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Kolumne Leuchten der MenschheitDie Drücker der Storno-Taste

Jan Feddersen
Kolumne
von Jan Feddersen

Der Autor Klaus Werner-Lobo schreibt in seinem Buch, es würden immer weniger Menschen wählen gehen. Doch neulich waren es wieder mehr.

Die AfD feiert Foto: reuters

M an fragt sich nach einem guten halben Jahr „Wir schaffen das“-Erregung (bzw. der rechtspopulistischen Antwort: „Wir wollen das nicht schaffen“): Was ist aus den Bewegungen geworden, die für Stichworte wie „Wutbürger“, „Blockupy“ oder „Transparency now“ stehen?

Ist es nicht so, dass so gut wie alle Fantasien von „Postnation“ oder „postpolitisch“ sich mit der politischen Wirklichkeit als das erledigt haben, was sie auch sind: Hirngespinste akademischster Provenienz? Mit den verfassungspatriotisch gesinnten Bewegungen, die mit einem gigantischen Netz an Solidaritäten Flüchtlingen die Integration in das neue Leben in Mitteleuropa zu erleichtern suchen, ist mehr Staat zu machen. Solidarität als Summe aus Taten, die nicht enden sollen, weil jede gute Politik von der Kraft der Ausdauer leben muss.

Klaus Werner-Lobo gehört zu den klügsten Analysten der solidarischen Bewegungen. Das unterfüttert er in seinem neuen Buch „Nach der Empörung. Was tun, wenn wählen nicht mehr reicht“ (Deuticke Verlag, Wien 2016) nachdrücklich. Er lobt, beinah wie in einer Summenrechnung mit nostalgischem Flair, alle möglichen Bewegungen, die die Linke in den vergangenen Jahren so geliebt und verehrt hat. Ein „Engagiert euch!“ steht auf dem Buchrücken verzeichnet. Ein Kompendium, geschrieben aus der Perspektive eines „Wir“. Wir, die Guten, die eine bessere Welt wollen – am besten mit beseitigtem Kapitalismus.

Ausgeblendet bleibt, was Linken momentan so schwer zu schaffen macht: festzustellen, dass es nach den Achtundsechzigern nur zwei echte die Republik (und Europa) aufwühlende Bewegungen gab – und gibt. Die eine, die grüne, begann Mitte der 1970er zu wachsen, nun ist sie beim Establishment. Die andere ist gerade aus dem Säuglingsalter heraus. Es ist die rechtspopulistische, für die hierzulande die AfD steht. Mit Werner-Lobo ließe sich sagen: Deren fellows finden schon lange, dass der Wahlgang, für welches Parlament auch immer, pure Verarsche ist.

Werner-Lobo sagt, es würden immer weniger Menschen wählen. Falsch: Neulich waren es wieder mehr. Sie bevorzugen aber eine Partei, die, was die Liberalisierungsschübe in der Bundesrepublik angeht, am liebsten auf die Storno-Taste drücken würde. Könnte es sein, dass die Verschwörungsformeln der Linken (“Neoliberalismus“o. Ä.), ihr Misstrauen in die parlamentarische Demokratie gerade auch die rechten Populisten akzeptabel gemacht haben?

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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1 Kommentar

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  • Aha - Was also will mir JAF sagen¿!

     

    Jedenfalls das ~>

    Mit diesem fulminanten Beitrag -

    Ein weiterer Tag inne taz ~>

    "Für so ein Larifari - mit Verlaub -

    Keinen Cent!"