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Balladen, Trolle, Gendertrouble

Performance Die Geister der Natur können durchaus hilfreich sein, wenn es darum geht, sich selbst zu entwerfen. Das zeigten junge Künstlerinnen und Künstler auf dem Festival Nordwind in den Sophiensælen

„The Phenomen of Nature or 99 landscapes with trees“ heißt diese Aktion des russischen Künstlers Andrey Kuzkin, den Nordwind im Rahmen des Festivals nach Hamburg brachte. Gar nicht so weit von „Soil Girl“ aus Norwegen, das in Berlin zu sehen war Foto: Asya Prazhkaya

von Katrin Bettina Müller

Der Nordwind bläst kalt. Er wirbelt die Schneeflocken auf. Es ist dunkel bis auf ein flackerndes Licht, das von unterhalb der Schneedecke zu kommen scheint. Da rumort es, da sind gigantische Kräfte am Werk, verschieben Hügel, lassen Krater aufplatzen, bauen Wälle und tauchen wieder ab.

In ihrer Heimat Norwegen, wo Dunkelheit und Kälte viele Tage des Jahres bestimmen und man mit den Geistern der Natur einen besseren Kontakt pflegt als wir hier, haben Ingeleiv Berstadt, Kristin Helgebostad und Ida Wigdel schon Tanzstücke für draußen, in der Landschaft, entwickelt. Ihr Stück „Soil girl“ transportiert mit Windmaschinen und Styropor-Flocken eine kräftige Anmutung davon in den Saal. Damit waren die drei jungen Norwegerinnen, die sich in Oslo an der Kunsthochschule kennenlernten, zum Festival Nordwind eingeladen, in die Sophiensæle. Ihre Gesichter erinnern an grimmige Masken von Dämonen und Hexen, wenn sie (die Lippen von Spangen verzerrt, die langen Haare vom Wind hochgetrieben) sich über ihre Lampen beugen. Sie sind Trolle in diesem Stück, aber auch junge Frauen, die die Entfesselung ihrer Energien genießen und in der Verwandlung in stampfende und bedrohliche Wesen, die hässlich sein können und erschrecken, auch ein Stück der Vorhersehbarkeit ihrer Rolle abstreifen.

Mord eines Transvestiten

Das Festival Nordwind, das neben Berlin auch auf Kampnagel in Hamburg, in Dresden und in Bern in der Schweiz gastiert, begann mit Performances russischer Künstler und der Ausstellung Balagan. Die letzte Woche war den Skandinaviern gewidmet, deren Tanz- und Theater-Szene Ricarda Ciontos, Direktorin des Festivals, seit 2006 mit Nordwind auf Tour schickt. Nicht nur das Programm ist dabei für Überraschungen gut – etwa ein Buffet, das die Besucher der Sophiensæle zwischen Buchvorstellung und Auftritten verwöhnte, einmal war es ein Unfall, als in einer Kampfszene eine Schauspielerin einen Absatz an den Kopf bekam und die Premiere von „Boys don’t cry“ abgebrochen werden musste. Die nächsten Aufführungen des Stücks, in dem die Gruppe Mungo Park von der Ermordung eines Transvestiten erzählt, fanden dann aber statt.

Männer sind lustig. Besonders wenn das Gesäß unter dem Hemd hervorblitzt

Einmal spielte die Erzählung gar nicht im Norden, sondern im Süden. In einer Ballade sangen Cecilie Ullerup Schmidt und Andreas Liebmann von ein paar Tagen, die sie bei Geflüchteten aus Nigeria in Sizilien verbracht hatten. Sie tauschten mit denen, die mit Booten gekommen waren, Lieder und Geschichten, von „Abenteuern an fernen Küsten“, die sie nun, wie auch ihre Gedanken über Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, in Verse fassten. Das war eine gelungene, episodische Form, um von der kurzen Berührung mit einer Welt zu erzählen, die den Künstlern ja immer auch wieder eine Tür zurück in ihr privilegiertes Leben lässt; für die, die in Sizilien auf die Klärung ihres Status und ihrer Rechte, Europäer zu werden warten, aber ist der Ausgang ungewiss. „Exodus – The Tale of the New Europeans“ zeichnet sich durch Bescheidenheit und Demut aus gegenüber den Schicksalen, die kurz berichtet werden. Das Stück wird hoffentlich nochmal in Berlin zu sehen sein.

Männer sind lustig. Besonders wenn sie hüpfen und das nackte Gesäß unter dem Hemd hervorblitzt. Das schien zumindest das Publikum im Hochzeitssaal der Sophiensæle so zu empfinden, als es dem Männertrio GMH (Gerro, Minos and him) mit viel Gekicher zusah. Dem Gendertrouble, dem Festgenähtwerden in einer Identität, begegneten die drei mit einem Neustart in der Infantilität. Wie aus dem Nest gefallene Küken, die richtungslos umeinander purzeln, begannen sie. Und wenn dann später auch ein Gerangel um Vormacht, ein Posen und Starktun in ihre Bewegungen schlich, so wurde das doch meist bald wieder gebrochen. Ihr Auftritt lebte von einem improvisierenden Gestus, einem Ausprobieren dessen, was in der Begegnung entsteht – jederzeit bereit, gerade entstandene Behauptungen des Körpers wieder wegzuwischen.

Das Publikum von Nordwind, oft jung, mehrsprachig und selbst in der Kunstszene unterwegs, hat das auch zu schätzen gewusst: nicht durchformulierten Ergebnissen, sondern dem Entwerfen von Konzepten und den Suchbewegungen beizuwohnen, wo es denn hingehen kann mit der Kunst. Auch wenn die wenigsten Performer solche Bekanntheit genießen wie die Musikerin Anna von Hauss­wolf (taz vom 5./6. Dezember), deren Konzert am Sonntag den Abschluss bildete.

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