piwik no script img

Berliner SzenenAfD-Angst

Müssen wir weg?

Die Garderobe ­können wir nicht ­komplett mitnehmen

Tag der offenen Tür in einer Oberschule. Das Kind will sich über Gymnasien informieren. Da bin ich doch gerne dabei. In der Aula gibt es Musik vom Schulorchester und eine Ansprache der Schulleiterin. Es geht darin viel um den bilingualen Unterricht, denn die Schule ist ein „europäisches Gymnasium“.

Nachmittags backen wir Kekse und sprechen über unsere Eindrücke. „Heißt bilingual, dass alles auf Englisch ist?“, fragt das Kind. Ich erkläre das Fremdwort und dass mir das mit den Sprachen gut gefallen hat. Einzig die Eltern finde ich bei solchen Veranstaltungen etwas anstrengend, sage ich. Es verwirrt mich, wenn Mütter von Zehnjährigen nach dem Programm der Oberstufe fragen. „Wieso?“, fragt das Kind. „Na, weil die Kinder da erst in sieben Jahren hinkommen. Dann gibt es längst einen anderen Senat und sicher auch Änderungen im Schulsystem“, sage ich. „Tja, wenn die AfD dann dran ist, ist Schluss mit bilingual“, bringt das Kind sein neu erworbenes Wissen auf den Punkt. „Ich möchte nicht dar­über nachdenken, dass die AfD an die Macht kommt“, sage ich und rolle Keksteig aus. „Müssen wir dann weg aus Deutschland?“, fragt das Kind. Ich atme tief durch: „Was denkst du denn, wo wir dann hinsollen?“

Offenkundig hat das Kind sich das schon genau überlegt: „Zu Martin, nach Schweden. Der nimmt uns bestimmt erst mal auf“, sagt mein Zehnjähriger gelassen. Martin ist ein alter Freund von mir, den das Kind bei einem Schweden-Urlaub kennengelernt hat. Ich bin besorgt. Liegt mein Sohn nachts wach und malt sich solche Szenarien aus? Gerade als ich überlege, welche Ängste er wohl sonst noch so hat, unterbricht er mich mit einer weiteren Frage: „Was meinst du, können wir unsere komplette Garderobe mitnehmen, oder muss ich was hier lassen?“

Gaby Coldewey

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen