Abwanderung statt Zuwanderung: In entgegengesetzter Richtung
In „Luise & Mohamed“ begleitet Beatrix Schwehm eine Familien, die von Bremen nach Algier auswandert – es ist auch eine Geschichte vom Außenseitertum.
Millionen Menschen sind in den vergangenen Jahren nach Europa gekommen und die Zuwanderung bestimmt hier das politische Klima wie kein anderes Thema. In der 60 Minuten langen Dokumentation „Luise & Mohamed“ zeigt die Bremer Filmemacherin Beatrix Schwehm, wie eine Familie den Weg in die entgegengesetzte Richtung nimmt.
Mohamed ist ein Ingenieur aus Algerien, der als 19-Jähriger nach Deutschland kam, um zu studieren. Seit 15 Jahren ist er mit der Deutschen Luise verheiratet. Die beiden haben drei Kinder und vor zwei Jahren entschieden sie sich, von Bremen nach Algier zu ziehen. Schwehm begleitete die Familie und besuchte sie 2014 und 2015 viermal. Sie hat schon einmal ein Porträt von dieser Familie gedreht. In „Luise – eine deutsche Muslima“ erzählte sie 2007 davon, wie ihre Protagonistin als selbstbewusste junge Frau in Deutschland streng nach den Regeln des Islams lebt. Dazu gehörte auch, dass sie nur mit Kopftuch in die Öffentlichkeit ging. In der Dokumentation wurde damals auch sehr einfühlsam und eindringlich deutlich gemacht, wie schwer es vor allem für Luises Eltern war, zu akzeptieren, dass sie so radikal mit der eigenen Kultur gebrochen hatte. Über den Film wurde damals viel diskutiert und er wurde mehrfach preisgekrönt – unter anderem mit dem Grimme-Preis.
Beatrix Schwehm wollte die Familie weiter mit der Kamera begleiten, weil sie die idealen Bedingungen für eine filmische Langzeitbeobachtung. nutzen wollte. Und die Familie wollte nach den Erfahrungen des ersten Drehs sowie nach der Ausstrahlung im Fernsehen weiter mitmachen. Nur Luise wollte eigentlich nicht, denn die öffentlichen Reaktionen waren zwar zum größten Teil positiv, aber im Netz gab es auch Kritik an ihrer Art zu leben und darunter litt sie. Doch sie beugte sich schließich der „demokratischen Entscheidung“ der Familie und sagt dies auch deutlich gleich zu Beginn des neuen Films.
Die ersten Aufnahmen entstanden beim Umzug der Familie von Bremen nach Algier. Mohamed hatte dort einen gutbezahlten Job als Ingenieur bekommen und wollte bei seiner schon sehr alten Mutter leben. Die muslimisch erzogenen Kinder sollten nicht als exotische Mitglieder einer Minderheit, sondern in einem islamischen Land aufwachsen und auch Luise wollte den Umzug – auch wenn sie schon bald merkte, dass sie in Algier ebenfalls eine Außenseiterin blieb. Jetzt aber als Deutsche, als eine „Muslima mit Migrationshintergrund“, wie sie selber ironisch im Film sagt.
Alle Protagonisten können reflektiert und pointiert ihre Standpunkte klarmachen und von ihren Erfahrungen erzählen, und dies ist eine der wichtigsten Qualitäten des Films. Die ältere Tochter Sainab, die im ersten Film ein plapperndes Kleinkind war, ist nun ein kluger und eigensinniger Teenager geworden, der man sofort glaubt, dass es ihre eigene Entscheidung war, schon in ihrem Alter ebenfalls ein Kopftuch zu tragen.
Der siebenjährige Sohn Ilyas spielt gerne Fußball und trägt mit Stolz ein Werder-Bremen-T-Shirt. Aber auch er kann schon genau beschreiben, wie es für ihn ist, als Muslim in Bremen und dann als Deutscher in Algerien zu leben. Während im ersten Teil der Fokus eher auf dem deutschen Elternpaar lag, das davon erzählte, wie schwer es war, die für sie so fremde Entwicklung ihrer Tochter zu akzeptieren, stehen jetzt deren Kinder viel mehr im Mittelpunkt.
Beatrix Schwehm muss hier nuancierter erzählen, denn es geht im neuen Film nicht um einen Konflikt, den jeder Zuschauer sofort erkennt, sondern darum, wie die Familie sich langsam in der für sie neuen und grundlegend anderen Gesellschaft integriert. Und dabei fällt auf, dass auch der strenggläubige Mohamed durch 16 Jahre in Bremen von der deutschen Kultur geprägt wurde.Dies wird bei den beiden Themen klar, über die am ausführlichsten in der Familie verhandelt wird. Mohamed unterstützt Luise darin, dass diese mit dem Auto durch die Stadt fährt, auch wenn dies in Algerien nicht gern gesehen wird. Und beide Eltern wehren sich entschieden dagegen, dass ihre Kinder in der Schule geschlagen werden, obwohl dies der dortigen Tradition entspricht und die allgemein akzeptierte Praxis ist, so erzählt es jedenfalls der Film.
Dies ist einer von jenen Dokumentarfilmen, bei denen man bei jeder Einstellung merkt, wie vertraut die Filmemacher und ihre Protagonisten miteinander sind. Diese vergessen zwar nicht, dass Schwehm und Kameramann Bernd Meiners immer dabei sind . Und der Prozess des Filmemachens wird auch selber Teil des Films, wenn etwa in einer Aufnahme Sainab mit dem Puschelmikro des Tontechnikers in der Hand und Kopfhörern über ihrem Kopftuch gezeigt wird. Aber niemand fremdelt vor der Kamera, und so gibt es auch oder gerade in den extra für den Film arrangierten Szenen, wie etwa einem Abschiedspicknick von Sainab mit ihren deutschen Schulfreundinnen, sehr natürlich und wahrhaftig wirkende Momente. Dadurch bekommt man einen intensiven Eindruck davon, wie Luise und Mohamed, ihre Kinder und das deutsche Elternpaar miteinander umgehen, wie sie einander zuhören und immer versuchen, sich in die anderen einzufühlen.
Der neue Film hat deshalb einen weiteren Horizont und er ist philosophischer als sein Vorgänger. Wenn hier davon erzählt wird, wie sich eine Familie eine neue Heimat schafft, und dabei zwischen der muslimischen und der westlichen Welt gegen alle Schwierigkeiten ihren eigenen, ihnen gemäßen Weg findet, ist dies auch eine universelle Geschichte, die Mut macht.
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