Der akustische Womanizer

FOLK Der kanadische Songwriter Ron Sexsmith spielt eines seiner seltenen Deutschland­konzerte. Unsere Autorin ist begeistert und zeichnet das Konzert mit Tusche

So sah das ungefähr aus, Sonntagabend im Heimathafen Neukölln Foto: Zeichnung: Imke Staats

von Imke Staats

Der Sonntagabend ist der schwülste Abend des Jahres. Als solcher wäre er auch gut gewesen für bloßes Rumhängen im Restaurant „Beim Griechen“, um das Ergebnis der Abstimmung zur der Schuldenfrage abzuwarten. Da musste es schon etwas Besonderes sein, um Menschen für mehrere Stunden in einen geschlossenen Raum in Berlin-Neukölln zu locken.

Dieses Kunststück schaffte ein kanadischer Singer-Songwriter, der den Heimathafen im Saalbau so füllte, dass dieser noch mit weiteren rot-goldenen Sitzmöbeln auf 300 Plätze „aufgestuhlt“ werden musste. Ron Sexsmith ist einer der besten Songwriter unserer Zeit. Der Kanadier gab am Sonntag in Berlin eines seiner zwei Deutschlandkonzerte zur Präsentation seines neuen, im Frühjahr erschienenen Albums „Carousel One“. Es ist selbstproduziert - und wie die meisten der zwölf Vorgänger von Kennern und Presse hochgeschätzt. Das Cover zeigt Ron Sexsmith lächelnd, eine Ausnahme bei dem Herrn mit dem runden, alterslosen Gesicht.

Auf der Bühne des Saalbaus lächelt einer allerdings nicht: der Bernhardiner, der auf der runden Scheibe der Bassdrum als Illustration zu sehen ist. Er hypnotisiert das Publikum eher, guckt melancholisch - wie sein Herrchen. Kenner wissen schon Bescheid: Es handelt sich um des Künstlers „Spirit Animal“. Dem widmet der Künstler auch einen Song: „Saint Bernhard“.

Bevor der 51-Jährige die Bühne betritt, heizt noch ein junger Berliner mit Akustikgitarre, kräftiger Stimme und einem Kissen ein. Er moderiert sich als die Band „The Truth“ an, was auch auf dem Kissen zu lesen ist und klingt gutes Stück rockiger als der Hauptact später klingen soll.

Liebeserklärung on stage

Um Punkt 22 Uhr endlich erscheint er, viel zu warm angezogen. Mit seiner Tourband: Dave Matheson, in Pelzhut am Piano, Jason Mercer am Bass, sein alter Begleiter Don Kerr am Schlagzeug und Kevin Lacroix an der E-Gitarre, der den Stammgitarristen in Zwillingsbaby-Elternzeit ersetzt. Diese Band versteht es, je nachdem, sich unsichtbar auf der Bühne zu bewegen - oder auch mal vollständig von dort zu verduften.

Das Publikum johlt. Passend zum Tag, passend zum Empfinden des Publikums, spielt Sexsmith „Sun‘s coming out“ vom neuen Album. Es folgt das ältere „Imaginary friends“ - erst dann entledigt sich Sexsmith seines Jacketts und steht im Blumenhemd da. Eine Frau jubelt, als wäre sie bei den Chippendales - und Sexsmith lächelt. Der Mann schafft es, allen Sexappeal durch sein Werk zu herzustellen. Großartig.

Ron Sexsmith macht seinem Namen alle Ehre: Der Mann schafft es, Sexappeal durch sein Werk herzustellen

Es gibt ein Jubiläum zu feiern: den 20. Geburtstag seines Debütalbums - daraus folgt ein Song, den die Fans sofort erkennen. Zügig geht es weiter - mit „Spirit-Animal“, viel Material von „Carousel One“, aber auch Altbekanntes. Nur einige spärliche Ansagen und das Vorstellen der ultrakompetenten Band, die auch hervorragend die Background-Stimmen stellt, unterbrechen den Fluss. Beim anrührenden „Gold in them Hills“ singen besonders die Frauen im Saal mit.

Überhaupt die Frauen: Als eine spontan ihre Zuneigung auf die Bühne ruft, hält Sexsmith inne und gibt zurück, es sei der beste Moment für eine Liebeserklärung - mitten in der Show. Warum auch nicht? Irgendwie ist er ein akustischer Womanizer. Aber nur ganz nebenbei, denn vor allem hat er das Talent, all diese warmen, tiefsinnigen und toll arrangierten Songs zu machen, die klingen, als hätte es sie immer schon gegeben. Er hat allerhand Lorbeeren eingefahren, von Kritikern und echten Größen seines Fachs, wie Elvis Costello oder Paul McCartney. Und doch ist Ron Sexsmith kein Star im Sinne der heutigen Zeit, der mindestens die Hälfte der Punkte durch perfekte Zähne und Waschbrettbauch einfährt. Sexsmith sagte (und sang) einmal, er empfinde sich als jemand, der nicht in die heutige Zeit passe. In dem Fall stünden die alten Zeiten für das Wahre. Und bei Ron Sexsmith auch für das Schöne.

Kurz vor Ende wechselt der Meister noch einmal ans Piano, auf einen „Brandy Alexander“. Die gesangsbegabte Kapelle stellt sich diesmal als Gospelchor ein. Nach eineinhalb Stunden Schönheit kann man so beseelt aus dem Saal gehen, dass einem der Regen draußen nichts ausmacht. Und die Griechen haben inzwischen mehrheitlich Oxi gesagt.