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Kritik der Woche: Jens Fischer über „Nora oder Ein Puppenheim“ am GoetheplatzEine einschläfernde Kunstimplosion

Nebelumflorte Stellwände sind dschungelig überbordend mit botanischem Zierrat geschmückt. Ab und an lockt Löwengebrüll zum wilden, unerforschten Leben. Das Bühnenbild passt ironisch prima zur Schlussszene, wenn Ibsens Nora aus dem Ehegefängnis ins Freie flüchtet. Im Kleinen Haus ist das Szenario als Gegenentwurf zum Geschehen allerdings stets präsent. Das ganze Stück ein Bild: anämische Rollenspielrudimente vor sattgrüner Plastikpflanzenopulenz.

So inszeniert Felix Rothenhäusler das Emanzipationsdrama. Und verliert dabei die Frau aus den Augen, die manipuliert und als machtlose Puppe behandelt wurde, dann aber aus dem Schaden klug wird, mutig und handlungsfähig. 1879 war es noch revolutionär, darauf hinzuweisen, dass das Konzept Ehe mit männlich karrieristischem Ernährer und weiblich herzigem Schmuckstück für beide Beteiligte einengend, öde und zum Scheitern verurteilt ist. Heute sind die bürgerlich-patriarchalen Zwänge genauso bekannt wie die Möglichkeiten für andere Lebensmodelle.

Macht das Beziehungskriege auf der Bühne überflüssig? Nein, behauptete das Theater Bremen bereits mit „Szenen einer Ehe“, „Gift“ und „Eine Familie“ im Spielplan.

Mit „Nora“ nun noch ein weiteres Mal auf eine Erhöhung der Scheidungsrate hinzuwirken und den Markt für Single-Wohnungen noch weiter boomen zu lassen, wird den Oldenburger Staatstheaterkollegen überlassen, die mit einer klassisch biederen Inszenierung des Stoffes derzeit die üblichen Reflexe bedienen.

Rothenhäusler will das große Ganze zeigen: Wir spielen alle immer Rollen. So spricht das frontal vorm Publikum aufgereihte Hauptdarstellerquintett durchgehend leblos die locker collagierten Sätze des Stück-Personals, reicht die Rollen untereinander herum und gleicht dabei Schauspielrobotern, die für jede Figur nur minimalistisch mit Gesten, Posen, Grimassen programmiert sind.

Mechanisch werden diese ausgeführt – meist asynchron zum Text. Recht theatralisch reckt sich ein Zeigefinger gen Himmel, werden Arme zeremoniell verschränkt, Haare zeitlupig geschüttelt, gibt es Popoklatscher, Nasenstupser und staksiges Tanzbeinzappeln. Diesem maschinellen Leerlauf wird Gelächter zugespielt, wenn es nichts zu lachen gibt. Und Klatschen, wenn nichts Applauswürdiges passiert.

All das ist zehn Minuten lang durchaus Seifenoper-lustig. Aber Rothenhäusler zieht – wie immer – seinen Ansatz brutal konsequent 90 Minuten lang durch. Sicherlich schlau gedacht, aber zum Einschlafen langweilig gemacht. Denn so hohl wie diese Performance ist das Stück nicht. Und ein Rollenspiel auch nicht reduzierbar auf die Reproduktion von klischeehaften Bewegungen, Haltungen und Sprechakten.

Gerade Schauspieler wissen ja um die Fragilität von äußeren Rollenansprüchen und innerem Wollen. Sinnlich erlebbar machen, wie ein Mensch seine Verschalungen abstreift, sich seiner Zuschreibungen entledigt und nach eigenständigen Ausdrucksformen sucht, um ein Ich zu illusionieren – das kann Theater. Eine Kunstimplosion, die zeigt das Bremer Theater.

Termine: 6. März, 18.30 Uhr, 12. und 18. März, 20 Uhr, Theater am Goetheplatz, Kleines Haus

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