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Am deutschen Wesen genesen

ABGESCHOTTET In der Komödie „Hinter der Mauer ist das Glück“ haben sich die Deutschen in einem ausländerfreien Öko-Soziotop eingerichtet. Als Besuch aus China kommt, beginnt die Mauer zu bröckeln

Bringt das blond-blauäugige Glück hinter der Mauer ins Wanken: ein Gast aus China Foto: Oliver Fantitsch

von Robert Matthies

Noch immer stehen die Dänen unangefochten an der Spitze. Aber auch die Deutschen sind im vergangenen Jahr einen guten Schritt auf dem Weg zum Glück vorangekommen. Zehn Plätze haben sie im diesjährigen Weltglücksbericht des Earth Institute der New Yorker Columbia-Universität gutgemacht: von Platz 26 auf Platz 16.

Kurz hinter den USA, Costa Rica und Puerto Rico liegen sie nun. Vor allem seien das Vertrauen in die Regierung und die Großzügigkeit der Menschen größer geworden, resümiert der Bericht. Aber auch die Lebenserwartung und die gefühlte Freiheit, Lebensentscheidungen treffen zu können, seien gestiegen.

Dabei leben die Deutschen auch immer gesünder. Um knapp die Hälfte ist der Zigarettenkonsum in den vergangenen 15 Jahren gesunken, um knapp ein Viertel der Margarinekonsum und selbst der Bierkonsum immerhin noch um 16 Prozent. Um ein Drittel angestiegen ist hingegen der Obstverbrauch und sogar verdoppelt hat sich seitdem die Zahl der kariesfreien Kinder.

Bereits vor fünf Jahren hat Benjamin Lauterbach diese Entwicklungen zum Anlass für eine beängstigende Theaterfarce genommen. „Der Chinese“ heißt das Stück, mit dem der Autor und Fernsehjournalist 2011 zum Berliner Stückemarkt eingeladen und 2013 mit dem Preis der Hessischen Theatertage ausgezeichnet wurde. Im Experimental-Theater Kontraste der Komödie Winterhuder Fährhaus bringt Regisseur Murat Yeginer die böse Satire nun unter dem Titel „Hinter der Mauer ist das Glück“ auf die Bühne. Und macht aus dem Chinesen eine Chinesin.

In nicht allzu ferner Zukunft ist Deutschland in dem Stück endlich an der Weltspitze in Sachen Glück angekommen. Allem Schädlichen hat die Regierung den Garaus gemacht: Es gibt keine Strahlen absondernden Handys mehr, keine Fernseher, überhaupt kaum noch Elektrizität; kein Spielzeug aus Plastik, keine luftverpestenden Urlaubsflüge, selbstverständlich auch keine Zigaretten mehr.

Auch zum Kaffee greift der Deutsche der Zukunft in Lauterbachs Öko-Dystopie nur noch in Ausnahmefällen. Stattdessen gibt es immerzu Bio-Sushi aus der Region und per Handkurbel ausgepressten Saft aus heimischen Früchten, darunter merkwürdigerweise auch einer „Dieburger Ananas“.

Man besinnt sich auf die guten alten Zeiten, auf preußische Tugenden und die Kleinfamilie. Zum Abendbrot klopft der in groben Leinen gewandete Vater den Kau-Rhythmus mit dem Finger auf den Tisch, artig bedanken sich alle für das gesunde Essen: „Danke Gurke. Danke Ingwer. Danke Algenblatt. Danke Sojabohnensaft.“ Eine gruselig rückwärtsgewandte, durchformierte Gesellschaft, zusammengehalten von moralischen Geboten, strebsamem Gehorsam und missionarischem Eifer.

Und eine Gesellschaft, die lieber unter sich bleibt. Denn Lauterbach hat noch eine Gegenwartsentwicklung weiter gedacht: Ausländer gibt es im glücklichen Zukunftsdeutschland auch keine mehr. Nach außen hat sich das Land fast vollständig abgeschottet. Denn „früher, als noch alle Menschen zu uns nach Deutschland kommen durften“, erklärt Mutter Gwen ihren beiden Kindern Niclas und Maria-Lara im Stück, „war das manchmal sehr schwierig mit den Besuchern“. Die hätten von den glücklichen Deutschen gar nichts lernen wollten.

Ganz anders ist die Fremde, die in die vermeintlich so harmonische Kleinfamilie kommt, um im Auftrag der chinesischen Regierung herauszufinden, wie die Deutschen es schaffen, so glücklich zu sein. Voller Demut ist sie, hat sich vorbereitet, weiß alles Wichtige über Deutschland und hat liebevolle Gastgeschenke mitgebracht.

Genau die – Plastikspielzeug, Staubsaugerroboter und deftiges Essen – wecken bei den Kindern versteckte Begierden und in der Folge gerät das fein austarierte Miteinander natürlich gehörig durcheinander. Denn ganz im Gegensatz zum Gast haben sich die selbstverliebten Gastgeber keine Mühe gemacht, sich mal übers China der Zukunft schlau zu machen. Und die Mauer, hinter der das Glück schon so fest eingeschlossen war, beginnt zu bröckeln.

Premiere Do, 24. 8., 19.30 Uhr, Komödie Winterhuder Fährhaus. Vorstellungen bis 26. Oktober

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