piwik no script img

Der Käfer wird zur Todeskutsche

Theater Orpheus’ Geliebte sagt lieber Nein: An der Schaubühne inszeniert Katie Mitchell „Schatten (Eurydike sagt)“ von Elfriede Jelinek. Viel Live-Film und wenig Theater

„Shadow – Eurydice speaks“ mit Jule Böwe auf der Bahre, Stephanie Eidt in der Kabine Foto: Marcus Lieberenz

von Barbara Behrendt

Theaterzuschauer, die ihren ersten Katie-Mitchell-Abend erleben, erkennt man leicht: Es sind die, die hernach im Foyer von der virtuosen Videotechnik schwärmen, von den wuselnden Kameraleuten auf der Bühne, die alle wie Rädchen eines Präzisionsuhrwerks funktio­nieren, vom Live-Film, dessen Entstehung man auf der Bühne verfolgen kann. Es ist der Überraschungseffekt, der sich nach der dritten oder fünften Inszenierung im immer gleichen Mitchell-Muster verflüchtigt.

Dennoch, unbestreitbar, findet die britische Regisseurin oft auch neue Varianten dieser Mischtechnik aus Film und Hörspiel. Während etwa die Kamera in „Fräulein Julie“ zum Auge der Voyeurin Kristin wurde, ließ Mitchell in „Die gelbe Tapete“ neben der realen eine zweite Albtraum-Welt voller Fantasmen entstehen, die eine junge Mutter in ihrer Isolation auf dem Land in den Wahnsinn treibt.

In ihrer nun schon sechsten Arbeit an der Schaubühne hat sich Mitchell zum ersten Mal an ein Stück von Elfriede Jelinek gewagt. „Schatten (Eurydike sagt)“ passt eigentlich ideal zu dieser Regisseurin, die sich stets für weibliche Perspektiven interessiert. Die österreichische Nobelpreisträgerin hat in ihrem wie gewohnt ausufernden Text eine Version des Orpheus-Mythos aus weiblicher Sicht entworfen: Eurydike, die geliebte Muse des Sängers, kommt in diesem Monolog (ausschließlich) selbst zu Wort, und sie entscheidet sich, das ist der Clou, nach dem fatalen Schlangenbiss für ein selbstbestimmtes Leben als körperloser Schatten im Totenreich, statt sich von ihrem Superstar aus dem Hades retten und weiterhin als Spiegel für seinen Narzissmus benutzen zu lassen.

„der will mich holen“

„Für den gibt’s einfach keine Türen, und ein Nein gibt es auch nicht, der will mich holen …, der duldet nicht, dass ihm etwas genommen wird, egal was“, so Jelineks kühl-despektierliche Orpheus-Analyse. Jelineks Text ist die Demontage eines uralten männlichen Mythos, ein Abgesang an weibliche Hingabe, ein feministisches Manifest, die Geschichte einer Depression, eine bissige, in Repetitionen und ­Kalauern schwelgende Suada.

Diesem mäandernden Jeli­nek’schen Bewusstseinsstrom hat Mitchell nur wenige Sätze entnommen und daraus einen semirealistischen, chronologischen Film-Plot gebaut. Eine aschfahle Jule Böwe in der Eurydike-Rolle sitzt im uralten weißen VW-Käfer, der inmitten der Drehbühne steht, als ihr selbstverliebter Sänger-Lover (Renato Schuch) sie per Handy zu sich zitiert. Es folgt: schneller Sex in der Garderobe kurz vor seinem Auftritt als Mädchenschwarm, ein Biss der aus dem Vivarium entschlüpften Schlange – und schließlich ein endloses Hinab- und Hinaufflüchten in schwarze Schächte und Aufzüge. Der Käfer wird zur nostalgischen Todeskutsche durch grell-düstere Neonlicht-Tunnel, Maik Solbach im Geheimagenten-Look mit Zombie-Augen ist der Türsteher des Hades.

Hatte Matthias Hartmann aus dem Stück in der Salzburger Uraufführung 2013 munteres Kabarett gemacht, verkürzt Mitchell den Stoff nun zur individualpsychologischen Fallstudie einer depressiven Frau – größer könnten die Gegensätze nicht sein.

Die endlosen Tunnel, durch die das Auto rast, die finsteren Schluchten dieser Unterwelt – das alles filmen Mitchells Kameras wie immer kunstvoll und in jeder Einstellung perfekt. Nur fragt man sich, je länger, je mehr, weshalb man überhaupt noch den Blick weg von der Leinwand hin zur Bühne lenken sollte: Zwar spricht dort Stephanie Eidt in der Sound­kabine die Gefühle und Gedanken ins Mikrofon, die Eurydike durch den Kopf stürmen, aber zu viele Kameraleute verdecken den Blick auf die reale Jule Böwe, die im Film viel deutlicher zu sehen ist. Es gibt auf der Bühne nichts, wodurch man eine zusätzliche Perspektive auf den Abend gewönne. Mitchells Regiehandschrift ist wie eine Folie, die sie über den Stoff stülpt – kein Mehrwert, nirgends.

Klar, beklemmende Momente gibt es schon: wenn Böwes Gesicht in Großaufnahme den Überdruss an dieser Welt spiegelt; wenn Eurydike, Alter Ego der Autorin, sich für das Schattenreich entscheidet, um endlich in Ruhe schreiben zu können; wenn Eidt am Ende den todtraurigen Satz spricht: „Am schönsten ist es, nicht geliebt zu werden und nicht zu lieben.“ Aber die schlichte lineare Abfolge, in die Mitchell die überbordende, immer ins Gesellschaftskritische ausgreifende Gedankenflut der Jelinek einpresst und zu einer Film-Story und düsteren Psycho­studie verengt, lässt den Abend eindimensional und monoton erscheinen.

Wieder am 30. 9. + 3./9./10./11./14./15. + 16. 10. an der Schaubühne

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen