Selbsterfahrungstrip mit Ayahuasca: Tee trinken und abwarten
Trinken, kotzen, Selbsterkenntnis – das versprechen Zeremonien mit dem halluzinogenen Ayahuasca-Sud. Was ist dran – und wie gefährlich ist das?
Auf ihrem ersten Ayahuasca-Trip hatte Johanna eine Vision. Sie halluzinierte eine Spinne, die ihr Gift in den Bauch zu pumpen schien. Vor Spinnen hat die junge Frau panische Angst. „Man geht oft erst mal durch die Hölle und quält sich, kotzt oder hat Durchfall, bevor man Zufriedenheit und Klarheit erlangt'‘, sagt Johanna heute. Das sei während einer Ayahuasca-Zeremonie ganz normal.
Johanna ist 24 Jahre alt und kam vor vier Jahren aus Bremen nach Berlin, um Italienisch und Niederländisch zu studieren. In Wirklichkeit heißt sie anders. Ihren richtigen Namen möchte sie nicht preisgeben. Sie fürchtet, ihre Arbeitskollegen könnten von ihren Erlebnissen erfahren. In einer Bar nahe dem Bergmannkiez spricht sie über ihre Erfahrung mit Ayahuasca. Und darüber, dass die Zeremonie ihr Leben verändert habe, wie sie sagt.
Den ersten Kontakt mit der pflanzlichen Droge aus den Amazonaswäldern hatte Johanna vor zwei Jahren, als sie auf Facebook zum Wochenend-Workshop eingeladen wurde. Organisiert von Ayahuasca International, einer selbst ernannten Expertengruppe, die auf ihrer Website damit wirbt, das Leben der Teilnehmer in Einklang mit dem Universum zu bringen.
Johanna war neugierig. Die fremde Kultur, das südamerikanische Flair, Selbstfindung – all das reizte sie. Mittlerweile bietet sie gemeinsam mit ihrem Freund an Wochenenden gelegentlich selbst Ayahuasca-Zeremonien in Berlin an.
In Deutschland verboten
Der Name „Ayahuasca“ ist Quechua, bedeutet übersetzt „Liane der Geister“ und beschreibt ein Getränk aus den Amazonaswäldern, das aus dem Sud mehreren Pflanzen besteht. Es gilt als eines der stärksten schamanischen Heilmittel und wird vorwiegend von den Ureinwohnern Südamerikas für religiöse Rituale verwendet. Der bräunliche Tee wird dort als Mittel zur Selbsterkenntnis verstanden, das dem Menschen seine Stellung im Universum offenbaren soll.
Für mehrere Stunden versetzt er seine Konsumenten in eine Art Trancezustand. Berichten zufolge reicht die Wirkung dabei von leichten Visionen bis zu starken außerkörperlichen Erfahrungen. Neben den Blättern und Wurzeln der Ayahuasca-Liane werden dem Gebräu weitere Pflanzen beigemischt und zwei bis drei Tage gekocht. Das fertige Getränk enthält den Inhaltsstoff DMT (Dimethyltryptamin), der in vielen Ländern dem Betäubungsschutzmittelgesetz unterliegt und verboten ist. Auch in Deutschland. Trotzdem werden mittlerweile Wochenend-Workshops in vielen Großstädten angeboten – Berlin, Madrid, Amsterdam oder Wien. Die Liste ist lang.
An ihrer ersten Ayahuasca-Zeremonie nahm Johanna zusammen mit 30 anderen nahe der Berliner Hasenheide teil. Die meisten seien gekommen, um mehr über sich selbst zu erfahren und ihr Bewusstsein zu erweitern, sagt sie. So ein Seminar ist teuer. Ein dreitägiger „psychomanischer Workshop“ bei Ayahuasca International kostet 440 Euro. Dafür, so heißt es auf der Website, soll die Begegnung mit der „heiligen Machtpflanze“, kombiniert mit psychotherapeutischen Ansätzen, die Lebensqualität der Teilnehmer verbessern.
Die Begleiter seien auf der European School of Ayahuasca und von Schamanen mehr als zehn Jahre im kolumbianischen Urwald ausgebildet worden, bevor sie bei den Workshops assistieren, steht dort weiter. Im Internet findet man allerdings auch Erfahrungsberichte, in denen über die schlechte Betreuung geklagt wird.
Die volle Entleerung
Die Britin Marion Bevington macht gerade eine Ausbildung zur Ayahuasca-Begleiterin. Das Team bestehe aus professionellen Psychologen und Therapeuten, sagt sie. Zusehen darf man bei den Zeremonien, die in Hotels, Yoga- oder Meditationszentren stattfinden, allerdings nicht. Journalisten und andere Zuschauer sind nicht erwünscht. Zum Schutz der Teilnehmer, sagt Bevigtin: „Wenn sich die Teilnehmer beobachtet fühlen, kann es passieren, dass sie sich nicht mehr natürlich und ungehemmt fühlen. Das wäre gegen die Natur von Ayahuasca.“
Das Internet schafft hier Abhilfe. Dort finden sich Videos, die Teilnehmer beim Rausch im Dschungel zeigen. Im Hintergrund der Zeremonien erklingt eine Mischung aus Gesäusel, sanften Klängen und Insektengezirpe. Begleitet durch Getrommel und den Gesang des Schamanen, der in den meisten Videos in exotisch bunte Gewänder gehüllt ist. Palo Santo, auch heiliges Holz genannt, wird angezündet, um balsamisch-süßlichen Duft zu verbreiten. Meist bekommen die Teilnehmer ein bis zwei Gläser des bräunlichen Tees ausgeschenkt. Je nach Verfassung.
Ebenfalls zur Ausstattung gehört eine eigene Matratze mit beigestelltem Eimer. Für den ziemlich wahrscheinlichen Fall, dass den Besucher die Übelkeit überkommt. Das Ritual will es, dass durch Durchfall und Erbrechen alles Negative aus dem Körper ausgeschieden wird. Die „Befreiung“ sozusagen. Nach der Einnahme des Tees finden sich die meisten Teilnehmer in den Videos jammernd und in Embryonalhaltung auf dem Boden wieder.
Johanna ging es ähnlich: „Nach dem Erlebnis mit der Spinne hatte ich plötzlich starke Bauchkrämpfe und rollte mich hin und her, um den Schmerz zu lindern. Aber es half nichts“, erzählt sie. „Irgendwann kam ein Punkt, an dem ich aufhörte dagegen anzukämpfen. Gegen meinen Schmerz, meine Angst und vielleicht auch gegen meine Wut'‘. Sie stürmte zur Toilette und entleerte sich. „Das war der Moment der Befreiung'‘, sagt sie. Wortwörtlich. Denn: „Man lässt erst mal die ganze Scheiße raus, die man mit sich herumträgt.“
Danach besserte sich ihre Vision: „Ein bunter Tausendfüßler kam und heilte mich mit seinen tausend Händen und Füßen an mehreren Stellen gleichzeitig“, erinnert sie sich. „Er brachte wieder Farbe und Freude zu mir zurück. Als er seine Arbeit getan hatte, zog er von dannen.“ Am Morgen nach der Zeremonie werde das Erlebte dann „integriert“. Soll heißen: Man setzt sich mit den anderen Teilnehmern zusammen und tauscht beim gemeinsamen Frühstück seine erlebten Visionen aus. Dabei versucht man, sich in den Erlebnissen der anderen widerzuspiegeln und die jeweiligen Probleme zu ermitteln, sagt Johanna.
„Unüberschaubare Droge“
Zwar wird Ayahuasca nachgesagt, dass es gegen Depressionen und Angststörungen helfe, wissenschaftlich bewiesen ist die heilende Wirkung allerdings nicht. Zudem kann das Gemisch ernste Risiken mit sich bringen. Aman Kabir, Internist und Facharzt für Innere Medizin in Berlin-Schöneberg, weist darauf hin, dass der Wirkstoff DMT zwar eine vergleichbar kurze Wirkung habe, dafür aber viel stärker sei als andere halluzinogene Drogen wie beispielsweise LSD.
Grade bei Menschen, die anfällig für Depressionen oder Schizophrenie seien, könne der Ayahuasca-Konsum daher zu Horrortrips führen, bei denen man Nahtoderlebnisse erfahre oder gar kollabiere. „Es ist eine sehr unüberschaubare und schwere Droge, die sich nicht gut von außen steuern lässt“, sagt Kabir. Langfristig sei außerdem nicht auszuschließen, dass man auf dem Trip hängen bleibe oder dass es zu Psychosen führe.
Für Johanna ist Ayahuasca ein Heilmittel – trotz der Strapazen, die ein Trip mit sich bringt. Sie sei durch ihre Erlebnisse im Rausch lebensfroher geworden und habe mehr zu sich selbst gefunden, sagt sie. Sie habe ihr Studium geschmissen und eine Ausbildung zur Krankenschwester angefangen. Auch das schreibt sie zum Teil der Reinigungszeremonie zu. Eine berufliche Neuorientierung käme unter den Ayahuasca-Anhängern öfter vor, sagt sie.
Ein Zaubermittel sei Ayahuasca jedoch nicht. „Ayahuasca lässt nicht alle Probleme verschwinden“, sagt Johanna. Es sei eher wie ein Leitfaden zu verstehen, der einem den Weg weisen könne, ähnlich wie Yoga oder Meditation. „Ayahuasca geht nur schneller“, sagt sie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels