Glamourfreie Zone

Die Umsatzzahlen stagnieren, aber die Stimmung ist deutlich besser geworden: Auf der Frankfurter Buchmesse war viel vom Aufbruch zu neuen Märkten die Rede. Dabei mutieren vor allem Zeitungsverlage immer mehr zu Gemischtwarenläden

VON GERRIT BARTELS

Freitagnachmittag, kurz vor fünf, Halle 3.0. Am Stand des Piper Verlags gibt es einen Champagner-Umtrunk, der Verlag will sich selbst und insbesondere drei Erfolgsautoren und -autorinnen feiern. Verlagsleiter Wolfgang Ferchl hält eine kleine, launige Ansprache und hat dabei einen hübschen Satzdreher, als er von dem Erfolg spricht, den seine Autoren mit dem Verlag haben. Er korrigiert sich sofort: „den Erfolg, den wir mit euch haben“, und stellt sie in einer nach oben aufsteigenden Erfolgsreihe einzeln vor. Dafür hat er extra kleine Schildchen anfertigen lassen, auf denen groß die Gesamtauflagenzahlen stehen: Markus Heitz, ein Fantasy-Thriller-Autor, der mit „Die Rache der Zwerge“ in dieser Woche Platz fünf der Gong-Taschenbuchbestsellerliste erklommen hat. Bisherige Gesamtauflage seiner Bücher: 350.000. Sergio Brambaren, eine Art peruanischer Paulo Coelho, seine Gesamtauflage: zwei Millionen. Und schließlich, der Piper-Superstar und ökonomische Traum eines jeden Verlegers: Gaby Hauptmann, deren neuer Roman „Yachtfieber“ laut Piper-Marketing mit „hinreißend schwarzem Humor und einer Prise Erotik“ erzählt ist und „so anregend wie ein prickelnder Ausflug auf dem kristallklaren Wasser des Mittelmeers“ sein soll. Ihre mindestens zehn Bücher voll leichter Beziehungs-, Flirt- und Krimi-Prosa erscheinen in einer Auflage von sechs Millionen.

Drei Stunden später, beim traditionellen Empfang der Verlagsgruppe Droemer/Knaur, spricht Verlagsleiter Hans-Peter Übleis von einer „sehr angenehmen, sehr interessanten Buchmesse“ und einem „guten Jahr“, das man bei Droemer/Knaur gehabt habe. Danach rückt er, so ist das hier jedes Jahr ein sympathisches Ritual, die mit aktuellen Büchern aufwartenden Autoren und Autorinnen seines Verlages in den Mittelpunkt des Empfangs und stellt sie in alphabetischer Reihenfolge vor. Zum Beispiel Val McDermid, Sabine Kornbichler, Marc Levy oder Thomas Thiemeyer, die Hoffnungsträger für ein weiteres ertragreiches Jahr für die Verlagsgruppe.

Es sind dies zwei Beispiele dafür, dass die Stimmung bei der Frankfurter Buchmesse 2005 eine ausgeglichene bis gute war. Viele Verlagschefs und -mitarbeiter bis hin zu Kleinverlagen wie Blumenbar oder den Berliner Verbrechern konnten dieses Jahr mit für sie jeweils anständigen bis mehr als ansprechenden Zahlen und Aufmerksamkeitswerten operieren. Und all das trotz weiterhin stagnierender Umsatzzahlen auf dem Gesamtbuchmarkt und den zunehmend problematischer werdenden Entwicklungen im Buchhandel: Die Entschlossenheit, das Positive in den Vordergrund zu rücken, war überall zu bemerken, es löste das Jammern auf niedrigem Niveau und das bewusste Einrichten in der Krise aus dem Vorjahr ab. Selbst Joachim Unseld verkündete bei seinem Empfang mit strahlender Miene, dass er das nächste Frühjahrsprogramm der Frankfurter Verlagsanstalt einfach mal ausfallen lasse. Hier werde ein Titel nicht fertig, dort liefen andere noch gut, zumal das diesjährige Herbstprogramm mit Gert Loschütz und Marion Poschmann ein Knaller sei, und außerdem wolle er sich kraftvoll darauf konzentrieren, ein neues Buch seines französischen Autors Jean-Philippe Touissant zu übersetzen. Glücklich der Verleger, der sich eine Saison ausklinken kann. Um das Überleben kämpfen als kleiner Verleger ist das eine, kleine Freiheiten sind das andere.

Auffallend in diesem Jahr war zudem, dass nicht einzelne Programmpunkte, sondern die Buchmesse selbst das alles überstrahlende Top-Ereignis war, auch mit all Angeboten jenseits von Verlagsnovitäten und dem Gastland Korea. Als zentraler Teil einer sich ständig im Wandel befindlichen Medienwelt will sie sich zukünftig darstellen, und mit der Spielwarenmesse, der Antiquariatsmesse, der Pressemesse, dem Forum Film & TV oder dem Forum Fußball hatte sie ein breites, in seiner Gesamtheit Wirkung zeigendes Themenspektrum. Jürgen Boos, der neue Buchmessendirektor, sagte in Gesprächen und Pressekonferenzen immer wieder, dass „die Messe ihrer Zeit immer ein Stück weit voraus“ sein müsse, ohne jedoch den „Content“ zu vernachlässigen. Dieser komme für ihn immer vor der Verpackung, egal wie der jeweilige Medienträger vom Hörbuch bis zum mp-3-File nun lautet, und so würden das auch die Aussteller aus aller Welt sehen: Frankfurt, so malte Boos ein kleines schlappes Bild, sei der Stein, der ins Wasser geworfen wird – und dann Wellenkreise in die ganze Welt zieht.

Und zuerst in Frankfurt und Umgebung selbst: Am Samstag, dem ersten Publikumstag, war praktisch von frühmorgens an schon kein Durchkommen mehr, nicht auf dem Gehsteigen der vom Hauptbahnhof führenden Friedrich-Ebert-Anlage und dem Messeweg, und schon gar nicht in den Hallen: Stop and go hieß es hier fast überall. Und das alles ohne spektakuläre Auftritte von skandalträchtigen B-Prominenten oder alten Boxlegenden – eine Nena, ein überall sich herumtreibender Ulrich Wickert oder eine Ulrike Folkerts erregten nicht mehr Aufsehen als eben Val McDermid, Markus Heitz oder Nick Hornby.

Das verleitete zwar manchen professionellen Berichterstatter gleich übellaunig von einer „langweiligen“, irgendwie durchschnittlichen Buchmesse zu sprechen. Doch passt es ins Bild, wenn einer der Stars der Messe ein Schriftsteller wie Ingo Schulze war. Dieser schaffte es durch unermüdlichen Einsatz, über Feuilleton und Literaturkritik hinaus ein größeres Publikum anzusprechen – selbst wenn er bezüglich seiner Verkaufszahlen keinem Vergleich mit beispielsweise Gaby Hauptmann oder Sergio Brambaren standhalten kann. Ingo Schulze verkörpert den alljährlichen Buchmessenstar als Anti-Star, frei von Glamour repräsentierte er die diesjährige Buchmesse: literarischer Inhalt vor Autoren-Ego, Seriosität und Nachhaltigkeit vor Spektakel.

So hübsch stimmungsvoll das alles war, so sehr war natürlich auch von Entwicklungen die Rede, die die Buchmesse selbst primär nicht betreffen, draußen in der Buchwelt aber mit Tempo voranschreiten und bei mittelständischen Verlagen und kleinen Buchhändlern die Sorgenfalten eher tiefer werden lassen. Hatte es schon viel Symbolkraft für die Situation des Buchhandels, dass Börsenvereinsvorsteher Dieter Schormann im Vorfeld der Buchmesse ankündigte, seine Gießener Buchhandlung zu schließen und mit einem Teil seiner Mitarbeiter bei der Buchhandelskette Thalia unterzuschlüpfen (woraufhin er seinen Börsenvereinsvorsteherjob für Ende des Jahres aufkündigen musste), so passt es dazu gut, dass dieser Tage der Thalia-Konkurrent Weltbild in Gießen und Ratingen das dritte und vierte Geschäft einer neuen Kette namens Weltbild! eröffnet. Diese ist nach Weltbild plus und Jokers die dritte Buchhandelskette der Augsburger Weltbildgruppe, dem größten Medienhaus im deutschsprachigen Raum, und soll in naher Zukunft den 300 Filialen der Gruppe mindestens fünfzig weitere hinzufügen.

Im Gegensatz zu Weltbild plus und Jokers, die wenige Bücher für wenig Geld verkaufen und vergrabbeln, soll Weltbild! eine Art Büchersupermarkt werden, „das Buchgeschäft mit Frischegarantie“, wie es in Weltbild-Kreisen fies urpsig heißt: Monatlich wechselnd bieten die Weltbild!-Filialen die Neuerscheinungen des Buchmarktes an, und anders als bei Weltbild plus und Jokers können alle lieferbaren Bücher bestellt werden. Neue, sehr mächtige Konkurrenz für die traditionellen Buchgeschäfte also, aber auch für die Verlage: Erstmals tritt die Weltbild-Gruppe jetzt auch als Verlag mit deutschen Erstausgaben von internationalen Titeln in Erscheinung. Den Anfang machen unter anderem die US-Bestsellerautorin Nora Roberts mit ihrem Roman „Tödliche Flammen“ und der Kramer-gegen-Kramer-Autor Avery Corman mit seinem neuen Buch „Eine perfekte Scheidung“.

Natürlich führt die Weltbild-Gruppe daneben ihre Buch-Editionen mit der Bild-Zeitung und dem Stern fort, doch ist sie zumindest auf diesem Gebiet im Vergleich zur Süddeutschen Zeitung geradezu ein kleiner Hecht. Die SZ kündigte an, im ersten Quartal 2006 eine 50-bändige Krimi-Bibliothek zu starten und beginnt Ende November mit einer 15-teiligen Bild-Text-Fußballbände-Reihe. Schon ohne diese beiden Editionen ließ der deutlich größer gewordene SZ-Stand kaum noch erkennen, dass hier eine Tageszeitung sich vorstellt, so viele Bücher, CDs und DVDs stapelten sich in den Regalen. Ihr Anblick warf Fragen auf: Ob die Tageszeitung da noch als „Kerngeschäft“ zu bezeichnen ist? Ob die SZ-Zeitungsmarke die anderen Marken ewig trägt und gegen das Billigimage der Buch- und CD- und DVD-Reihen ankommt? Ja und findet sich der SZ-Leser überhaupt noch durch die Reihen, die vom Feuilleton inzwischen schon an zwei unterschiedlichen Tagen vorgestellt werden müssen? Mag das alles im Moment noch ertragreich sein – auch der Stern, die Zeit und selbst die Financial Times sind demnächst mit neuen Editionen am Start: Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dieser Markt spätestens bei der Frankfurter Buchmesse 2006 seine Sättigung erreicht haben wird.