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der rote faden Vom Hambacher Schloss bis in Maybrit Illners Talkshow

nächste wocheNina Apin Foto: taz

durch die woche mit

Daniel Schulz

Wasserklosett

Drei gute Nachrichten am Anfang, die Zeitung ist schließlich sonst schon voll mit dem katastrophischen Allerlei der Woche. Erstens: Übergewichtige leben länger als Schlanke, haben Menschen in Kopenhagen herausgefunden. Zweitens: In Deutschland gibt es so eine Art Wirtschaftswachstum von 0,7 Prozent, hat das Statistische Bundesamt errechnet – ob das allerdings stimmt oder nur ein weiterer Großbetrug von denen da oben ist, wird noch von den Wirtschaftsanalytikern in den Kommentaren auf Spiegel Online diskutiert. Drittens gibt es in Neustadt an der Weinstraße ab nächstem Mittwoch Stadtführungen auf Arabisch für Geflüchtete. Was doch anrührend ist in der Stadt des Hambacher Schlosses, eines der Startpunkte des deutschen Nationalismus mit all seinen späteren Erfreulich- und Widerlichkeiten. 1832 war das ja noch Fortschritt, gegen die Fürsten und für das Vaterland. Damals gab es allerdings auch noch kein Vaterland und keine öffentlichen Klosetts mit Spülung; die entwickelte ein englischer Klempner erst noch und stellte sie 1851 auf einer Großausstellung im Londoner Hyde Park vor.

Charakterschwächling

Nun gibt es Leute, die halten Ideen aus der Zeit vor dem Wasserklo im Ortskern immer noch für Fortschritt. Was macht man jetzt mit denen? In Deutschland sind gerade zwei Wege zu beobachten: Verbot (NPD) und Ratlosigkeit (AfD). Letztere symbolisieren Talkshowtitel wie diese Woche Maybrit Illners „Große Koalition immer kleiner – Stunde der Populisten?“. Es traten Markus Söder und Oskar Lafontaine auf, dem rechten Charakterschwächling musste einer von der AfD sagen, dass er sehr gut in die AfD passen würde, der große Exvorsitzende von links entdeckte das Gute an Petry und Storch-Partei in der Sendung lieber ganz von selbst.

Diskursmasturbation

Per FAZ meldete sich Winfried Kretschmann, der Oberbürgermeister von Baden-Württemberg: Mit der großen Erregung müsse jetzt mal Schluss sein, nur ein Teil der Wähler sei Nazis und die solle man dämoniseren, die anderen aber bedürften ebenso der Integration wie Geflüchtete. Stellen wir uns das in der Praxis vor – gemeinsame Stadtführungen in Neustadt an der Weinstraße, gemischte Diskussionen über Homosexualität in Deutschland und in den Parlamenten und Kneipen streiten sie darüber, ob AfD-Wähler Anspruch auf Taschengeld oder Sachleistungen haben. Herrlich.

Zumutungen

Leute aus dem eigenen Diskursfeld wegzuempören, deren Haltungen einem zusetzen, ist reine Masturbation. Wenn die Leute bei Pegida und AfD eines sicher wissen, dann, dass ihre Gegner sie für Pack halten. Wenn sie im Westen etwas von den Ostdeutschen gelernt haben, dann, dass man in diesem Land gut leben kann, wenn man zu seiner Gesellschaft nicht dazugehört. Die AfD ist die einzige Partei, die dieser Widerständigkeit gegen die innere Anpassung an ein Leben in der Bundesrepublik huldigt. Das, was PolitikerInnen und Umfrageinstitute regelmäßig beklagen, hat sie in eine heroische Erzählung für eine Parallelgesellschaft der Unzufriedenen umgedeutet. Oder besser gesagt, sie hat sie bundesdeutsch gemacht, denn im Osten gibt es die Story, hier habe man eine Diktatur beseitigt und werde sich vom nachfolgenden System nicht mehr verführen lassen, schon länger. Jedes neue Ausgrenzen bestätigt das Selbstbild mit einem kleinen Lustgewinn. So ein Leben als Outlaw mit Fernwärme, Garten und voller Warenauswahl bei Aldi macht schon ein bisschen Spaß. Und zu sehen, mit welcher Energie sich andere über mit die mit wenig Mühe produzierten eigenen geistigen Ausscheidungen aufregen, macht es auch.

Apropos aufregen, haben Sie das Finale von „Germanys Next Topmodel“ gesehen? Die beiden Finalistinnen ließen sich vor einem roten Tuch fotografieren, und Heidi Klum sagte, jetzt komme jemand von hinten und betatsche sie ein bisschen. Und dann kam jemand und betatschte sie ein bisschen – durch das Tuch. Man kann das sicher ironisch sehen, wegen Unterschichtenfernsehen, hihi. Oder als ethnologisch interessantes Ritual deuten. Jedenfalls müssen vergangene Ideen, wie mit einer Frau umzugehen sei, nicht erst von der AfD mühevoll in die Gegenwart importiert werden. Fernseher anmachen reicht. Wenn in ömmeligen Zeitungskommentaren steht, etwas sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen, war es schon lange dort. Wer das ausschließen will, der schließt so lange aus, bis er nur noch selbst übrig bleibt.

Die Alternative ist natürlich echt hart. Reden mit Menschen, deren Haltungen Zumutungen sind. Und diese Zumutungen in sich selbst entdecken und eingestehen und damit umgehen lernen. Da gibt es echt schönere Wochenendbeschäftigungen. Lesen Sie lieber noch mal den Anfang dieses Textes.

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