Kabarett: Nobodys Dorfer?

Ist der Wiener Alfred Dorfer einer der größten deutschsprachigen Postkabarettisten? Eine Begegnung

Nicht im Café: Alfred Dorfer : dpa

Wien. Der Herr Ober trägt einen ranzigen Anzug, der Herr Dorfer keinen. Dafür läuft Dorfers Nase mächtig, der Herr Ober dagegen praktisch nicht. Ergo befinden wir uns in Wien. Café Ritter, in der Mariahilfer Straße, das ist im 6. Bezirk. In den Zeitungen steht was von einer offenbar bekannten Schauspielerin, die ein Panscherl mit einem feschen Tiroler gehabt habe, was immer das sein mag. Sonst steht nicht viel drin. Österreich.

Für die, die es grade nicht wissen: Alfred Dorfer hat neben und zusammen mit Josef Hader das österreichische Kabarett - na ja, man sagt das so, aber vielleicht stimmt es ja auch, also bitte: die haben es revolutioniert. Haben zudem mit dem Stück "Indien" einen Bühnen- und Kinoklassiker geschaffen. Und mit dem populären Late-Nite-Format "Dorfers Donnerstalk" wirkt Dorfer im Staats- und Regierungssender ORF gleichzeitig als Dissident und Deckmäntelchen. Er ist ein Big Shot. Ab 8. März ist Dorfer mit seinem aktuellen Stück "fremd" in Berlin. In diesen Tagen erscheint auch sein erstes Buch "Wörtlich", eine Zusammenstellung von Stücken und politischen Kommentaren.

Das zunächst historisierende Gespräch dreht sich um seine Vergangenheit als nicht nachgefragter Theaterschauspieler. Um Old-School-Kabarett und seine Überwindung. Um die Ablösung von Nummernkabarett und Politikerimitationen durch neue Formen. Um die Entwicklung zu immer mehr Tabubrüchen, die ihren verzweifelt-hedonistischen Höhepunkt nun auch überschritten habe. Um die Frage, ob der Kater der Gegenwart ein Revival der Moral ausdrücke oder Ratlosigkeit.

Er tendiert zu Letzterem.

Dorfers Werke heißen nicht Programme, sondern Stücke. Er hat Kabarett immer als eine "Form von Theater" definiert. "Ich wüsste jetzt nicht, was ein Schiller-Stück an meinem Leben mehr verändern würde als ein guter Abend von Josef Hader", sagt er. An einem anderen Tag in einer anderen Stadt muss ich an diesen Satz denken. Da sitzen Hader als "Bösel" und Dorfer als "Fellner" im Berliner Ensemble und lesen "Indien". Im Theater schlafe ich ein. Aber das hier ist trotz der reduzierten Form so intensiv, dass man sich auf eine beängstigende Art lebendig fühlt - und damit vom Tod bedroht.

In den 90ern haben Hader wie Dorfer ihre Betätigungsfelder mit der Kunstform Film erweitert. In den letzten Jahren ziehen sie die Kreise im ureigenen Feld größer, überwinden die Grenzen nach Deutschland und testen damit die eigenen und die ihrer Kunst.

Drei Dinge machen für Dorfer den Gang nach Deutschland spannend: "Sind die Inhalte grundsätzlich grenzüberschreitend? Wo und wie sehr muss ich das Stück verändern für einen anderen geografischen Raum?" Und da er in der Bundesrepublik praktisch "im Halbdunkel" auftrete, "trifft hier ein Publikum auf einen Inhalt und nicht auf vorauseilende Fernsehprominenz".

Wer das jetzt nicht sofort kapiert, der geht am besten am Abend ins Audimax der Wiener Universität. Der riesige Raum ist brechend voll und das Publikum in der Mehrheit so jung, dass der Programmchef von ProSieben feuchte Augen kriegen würde oder Träume. Ganz zu schweigen von einem deutschen Kabarettisten.

Studierende und wissenschaftliche Assistenten, aber auch gut aussehende Menschen, bestimmt die Hälfte des Publikums lebt sogar noch, es ist fantastisch. Ein bisschen hat das von einem Rockkonzert, und so ist Dorfer vielleicht manchmal unsicher, ob die Begeisterung seinem jüngsten Stück "fremd" gilt oder der Tatsache, dass die Leute Karten beim Super-Dorfer gekriegt haben .

Jedenfalls brauchen die eher keine moralische Ertüchtigung - und kriegen auch keine. Es gibt auch keine Bedienung eines Distinktionsgefühls mit letztlich populistischen Aperçus gegen Politiker und andere Doofe. Sagt Dorfer. Und: "Die Haltungsfrage ist sekundär gegenüber der Bewusstseinsfrage."

"fremd" ist für ihn "der Versuch, einen Zusammenhang kurzzuschließen zwischen einer übervisualisierten Welt und der Orientierungslosigkeit darin".

Die Witzchen über das aktuelle politische Personal gibt es, sie werden aber in einem Block abgehandelt. Politisches Kabarett, sagt Dorfer im Café Ritter, "kann auch funktionieren, ohne dass jemals ein einziger Politikername vorkommt".

Wenn man jetzt sagte, in "fremd" gehe es stattdessen um die Macht der Bilder, die Machtlosigkeit der Demokratie, die Entscheidungsunfreiheit des Individuums im Kapitalismus und die Konfrontation des Publikums damit, dann klänge das noch nicht wirklich sexy, oder?

Wenn man sagte, da würden zunächst vier Varianten einer Biografie entworfen, dann drei verworfen, und das Ich reduzierte sein Sein auf den Begriff des "Witzeproduzenten", um sich dann auch davon zu distanzieren, jegliche Identität zu verlieren und das durch geliehene Bilder und Sehnsüchte aus Filmen,Werbung und anderen Lügen zu ersetzen?

Dann findet die eine diese Handlung im Stück gar nicht wieder, sondern doch wieder nur die überwunden geglaubte Politwitzelei. Also nach wie vor Kabarett mit rudimentären Theatereinflüssen. Und der zweite sieht trotzdem ein Theaterstück. Der dritte diagnostiziert gar den Abschied von Kabarett und Theater. Und das Wiener Stadtmagazin Falter analysiert kalt, Dorfers Trick bestehe darin, gut zu unterhalten, aber glaubhaft den Eindruck zu erwecken, es sei mehr als Unterhaltung.

Ja, gut, der Falter, sagt Dorfer, diesmal bei einem Treffen in der Kantine des BE in Berlin. Aber er sagt auch: "Die Überschätzung der Satire im Sinne der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung sollte man vermeiden." Verweist auf einen Satz aus seinem Stück: "Ideologie ist nur eine Sonderform von Geschäft", was auf die Unentrinnbarkeit gegenüber dem Wirtschaftssystem verweist. Kabarett, wenn wir es so nennen wollen, sei aber letztlich nur für den selbstständigen Künstler ein ökonomischer Faktor und die Frage somit: Wie viele Leute kommen?

Dorfer hatte gesagt, er sei gespannt, wie ich "fremd" finde. Tja, was soll ich da jetzt sagen? Im Gegensatz zu Haders letztem Stück verweigert Dorfer eine stringente Handlung und eine Antiidentifikationsmöglichkeit mit Figuren oder noch besser: ein gemütlich-beruhigendes Differenzgefühl. Der Hodenkrebs aus "Indien", den zumindest jeder männliche Zuseher mitfühlte wie eine Eisenfaust am Hosenstall, ist ein Klassiker. Aber der Mensch muss ja weiter. Für Dorfer ist die Reduzierung von Plot und Emo eine Weiterentwicklung. Damit macht er es manchen nicht leicht. Aber geht es anders?

Vieles funktioniert nicht mehr oder grade noch so lala, das Kabarett, die Politik, die Printzeitung, die Philosophie, so Zeug. Spannung ist da, wo das Ringen um das Neue sich vollzieht. Diese Liveperformance ist viele Lichtjahre weg von den Comedyformaten in den Privatfernsehsendern - und immer noch einige von den gängigen, grade auch den öffentlich-rechtlichen Kabarettformaten, wo der eine zur Tür reinkommt und 27 Sekunden über Merkel schimpft und dann der andere zur Tür reinkommt und auch 27 Sekunden über die SPD witzelt, derweil der eine wieder rausschleicht.

Kein Wunder, eigentlich: Seit wann ist deutsches Fernsehen das Medium für Avantgarde oder Vertiefung politischer oder künstlerischer Inhalte? Andererseits oder deshalb gibt es für Kabarettisten keine bessere, weil keine andere PR-Form. Dorfer geht auch hin, etwa im April zu Priol und Schramm ins ZDF.

Das Leben gibt keine Zugabe

Dorfer sieht sich als "Gast, der Dinge sieht, die man nicht sieht, wenn man ständig da ist". Weil wir Deutsche halt im Grunde doch Deutsche sind und Deutsche wichtig nehmen. Neulich hat er mal ein bisschen reingestichelt, in Mainz war das. Da konnten wir entspannte und europäisch denkende Piefkes aber doch sicher drüber lachen?

"Nein, überhaupt nicht." Dorfer vernahm ein deutsches Murren. Er muss grinsen, wenn er dran denkt. Sehr gut. Er suche Reibung, ein Publikum, "das weniger meiner Meinung ist". Drum hat er seinen ORF-"Donnerstalk" doch noch mal um ein Jahr verlängert. Künftig will er nicht mehr um 22.30 Uhr nur für ein junges Publikum antreten und damit "Everybodys Dorfer" (Falter) sein. Künftig will er live, um 21.15 Uhr auch gegen einen Teil der dann mutmaßlich mehr und älteren Zuschauer philosophieren. "Der Effekt Satire vor Gleichgesinnten fällt dann weg."

Seiner Meinung nach sind die Kategorien in Deutschland immer noch "streng getrennt" in Theater, Kabarett, Comedy. "Was Hader und ich machen, passt in keine deutsche Kategorie hinein." Ziel ist es, eine "andere Melodie" reinzubringen. In die Fernsehsendung. In das Land. Das ist schön, und da wird hier ja wirklich jeder Mann gebraucht. Die Erneuerung kommt nun mal stets von den Rändern.

Weil das noch gar nicht erwähnt wurde: der Rock-n-Roll-Faktor. Dorfer ist ein Postkabarettist-Bandleader-Philosoph mit einer großartigen Band. Die rockt. Bis zum Ende. Der letzte Refrain in "fremd" stimmt einen zunächst nachdenklich, fast melancholisch: "Das Leben gibt keine Zugabe", heißt es da. Zack. Stille. Alles aus? Nein. "Aber wir sind nicht das Leben", singt die Band und rockt on. Das hat in seiner lakonisch-spielerischen Akzeptanz bzw. Verdrängung bzw. Überwindung des Unausweichlichen sicher etwas Wienerisches. Aber drückt es nicht auch eine globale Utopie aus?

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