Berliner Szenen: Makler treffen
Ein spitzer Schrei
„Kannst du heute 17 Uhr spontan auf eine Besichtigung gehen?“, fragt A. am Telefon. Sie klingt müde.
Seit gut anderthalb Monaten suchen wir eine Wohnung in Berlin. Seitdem vernachlässigt sie ihr Studium, um Vermieter anzurufen. Seitdem besichtige ich jede Wohnung, die auch nur ansatzweise vielversprechend klingt. So wie diese.
Ich komme ein paar Minuten zu spät und reihe mich in die Gruppe junger Menschen ein, die sich vor der Altbaufassade versammelt hat. Kurze Zeit später stößt mit einem herzlichen „Guten Abend“ auch der Makler dazu. Ich grüße zurück und freue mich. Schließlich habe ich ihn schon gut 48 Stunden nicht mehr gesehen.
„Hier erwartet Sie eine Wohnung der besonderen Art“, schürt er die Spannung und schließt die Haustür auf. Und tatsächlich: Was sich im Dachgeschoss verbirgt, wirkt wie eine Szene aus dem Nachmittagsprogramm von RTL 2. Die Möbel liegen begraben unter Bergen von Unrat. Überall stehen Kartons, aus denen Krimskrams wuchert. Die InteressentInnen, die sich in die Schlange ganz nach vorn gemogelt haben, drehen bereits auf der Türschwelle um. Ich folge den Verbliebenen mit einer Mischung aus Ekel und Faszination.
Wer hier wohl mal gelebt hat? Ich greife einen ungeöffneten Brief aus einem Karton, lese einen Namen. Aus der Küche kommt ein spitzer Schrei. Jemand hat den Kühlschrank geöffnet.
Der Makler erklärt die geplanten Umbaumaßnahmen und die zukünftige Miete. „Zu teuer“, denke ich und verlasse die Wohnung.
Drei Tage später treffe ich den Makler bei einer anderen Besichtigung wieder. „Wenigstens keine Messi-Wohnung“, seufze ich erleichtert, als er die Tür öffnet. „Die Messi-Wohnung ist schon vermietet“, freut er sich und kramt seine Unterlagen hervor. Ronny Müller
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen