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Lichtlose Insekten

BAYREUTH Katharina Wagner hat die Festspiele eröffnet mit einer eigenen Inszenierung von „Tristan und Isolde“. Alles endet im Nebel der Sinnlosigkeit, aber Isolde überlebt

Zweiter Aufzug aus „Tristan und Isolde“: Georg Zeppenfeld (König Marke) mit Stephen Gould (Tristan) Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

von Niklaus Hablützel

Die Fassade des Festspielhauses ist immer noch eingerüstet, die Parade der deutschen Prominenz davor war trotzdem auch dieses Jahr gut gefüllt. Natürlich war auch Angela Merkel da, ihre Liebe zu Richard Wagners Opern darf als glaubwürdig gelten. Ob das auch für Katharina Wagner gilt, ist so sicher nicht. Sie scheint unter dem Werk ihres Vorfahren eher zu leiden. Seit 2008 leitet sie die Festspiele, aber noch im Jahr davor hatte sie am Fall der „Meistersinger von Nürnberg“ so rabiat mit den politischen Erblasten ihrer Familie abgerechnet, dass es der Bayreuther Stammgemeinde überwiegend grauste.

Diesmal geht es leiser zu, dunkler und allgemeiner. Es beginnt im Rohbau eines Hochhauskellers, Betonpfeiler füllen die Bühne bis unter die Decke, dazwischen führen Treppen nirgendwohin und wieder zurück. Das Programmbuch erinnert an Giovanni Battista Piranesis „Carceri“, dafür aber fehlt die Bösartigkeit. Frank Philipp Schlößmanns Bühnenbau zeigt nur kompakte Sinnlosigkeit.

Winzig klein krabbeln Menschen darin herum. Sie scheinen ihr Schicksal zu beklagen. Zwei Frauen vor allem wetteifern darin, die Soprane Evelyn Herlitzius (Isolde) und Christa Mayer (Brangäne). Der Bariton Iain Paterson (Kurwenal) mischt sich erfolglos ein, schließlich kommt Stephen Gould (Tristian) dazu, der Tenor, und es endet in einer Umarmung. Glücklich sieht sie nicht aus, an Liebe ist an diesem Ort nicht zu denken.

Es sind auch gar keine Menschen, es sind Insekten. Im zweiten Akt sind sie gefangen in einer schwarzen Tonne. Am oberen Rand sind Männer an Scheinwerfern erkennbar, die beobachten, was unten geschieht. Glänzend polierte Stahlrohre liegen herum: Spielgeräte, die zu Fallen werden, in denen sich die Versuchsobjekte verheddern. Iain Patterson und Christa Mayer versuchen es zu verhindern, aber es kommt trotzdem zum Paarungsakt.

Herlitzius und Gould bauen sich dafür zuerst ein Kuschelzelt. Wenn es dann ernst wird, stellen sie sich mit dem Rücken zum Saal mitten auf die Bühne. Ein Scheinwerfer erzeugt einen blassen Schatten ihrer Körper auf der Rückwand. Das Bild endet mit dem Einbruch von Georg Zeppenfeld (Marke), dem Bass. Er trägt Hut und Mantel. Er ist der Oberkäfer, Raimund Nolte (Melot) begleitet ihn im tiefen Bariton. Unter Tumult und Wehklagen wird der Versuch beendet.

Danach ist nur noch dunkelgrauer Nebel zu sehen. Manchmal tauchen darin blasse Tetraeder auf, Gehäuse für schemenhafte Erscheinungen eines Liebespaares. Noch einmal sorgen der fesche Zeppenfeld und seine Männer für Mord und Totschlag, einsam gleitet danach die Stimme von Evelyn Herlitzius in die Agonie. Aber Isolde stirbt diesmal nicht. Nach ihrem letzten Ton packt der Bass seine Kollegin am Arm und führt sie ab.

Vorhang zu und ein paar Fragen offen, die zu viel sind. Ka­tha­rina Wagner hat das Werk in einen existenziellen Raum der Sinnlosigkeit entführt, in dem es kaum noch zu erkennen ist. Vor allem die Musik widerspricht dem beharrlich mit ihrer rauschhaften Feier der sexuellen Leidenschaft, in der Tristan und Isolde nicht nur Opfer sind, sondern auch Helden der Befreiung von Konvention und Wohlanständigkeit.

Nun sind sie gefangen im Labor einer Regie, die ihnen nicht guttut. Vor allem Evelyn Herlitzius leidet sehr. Ihre Stimme ist niedergedrückt von tonnenschweren Lasten. Nie klingt sie frei aus, alles ist angestrengt, wacklig, und manchmal sogar löchrig. Ein paar vereinzelte Buhrufe am Ende waren deshalb nicht unverdient.

Christian Thielemann am Pult war keine Hilfe. Auch er bekam deswegen nicht nur Beifall. Er ist soeben zum musikalischen Leiter der Bayreuther Festspiele ausgerufen worden. Das Amt gab es bisher nicht, und er hat sich für die Ehre bedankt wie das Beamte eben tun: mit korrekter Routine. Immer klingt das Festspielorchester so brav, wie man es erwartet. Die Pflicht ist getan, aber nie war etwas zu hören, das mit den Konventionen dieses Ortes bricht.

Auch Stephen Gould tut dies nicht, aber er ist wahrscheinlich der beste Tristan, den es zurzeit gibt. Seine Stimme ist ideal, denn Wagner hat die Rolle eigentlich für einen Bariton geschrieben, der in den Momenten seines sexuellen Drogenrausches komplett ausflippt in die Siegfriedhöhen des Heldentenors. Genau das kann Gould wie kaum ein zweiter.

Auch Christa Mayer hatte einen sehr guten Tag. Im Treppengewirr des Anfangs war nicht immer klar zu unterscheiden, wer denn nun Isolde und wer Brangäne ist. Das lag nicht nur an den Schwächen von Herlitzius, sondern daran, dass Mayer als Einzige versucht hat, ihrer Figur einen individuellen Charakter zu geben.

Wer ist Brangäne? Das ist eine der Fragen, die bei dieser Oper immer offen bleiben müssen. Guter Geist oder böse Drogenhexe? Dass sie sich auch jetzt wieder stellt, ist allein das Verdienst von Christa Mayer, und einer der wenigen Lichtblicke in dieser lichtlosen Verschlusssache von Katharina Wagner. Niemand entkommt ihrer Idee der zeitlosen Ausweglosigkeit.

Man soll nicht darüber reden, was sich die Skandalnudel Richard damals ausgedacht hat an sexueller Zügellosigkeit unter Drogen. Es ist ein behütetes Familiengeheimnis – und ein ziemlich peinliches offenbar. Als Einzige hat sie verzichtet, zum Applaus vor den Vorhang zu treten. Ob es den Bayreuther Stammgästen gefallen hat, weiß man deswegen nicht.

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