jahr 2004 zurückgegangen. Damit geht den beiden jungen Forschern der Universität Potsdam ihr Studienobjekt verloren. Das ist nicht nur quantitativ eine mittlere Katastrophe. Herlt und Kieschke versuchen, den frustrierten deutschen LehrerInnen wieder auf die Beine zu helfen.

„Wir wollen die künftigen Lehrer darauf vorbereiten, dass ihr Beruf ein besonders breites Anforderungsspektrum aufweist“, sagt Susanne Herlt, und was die Assistentin am Potsdamer Institut für Psychologie da so akademisch berichtet, ist zweierlei: eine ungeheure Chance für die Schulen, besonders begabte Bewerber zu finden – weil sie einen fachlich, menschlich und perspektivisch extrem interessanten Job ergreifen. Aber es ist auch ein Fluch – denn viele Lehrer zerbrechen an der Notwendigkeit, wie eine Eier legende Wollmilchsau die Bildungskrise der Gesellschaft bewältigen zu sollen.

Herlt und ihr Kollege, der Juniorprofessor Kiesche, sind gerade dabei, eine ganze Palette von Methoden zu erforschen, um LehrerInnen in Krisensituationen zu helfen oder diesen vorzubeugen. Sie haben einen Fragenkatalog zur Selbstdiagnose von Studienanfängern entwickelt. Sie analysieren genauer den Lehrerarbeitstag. Sie entwickeln ein Programm, um die KollegInnen und Chefs der Pauker, die Rektoren, systematisch fortzubilden – denn das ist für LehrerInnen der größte Hilfefaktor: freundliche, kooperative Mitstreiter und verständnisvolle Chefs.

Die neue Potsdamer Studie ist der zweite, der Therapieteil der so genannten Potsdamer Lehrerstudie. Der erste, diagnostische Teil hatte einen erschütternden Befund erbracht: Es gibt praktisch keine Berufsgruppe des öffentlichen Dienstes, die einen so hohen Anteil an Frustrierten und Ausgebrannten vorzuweisen hat. 59 Prozent, also nicht ganz zwei Drittel der Lehrer, wurden in einer bundesweiten Analyse von acht Jobs als Outlaws identifiziert.

Dazu gehört der Typ übereifriger und völlig überforderter Lehrer, einer Lehrperson, die sich zwar mit vollem Engagement in seine Aufgabe stürzt, aber wegen seiner mangelnden Distanz zur Sache und den Schülern überwiegend negative Emotionen entwickelt. Und es gibt einen zweiten, bereits resignierten Lehrertyp – den völlig unengagierten, der dennoch schlechte Vibrationen ausstrahlt. Das Schlimme an der Lehrerstudie: Jeweils rund 30 Prozent der bundesweit 7.000 Befragten gehören diesen beiden Minustypen von Lehrern an. Bei keiner anderem Beruf sind die Anteile so stark, am wenigsten bei den Feuerwehrleuten. Am nähesten kamen noch die desillusionierten MitarbeiterInnen von Sozialämtern den Paukern.

Weniger Beachtung in der Potsdamer Lehrerstudie fanden die beiden anderen Lehrertypen – obschon sie fast noch interessanter sind. Denn neben den vielen Gefrusteten gibt es ja auch noch 40 Prozent zufriedene Lehrer. Das Alarmierende: Nur 17 Prozent dieser Lehrer finden auch in ihrem Beruf so etwas wie Selbstverwirklichung und Glück. Das heißt, sie sind gesund und zufrieden, weil sie SchülerInnen helfen, sich neue Wissensgebiete zu erobern. Die anderen 23 Prozent glücklicher Lehrer gehören laut der Forschung einer ganz anderen Kategorie an: Sie schonen sich in der Arbeit, auf Deutsch: Sie befinden sich in der inneren Emigration, sie sind glücklich, weil sie sich aus der Schule möglichst heraushalten.

Was kann man dagegen tun? Am heutigen Internationalen Tag des Lehrers, wenn also weltweit das Motto „Quality Teachers for Quality Education“ ausgerufen ist, lässt sich dazu in Deutschland nicht allzu viel Hoffnungsvolles sagen. Das sind die Wissenschaftler wie Susanne Herlt und Ulf Kieschke, die an allen möglichen Tipps und Therapien für den in Misskredit geratenen Berufsstand basteln. Und da sind die Kultusminister der Länder, die zwar wortreich den Berufsstand unterstützen, aber praktisch wenig tun, um ihren Sorgenkindern zu helfen. Es gibt bis heute keinen wirklich gesamtdeutschen Lehrerarbeitsmarkt, weil die Mobilität zwischen den Ländern wegen deren Bildungshoheit eingeschränkt ist. Die einzelnen Bundesländer bilden auch nach je eigenen Standards aus. Und es gab bis vor kurzem noch nicht einmal einen Beschluss, nach welchen gemeinsamen Kriterien man den Lehrernachwuchs ausbilden will.

Der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, Ludwig Eckinger, hat daher Alarm gerufen. Vor fünf Jahren unterzeichnete er die Bremer Erklärung, in der Kultusminister und Lehrerverbände ein gemeinsames Vorgehen verabredet hatten. Bislang ist jedoch kaum etwas geschehen. „Es gibt kein Gesamtkonzept, wir brauchen aber eine nationale Strategie.“ Das Land müsse wissen, wie man in der Bundesrepublik Lehrer ausbilde und bezahle, sonst sacke der Stellenwert der Profession weiter ab. 16 Schuldige hat Eckinger bereits gefunden – die Länder, die sich nicht einigen. „Wenn der Föderalismus zur Schikane wird“, sagte er, „müssen wir daran denken, den Bundespräsidenten zu bitten, uns Lehrern zu helfen.“ CHRISTIAN FÜLLER