Irak: Racheakte nach Anschlag in Samarra

Ungeachtet von Aufrufen zur Ruhe greifen Milizionäre 14 sunnitische und schiitische Gotteshäuser an.

Protest gegen den Anschlag von Samarra Bild: dpa

AUS ERBIL INGA ROGG

Mit mehreren tausend Polizisten und Soldaten, verstärkten Patrouillen und zusätzlichen Checkpoints haben die irakischen Sicherheitskräfte und amerikanische Soldaten am Donnerstag verhindert, dass sich die schwelende Gewalt zwischen Schiiten und Sunniten Bahn brach. Ganz unterbinden konnten sie die Vergeltungsakte, die viele Iraker nach dem Anschlag auf das schiitische Heiligtum in Samarra befürchten, nicht.

Am Mittwochmorgen hatten vermutlich sunnitische Extremisten aus dem Umfeld der al-Qaida im Irak die beiden Minarette des Askeri-Schreins in Samarra in die Luft gesprengt, so dass von dem ehemals berühmten Bauwerk nur noch eine Trümmerruine übrig ist. Vor 16 Monaten hatte ein Anschlag, bei dem die goldene Kuppel der Moschee zerstört wurde, schwere Ausschreitungen zwischen Schiiten und Sunniten ausgelöst. Die bürgerkriegsähnlichen Zustände haben seitdem mehrere Zehntausend Tote gefordert.

Seit Mittwochmittag haben Milizionäre mindestens 14 sunnitische und eine schiitische Moschee angegriffen und angezündet. Die Racheakte konzentrierten sich vor allem auf das sogenannte Todesdreieck um Iskanderiya südlich von Bagdad sowie das südirakische Basra. Laut der Polizei explodierte in der sunnitishen Hatin-Moschee in Iskanderiya Donnerstagfrüh ein Sprengsatz. Zudem versuchten schiitische Milizionäre, die nicht weit entfernte Mustafa-Moschee zu stürmen. In einem Nachbarort zwangen Extremisten die sunnitischen Wachen zum Abzug und setzten dann das Gotteshaus in Brand. Im Großraum von Basra wurden nach Angaben der Sicherheitskräfte mindestens neun sunnitische Moscheen angegriffen. Dabei sollen schiitische Extremisten die vier Wächter der historischen Osman-Moschee ermordet und das Minarett in die Luft gesprengt haben.

Trotz der Ausgangsperre, die seit Mittwoch in Bagdad und mehreren anderen Städten in Kraft ist, hielten Anhänger die radikalen schiitischen Predigers Muktada al-Sadr in Sadr City, Kut, Diwaniya, Nadschaf und Basra Protestdemonstrationen ab. In einer Erklärung machte Sadr die Amerikaner und Israel für den hinterhältigen Anschlag verantwortlich, die Sunniten und Schiiten entzweien wollten. Darüber hinaus kündigte Sadr den Auszug der 30 Abgeordneten seiner Fraktion aus dem Parlament an, bis der Schrein wieder restauriert ist. Im vergangenen Jahr ist die Restauration des neben den Grabmoscheen in Nadschaf, Kerbala und dem Bagdader Ortsteil Kadhimija wichtigsten Heiligtums für die Schiiten mehrfach daran gescheitert, weil sich Schiiten und Sunniten in Regierung und Parlament nicht über die Modalitäten einigen konnten.

Obwohl die Politiker der ethnischen, religiösen und politischen Lager am Mittwoch einmütig zum Zusammenhalt aufgerufen hatten, ist es fraglich, ob sie die Stunde der Krise für mehr als schöne Worte und Gesten nutzen. Bis Ende dieser Woche sollen die letzten der rund 30.000 US-Soldaten im Irak eintreffen, die im Rahmen der seit Februar anhaltenden Sicherheitsoffensive im Einsatz sind, um den Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten unter Kontrolle zu bringen. Bisher ist es Schiiten, Sunniten und Kurden jedoch nicht gelungen, auch nur eine einzige der geplanten politischen und ökonomischen Reformen voranzutreiben.

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