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In den Nischen entstehen die seltsamsten Berufe

Ausnutzen Ihr Geschäftsmodell: Sie füllen Online-Formulare für Visaanträge in die USA aus. In einemLand mit so eingeschränktem Internetzugang kann das sehr lukrativ sein

Von Marita Pérez Díaz

Kuba ist das Land der seltsamsten Berufe. Die unglaublichsten Geschäftsfelder entstehen in den Nischen der Gesetze, und die Cleveren schlagen Profit daraus, dass die große Mehrheit keine Verbindung zum Internet hat.

Ein solcher Fall sind die planilleros, „Formularausfüller“ für Auslandsreisen, die im ganzen Land immer mehr werden. Ihre lukrative Dienstleistung besteht einfach darin, ein Online-Formular auszufüllen, wie es manche Botschaften für einen Visaantrag verlangen. Zum Beispiel die der USA, und dafür zahlt man dem planillero zwischen 15 und 20 CUC.

Eigentlich gibt es dafür keinerlei rechtliche Grundlage. Die Gewerbelizenz der planilleros weist in der Regel „Schreib­arbeiten“ als Geschäftsfeld aus – das kommt dem, was sie tatsächlich tun, noch am nächsten. Es gibt auch keine Erlaubnis, zu Hause einen Internetzugang zu haben (mit Ausnahme von ein paar Journalisten, Medizinern, Wissenschaftlern und Regierungsfunktionären). Und so haben viele planilleros eine Modemverbindung mit einem geschmuggelten Gerät, um eine Tätigkeit auszuführen, die in einer rechtlichen Grauzone liegt. All das ist ein offenes Geheimnis.

Ein kollektiver Aberglauben spricht bestimmten planilleros besondere Fähigkeiten zu. „Der planillero von der fünften Straße Ecke L füllt immer unsere Formulare aus, ich nehm ihn bei jeder Reise. Sag ihm, dass du von mir kommst!“, riet mir eine Freundin.

Und Anfang 2014 bin ich dann auch zu ihm gegangen.Ein Junge von 19 Jahren empfing mich in einem kleinen Raum mit zwei Sofas und einem Tisch mit Laptop, Drucker und Festnetztelefon. Als ich hereinkam, diskutierte er gerade mit einem Kunden über einen Rechtschreibfehler in einem bereits ausgefüllten Formular: „SoftWEAR-Entwickler“ stand da. Laut dem planillerowar das vollkommen unwichtig, nein, er könne das Geld nicht zurückerstatten, nein, die Konsularbeamten scherten sich nicht um solche Details, mach dir keine Sorgen …

K., der nicht will, dass sein Name veröffentlicht wird, benutzt meinen Pass und die Daten, die er vorher von mir erfragt hat. Das Ausfüllen des Formulars DS-160 für eine US-Reise ist sehr einfach und würde nur zehn Minuten dauern, wenn die Verbindung nicht dauernd zusammenbräche. So dauert es drei Stunden. Nach dem Be­zahlen gehe ich mit dem Gefühl, einem Betrug aufgesessen zu sein.

Mitte 2015 ließ die kubanische Regierung an verschiedenen zentralen Punkten WLAN-Hot­spots einrichten. Deshalb sagte ich einer alten Freundin, sie sollte keinesfalls zu einem planillero gehen, als sie etwa ein Jahr nach meinem Besuch bei K. ein Visum brauchte. Wir setzten uns auf eine Treppe und füllten das Formular der US-Botschaft aus. Es kostete 2 CUC für eine Stunde Internet und dauerte keine Viertelstunde. „Ah“, dachte ich schadenfroh, „Das war’s mit den planilleros!“ Aber vor Kurzem sah ich an der Rampa, einem bekannten WLAN-Hot­spot in Havanna, einen jungen Mann, der mit einem Laptop durch die Reihen der noch unerfahrenen Internetnutzer lief. Diskret raunte er ihnen zu: „Formulare ausfüllen, Señores?“

Marita Pérez Díaz,25, arbeitet sowohl beim staatlichen Fernsehen als auch als Redakteurin des in den USA herausgegebenen Print- und Olinemagazins OnCuba.

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