Hans und Hilde Coppi im NS-Widerstand: Am Rande der Stadt
Hans Coppi wäre am 25. Januar hundert Jahre alt geworden. Ein fast vergessener Kämpfer gegen die Nazis. Aber eben nur fast.
Aber während alljährlich im Juli die Bundesprominenz dem Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seinen Gefährten mit einem Festakt im Zentrum der Hauptstadt gedenkt, wird die Feier an diesem Montag im Hans-und-Hilde-Coppi-Gymnasium bescheiden sein. Die Schule hat eingeladen: Mitglieder der Familie Coppi, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, den Leiter der Gedenkstätte deutscher Widerstand, Lokaljournalisten, Bezirkspolitiker.
Der militärisch-konservative Widerstand hat sich in das deutsche Kollektivgedächtnis eingeprägt. Der vielfältige zivile Widerstand, politisch oder weltanschaulich orientiert, verschwindet dahinter. So wie der Widerstand von Hans Coppi und seiner Frau Hilde.
Ihr Leben muss man sich als ein Daumenkino vorstellen. Ein Bilder-Fächer, dessen Grausamkeit sich umso stärker entfaltet, da er so sonnig beginnt. Die ersten Szenen zeigen ein jung verliebtes Paar.
Hochzeit im Sommer 1941
Hans Coppi, einst Schüler der reformpädagogischen Schulfarm Scharfenberg, jobbt als Dreher in einer kleinen Maschinenfabrik. Einer wie er kann nicht landen in Nazi-Deutschland: Jungkommunist ist er, hat Flugblätter gegen das Nazi-Regime verteilt und kommt dafür 1934 zwei Monate ins Konzentrationslager Oranienburg, dann acht Monate in die JVA Plötzensee. Nach der Haft ist vor der Haft, so verläuft sein Leben. Hans Coppi trifft sich weiter mit seinen Scharfenberger Freunden, die wie er denken, und sucht Kontakt zu weiteren Hitler-Gegnern. Wieder Flugblätter – und nun auch Fluchthilfe für bedrohte Regimegegner.
Dann sie, Hilde, noch heißt sie mit Nachnamen Rake, gelernte Arzthelferin. Sie arbeitet als Sachbearbeiterin der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte. Auch bei ihr verhüllen die Bilder mehr, als sie preisgeben. Hilde hat ihren jüdischen Lebensgefährten Franz Karma ans Exil verloren, es war seine Konsequenz aus der Reichspogromnacht 1938. In der Folge wendet Hilde sich umso mehr kommunistischen Freunden zu. Leuten, die wie sie etwas gegen die Nazis haben.
Das Daumenkino zeigt Hans und Hilde das erste Mal beim Neujahrsspaziergang 1940. Sie haben sich gerade kennengelernt. Er ist 24, sie sieben Jahre älter. Es zeigt sie beim Paddeln auf dem stillen Lehnitzsee nördlich von Berlin. Beim Zelten, Schwimmen, Skifahren. Sie lesen viel, den so deutschen Goethe und den eleganten Kommunisten Kisch; sie hören Musik, Konzerte von Mozart und genau so Ernst Buschs Arbeiterlieder. Ein modernes, bildungshungriges Paar, intellektuelles Proletariat, würde man heute wohl sagen. Im Sommer 1941 feiern sie ihre Hochzeit mit Freunden in ihrer Gartenlaube am nördlichen Stadtrand.
„Sorge um Deutschlands Zukunft geht durch das Volk“
Doch es entfalten sich auch andere Sequenzen, meist im Dunkel der Wohnungen von Freunden oder im Schatten des waldigen Berliner Nordens, in Abgeschiedenheit: Hans Coppi im Gespräch mit dem Widerstandskämpfer Harro Schulze-Boysen, der ihm wenige Tage vor dem Überfall auf die Sowjetunion zwei Funkgeräte übergibt. Hans Coppi beim Morsen. Es klappt aber nicht mit der Funkverbindung nach Moskau. Hans Coppi beim Adressieren und Eintüten Hunderter gedruckter Exemplare von Harro Schulze-Boysens Flugschrift „Die Sorge um Deutschlands Zukunft geht durch das Volk“, bei deren unauffälligem Versenken in Briefkästen.
Dann Hans und Hilde Coppi am 17. Mai 1942 im nächtlichen Berlin. Sie kleben Spuckis – Zettel, die sie wie eine Briefmarke nur anlecken müssen, damit sie haften. Darauf steht: „Krieg – Hunger – Lüge – Gestapo – Wie lange noch?” Ihr Protest gegen die NS-Propaganda-Ausstellung „Das Sowjet-Paradies“. Später mit dem Moskauer Emissär Albert Hößler, der mit einem Funkgerät über Ostpreußen abgesprungen ist und sich Mitte August 1942 nach Berlin durchschlägt.
Sie sorgen für Unterkunft, Kleidung, Lebensmittel. Hilde beim Abhören von Radio Moskau, sie notiert sich die Adressen von deutschen Kriegsgefangenen, will Familien darüber informieren, dass ihre im Krieg vermissten Söhne und Väter in sowjetischer Gefangenschaft überlebt haben.
Am 12. September 1942 verhaftet
Die entscheidende Szene in Hans und Hilde Coppis Leben zeigen die Bilder nicht, sie spielt sich im Off ab. In Brüssel nimmt die Ordnungspolizei am 30. Juni 1942 den Funker Johann Wenzel fest. Gestapo-Beamte foltern ihn, erpressen den Code zur Entschlüsselung der Moskauer Funksprüche – und decodieren eine Depesche, in der Harro Schulze-Boysen als Kontaktperson in der Hauptstadt genannt ist.
Die Gestapo bildet die „Sonderkommission Rote Kapelle“, rot steht für bolschewistisch, Kapelle für eine Combo von „Pianisten“, die an der Morsetaste aufspielen. Die Geheimpolizei spürt in den nächsten Wochen über 120 Angehörige verschiedener Berliner Widerstandskreise auf, die mit Schulze-Boysen in Verbindung gebracht werden können. In den folgenden Prozessen stellt das Reichskriegsgericht dieses Konglomerat an Widerstandskreisen als ein aus Moskau gelenktes Spionagenetz dar.
Die „Rote Kapelle“ ärgert die Nazis besonders. Sie ist ein Affront, denn hier tun sich Antifaschisten verschiedener sozialer Milieus und politischer Ansichten zusammen. Adlige und Bürgerliche, Künstler und Arbeiter, Sozialdemokraten und Kommunisten, Christen und Freidenker, Angestellte, Schüler und Studenten, vereint in ihrem Widerstand gegen die Nazis. Und mittendrin Hans und Hilde Coppi.
Und so gleitet ihr Lebensfilm ins Dunkel ab. Die nächsten Bilder zeigen Hilde am 12. September 1942, wie sie von der Gestapo verhaftet wird. Schwarze Limousinen, Männer in Hut und Ledermantel, im Hintergrund die Laube im Berliner Stadtteil Reinickendorf. Hans und Hilde sind seit einem Jahr verheiratet, Hilde ist hochschwanger. Auch Hans Coppi wird gefasst. Nach Verhör und Folter in der Prinz-Albrecht-Straße 8 – wo heute die Gedenkstätte Topographie des Terrors an die Nazizeit erinnert –, ist Hans im „Hausgefängnis“ der Gestapo zu sehen, konzentriert Briefe an seine Frau schreibend. Hilde sitzt im Frauengefängnis Barnimstraße.
In Plötzensee ermordet
Dann der 27. November 1942, etwas Licht im Dunkel, Hans Coppi junior wird geboren, die Großeltern haben Windeln ins Gefängnis geschickt. Am 9. Dezember schreibt Hans seiner Hilde: „Nun habe ich ja gestern unseren Jungen gesehen und angestaunt. Es war gut, dass ich ihn wenigstens berührte, sonst glaubte ich heute, es war ein schöner Traum. Ganz bin ich noch gar nicht wieder hier in meiner Zelle, vieles, was ich gestern sah, kommt mir erst jetzt ins Bewusstsein.“ Es ist sein letzter Brief.
Am 19. Dezember wird Hans Coppi im Prozess gegen die Hauptangeklagten der „Roten Kapelle“ vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt – Vorbereitung zum Hochverrat, Feindbegünstigung und Spionage. Und der NS-Staat hat es eilig. Am 22. Dezember wird Hans Coppi zusammen mit Harro Schulze-Boysen und weiteren neun zum Tode Verurteilten in Plötzensee ermordet.
Die Bilder: nur noch grau in grau. Hilde in der Haft, ein gutes halbes Jahr noch, auf der Krankenstation – wo soll eine Frau mit Säugling sonst auch hin, im Gefängnis, das Kind immer dabei, wickelnd, stillend, im Arm haltend? Der NS-Staat macht ihr am 20. Januar 1943 den Prozess. Auch bei ihr plädiert Chefankläger Manfred Roeder auf Tod.
Am 21. Juli sieht sich Adolf Hitler im Führerhauptquartier ein Schriftstück an und setzt vor Hilde Coppis Namen ein Häkchen. Ihr Gnadengesuch ist abgelehnt. Hilde Coppis Leben endet am 5. August 1943, ebenfalls in Plötzensee. Die junge Mutter wird enthauptet, Hans junior der Großmutter ausgehändigt. Er ist neun Monate alt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen