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FEUILLETON Ruth Landshoff-Yorcks Texte lassen den Geist der zwanziger Jahre schmeckenRole Models mit Schnurrbart

Die Zigarettenspitze zwischen den Lippen, die Schreibmaschine auf dem flachen Bauch balancierend, entspannt auf dem Sofa liegend, so tippte Ruth Landshoff-Yorck ihre Texte. Zumindest ließ sie sich so abbilden in der Zeitschrift Das Leben,1931. Da war sie schon eine bekannte Meisterin der federleichten Form, die seit 1927 zahlreiche Feuilletons in der Berliner Illustrierten, der Dame, Tempound weiteren Blättern des mondänen Lebens veröffentlicht hatten. Walter Fähnders, der im Aviva Verlag schon für die postume Publikation der Romane der lange vergessenen Autorin sorgte, hat dort jetzt fast 50 dieser Texte herausgegeben.

Viele davon lesen sich überraschend aktuell, als würde der Zeitgeist der 20er Jahre in den Rollenmodellen für junge Frauen gerade eine Wiedergeburt erleben. Es geht um Tweed und Karos, Frauen mit Schnurrbart, ums Flirten, um Rollentausch und den guten Kumpel, der in jedem modernen Mädchen steckt. Das Einzige, was nicht so recht in unsere Zeit passt, ist das schwärmerische Verhältnis zum weißen Damenautomobil, für Ruth Landshoff-Yorck ebenso sehr ein Instrument der Emanzipation wie ihre Schreibmaschine.

„Sei nett. Nicht nur zu jungen Männern, Hotelportiers und Eisenbahnschaffnern, wo es einen Sinn hat, da du dadurch bequemer lebst, – sei nett auch ohne Grund aus Luxus, deinem Gesichtsausdruck zuliebe und sogar gegen Frauen“, rät die Autorin jungen Mädchen. Da lässt die feine Ironie dieser letzten Wendung schon ahnen, dass die Emanzipation der neuen Frau noch ein Spiel an der Oberfläche ist, in einem privilegierten Milieu. Andere Texte erzählen durchaus von patriarchaler Macht, anekdotisch verpackt in Episoden zwischen jungen Girlies, die eine Rolle am Theater wollen, und dem Hunger alter Impresarios nach ihrer Jugend.

Man unterhält sich gut mit dem „Mädchen mit wenig PS“, dennoch bekommt man hier nur einen Zipfel der Autorin zu fassen. Nie verlässt sie in diesen Texten der Ton des Unbekümmerten. Nichts weist auf den erstarkenden Nationalsozia­lismus hin, der ihr als Jüdin und eigenwilligen Autorin das Publizieren in Deutschland ­später unmöglich machte. Ab 1932 lebte sie in Frankreich, 1937 emi­grierte sie in die USA. Katrin Bettina Müller

Ruth Landshoff-Yorck: „Das Mädchen mit wenig PS“. Aviva Verlag, Berlin 2015, 220 Seiten, 18,90 Euro

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