Kolumne: Enne denne dubbe denne

Weil ich nur Bio-Ware in meinen Supermarkt-Einkaufswagen lege, werde ich bisweilen von hinten angesprochen.

Andreas A. ist ein feiner Mensch. Er verfügt über ein ausgeprägtes Sensorium für seine Umwelt, beobachtet genau und beschreibt in seinen Büchern über sich und die Welt auch kleinste, scheinbar unwichtige Details. A. war schon auf allen Kontinenten der Erde unterwegs, er hat genau hingesehen und alles aufgeschrieben. Nur wenn er einen Teller vor sich stehen hat, setzt seine Wahrnehmung merkwürdigerweise völlig aus.

Während er spricht und isst, isst und spricht, über die Liebe, die Leidenschaft, die Lust, den Dingen auf den Grund zu gehen, nimmt er nicht wahr, was er gerade in seinen Magen schaufelt. Fragt man A. am Ende, was er gerade gegessen habe, so kann er sich noch an "Salat" oder "Fleisch" erinnern, eine differenzierte Wiedergabe aber ist ihm nicht möglich.

Die allermeisten Menschen auf der Welt kennen beim Essen sowieso nur zwei Kategorien: hungrig und satt. Einen Hauch von Ingwer aus einem Zimptparfait herauszuschmecken, gilt den einen als Zeichen größter Dekadenz, den anderen als Beweis für den kulturellen Entwicklungsstand einer Gesellschaft. Ich zähle mich zur zweiten Gruppe. Der Geschmacksinn ist in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit der am spätestens ausgeprägte Sinn. Er war im Vergleich zum Hören, Sehen und Riechen relativ unwichtig zum Überleben. Aber zum Leben? Da ist er der wichtigste. Wer nichts schmeckt, kann auch nicht richtig denken. Andreas A. mal ausgenommen.

"Saget Se mol", sprach mich diese Woche eine Schwäbin an der "real"-Supermarktkasse in Kirchentellinsfurt an, als ich mein Schweinelendchen aus der Bio-Theke auf das Band legte, "schmeckt das denn besser als ein normales?" Mit einem Blick scannte ich ihren Einkaufswagen und stufte sie als Provokateurin ein, die mich lediglich herausfordern wollte. Denn sie hatte nur herkömmliches Billigfleisch und Sonderangebote eingekauft. Ich tat ihr nicht den Gefallen und antwortete mit "Nein, den Unterschied schmecken kann ich nicht. Ich kaufe das Fleisch allein in der Hoffnung, dass die Tiere nicht ganz so elend gehalten werden, wie in dem Stall, aus dem das Fleisch in Ihrem Wagen stammt". Gut gegeben, dachte ich mir, denn sie verstummte.

Tatsächlich bemühe ich mich zwar redlich, den Unterschied im Geschmack eines Filets zwischen einer glücklichen und einer gefolterten Kuh herauszuschmecken. Doch ehrlicherweise muss ich zugeben, dass es mir nicht gelingt. Bei Karotten mag das noch einfach sein, aber schon bei Birnen oder einer Fenchelknolle ist meine Kunst zu Ende.

Biogemüse kaufe ich oft nur deshalb im Supermarkt, um der "real"-Firmenleitung in Düsseldorf zu signalisieren, ihre zaghaften Bemühungen um bessere Lebensmittel in den Regalen sind nicht völlig umsonst. Es gibt einen, der sie kauft. Denn meist stehe ich ganz alleine vor dem etwas abgelegenen Regal.

Seit auch Aldi mit Bioprodukten schamhaft seine Blöße bedeckt, gibt es für Hartz-IV-Familien im Grunde keine faulen Ausreden mehr: Bio sei für Sozialhilfeempfänger viel zu teuer. Hat sowieso nie gestimmt. Denn einmal unterstellt, dass Hartz-IV-Empfänger über genügend Zeit verfügen, aus rohem Gemüse ein schmackhaftes Essen zuzubereiten und den Kartoffelbrei selbst zu stampfen, statt ihn aus einem Fix-und-fertig-Päckchen anzurühren, dann reicht das Geld sogar noch für einen Nachtisch aus Zimtparfait mit Ingwer.

Ein schwäbischer Auszählvers, der mit "Enne denne dubbe denne" beginnt und weitergeht mit "dubbe denne dalia, äbbe bäbbe bembio", endet mit "bio, bio, buff." Bis heute wird in Stuttgart und Umgebung über den Sinn dieses Verses gerätselt. Ich glaube, dass er tief aus dem Unterbewussten einer Kinderseele stammt, die uns Erwachsenen die verschlüsselte Botschaft sagen will: Wenn ihr noch länger (enne denne) so verantwortungslos mit euren Lebensmitteln (bäbbe bembio) umgeht, dann wird die Erde zugrunde gehen (bio, bio, buff).

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Journalist, Mitbegründer der Zeitenspiegel-Reportageschule, hält Brandenburg für die neue Toskana.

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