: Nesteln am Hosenschlitz
Bühne Yael Ronen hat am Maxim Gorki Theater einen Roman von Isaac Bashevis Singer inszeniert: „Feinde – die Geschichte einer Liebe“. Die renommierte Regisseurin lernt man diesmal von einer anderen Seite kennen
von Katrin Bettina Müller
Doppelleben sind anstrengend. Sich die ganzen Lügen zu merken, die man zur Tarnung erfinden muss, das macht ihn ganz blass und schmal, den Herman Broder. Eine Frau in Coney Island, eine in Brooklyn weiter nördlich, verlassen kann er keine von beiden, hetzt zwischen ihnen hin und her. Hut auf, Mantel an, so stürzt Aleksandar Radenkovic in Hermans Rolle aus der einen kleinen Wohnung in der linken Bühnenecke in die andere, auf dem Podest rechts, wo bereits dampfende Kartoffeln auf ihn warten. Hier wie dort nesteln die Frauen schon an seinem Hosenschlitz, kaum dass er den Mantel ausziehen konnte. Lebenshungrig, liebeshungrig, voller Angst, verlassen zu werden, sind beide. Als wäre Herman ihr letzter Verbindungsfaden zum Leben, schlingen sie Arme und Beine um ihn und reißen ihn zu Boden.
Herman Broder ist eine Figur aus einem Roman von Isaac B. Singer, „Feinde, die Geschichte einer Liebe“, 1966 auf Jiddisch als Fortsetzungsroman in The Jewish Daily Forward erschienen. Broder ist ein polnischer Jude, Jadwiga, seine Ehefrau auf Coney Island ein polnisches Dienstmädchen, das er aus Dankbarkeit geheiratet hat, weil sie ihn unter Lebensgefahr drei Jahre lang versteckt und vor den Nazis geschützt hat. Mascha, die Geliebte in Brooklyn, hat er später in einem Flüchtlingslager kennengelernt. Sie erpresst ihn bald mit einer Schwangerschaft, auch sie zu heiraten. Dann taucht auch noch Tamara auf, seine frühere Ehefrau, die er tot geglaubt hat. Hermans Unfähigkeit, eine Entscheidung zwischen blond, rothaarig und schwarz zu treffen, zwischen Treuherzigkeit, Raffinesse und Abgeklärtheit nimmt damit noch zu.
Im Roman ist jeder Weg Hermans durch New York davon überschattet, dass er nach Verstecken Ausschau hält, sollten die Nazis doch noch die Stadt übernehmen. In der Inszenierung von Yael Ronen im Gorki Theater streifen Geisterhände aus Licht über die aneinandergeklammerten Körper, und vage Gestalten ziehen über die Wände. Man stellt sich vor, dass dies die Toten sind, die Ermordeten, die Vermissten, die jede der Figuren im Schlepptau hat. Überlebende des Holocaust sind sie – und als Flüchtlinge angekommen in New York. Nach Unauffälligkeit streben sie und nach Anpassung. Aber das Beziehungskuddelmuddel, in das sie alle verstrickt sind, verhindert den Neustart und das Sich-neu-Erfinden in Amerika.
Hart rausgeknallte Sätze
Ungeduld prägt den Roman: Herman will aus jeder Situation gleich wieder raus, hält sich für den Schuldigen, macht seine Frauen und sich selbst verrückt. Im Theater bringt dies der Musiker Daniel Kahn am besten auf den Punkt. „Doch langsam geht mir dieser Herman auf die Nerven“, singt er und spielt mit dem Namen „Herman“ , sich zwischen den drei Frauen drehend, „Herman. He ain’t just her man/ She wasn’t murderd by the Germans, so he’s her man/Herman is also her man”.
Mit Akkordeon, Klarinette und Gitarre begleiten Kahn und zwei weitere Musiker das Stück, oft mit klagenden Klezmerschleifen und im Ton grotesker Balladen. In der Musik ist die stete Grundierung durch die Trauer präsent, aber auch ein schräges Temperament, mit unkalkulierbaren Ausschlägen. Schließlich ist die Geschichte ja auch komisch, Stoff für den Boulevard.
Yael Ronen hat am Gorki Theater schon sehr berührende und kluge Geschichten von Flucht und Einwanderung mit Schauspielern entwickelt. Sie war mit „Common Ground“ zum Theatertreffen eingeladen und ist es wieder mit „This Situation“ über die Spiegelung des Nahost-Konfliktes in einer Neuköllner Deutschlerngruppe. Den Roman von Isaac B. Singer jetzt in die Hand zu nehmen ist auf jeden Fall ein Gewinn für einen differenzierten Blick auf die Gegenwart von Migration. Doch die Regisseurin lernt man diesmal von einer anderen Seite kennen: Sie inszeniert den Roman wie ein Stück Boulevardtheater. Trotz ihrer Erfahrung mit komplizierten Herkunftsgeschichten bleibt die Inszenierung an der Oberfläche hängen. Das Gerüst der Szenen und der Dialoge schafft es so grade mal, die Handlung und die Vorgeschichte zu transportieren.
Auf der Strecke bleibt der Kampf der Figuren zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Ihr schmerzhaftes Bemühen um Abnabelung von den durchlebten Schrecken (das beim Lesen des Romans in vielen Sätzen gegenwärtig ist) bleibt seltsam flach. Die Personen auf der Bühnen reden zwar davon, Tamara zum Beispiel, die aus Todeslagern wiedergekehrte Ehefrau. Aber sie knallen die Sätze so hart raus, das ist teils so holzschnittartig gespielt, dass sich keine Räume dabei öffnen. Als hätte man Furcht vor einem emotionalen Erdrutsch, den die Geschichte jederzeit nahelegt, und würde deshalb mit einer feinfühligen Figurenzeichnung geizen. So wird aus der Aufführung eine doch eher brave Nacherzählung.
„Feinde – die Geschichte einer Liebe“. Di. 15. 3., Mo. 4. 4., Do. 7. 4., jeweils um 19.30 Uhr
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