Palästinenser: Chef von "Notstandsregierung" ernannt

Die Hamas festigt ihre Herrschaft in Gaza. Präsident Abbas streckt die Fühler in Richtung Israel - und bestimmt einen Regierungschef.

Vom Finanzminister zum Chef der "Notstandsregierung": Salam Fajad Bild: dpa

Jerusalem (taz) Einen Tag nach dem Sieg der Hamas-Milizen über die Fatah im Gaza-Streifen wollten die Sieger gestern Verantwortung unter Beweis stellen. Geschäfte öffneten wieder, auf den Straßen herrschte relative Ruhe, aber Hamas-Kämpfer plünderten den verwaisten Amtssitz des Präsidenten Mahmud Abbas (Fatah). Der bewaffnete Flügel der Hamas reagierte auf den Appell seines Expremierministers Ismail Hanijeh und verschonte die festgenommenen Fatah-Kommandanten vor der angedrohten Hinrichtung. Hanijeh appelliert an die Fatah, die Gespräche über eine Aussöhnung aufzunehmen. Palästinenserpräsident Abbas hatte am Vortag den Premierminister seines Amtes enthoben und den Ausnahmezustand verkündet; am Freitag ernannte er den bisherigen Finanzminister Salam Fajad zum neuen Chef einer "Notstandsregierung".

Abbas genießt die Rückendeckung Israels, das nun die Freigabe der eingefrorenen palästinensischen Zoll- und Steuereinnahmen an Abbas erwägt. Damit würde die Zweiteilung in "Hamastan" und "Fatahland", wie israelische Journalisten den Gaza-Streifen und das Westjordanland neuerdings bezeichnen, zusätzlich manifestiert.

Die USA werden nun entlang dieser neuen Konstellation versuchen, eine schnelle Friedenslösung zwischen Israel und dem Westjordanland allein voranzutreiben. Israels Premier Ehud Olmert reist am kommenden Dienstag nach Washington. Auf der Agenda stehen nicht nur die eingefrorenen Steuergelder, sondern auch Reiseerleichterungen für die Palästinenser in "Fatahland" und möglicherweise die Entlassung von politischen Häftlingen. Abbas Kampf gegen die Islamisten soll, auch wenn er verloren wurde, nicht unbelohnt bleiben. Eine Wiederholung der Entwicklungen in Gaza will international niemand riskieren.

Die Fatah will das auch handfest verhindern. Nach der Niederlage im Gaza-Streifen gehen bewaffnete Fatah-Leute nun im Westjordanland mit Gewalt gegen die Hamas vor. Sie stürmten Büroräume im Parlament, warfen Möbel und Computer aus den Fenstern und legten Brände in den Zimmern dreier Hamas-Abgeordneter.

Zu Blutvergießen kam es in Nablus, als Milizen der Al-Aqsa-Märtyrer einen Hamas-Aktivisten ermordeten. Am Vortag war der Kommandant der Al-Aqsa-Märtyrer im Gaza-Streifen vor hunderten Menschen und laufenden Kameras gedemütigt und hingerichtet worden. Außer ihm starben sechs weitere Männer mit verbundenen Händen auf offener Straße.

Der Gaza-Streifen ist seit mehreren Tagen hermetisch abgeriegelt. Ägypten hat aus Sorge vor einer Massenflucht die Zahl der Grenzsoldaten aufgestockt. Rund 300 Fatah-Funktionäre konnten mit Booten auf dem Seeweg entkommen. Die Übergänge auch nach Israel werden erst dann wieder geöffnet, sobald eine Zusammenarbeit mit den palästinensischen Grenzschützern gegeben ist. Die israelische Armee erwägt eine einseitige humanitäre Hilfe, möglicherweise in Form einer Luftbrücke, sollte die Hamas eine Kooperation verweigern. Gestern blieben die Grenzposten auf palästinensischer Seite unbesetzt.

Israel liefert dem Gaza-Streifen neben Wasser und Strom fast alle Grundnahrungsmittel sowie Rohstoffe und Baumaterial. Die UNRWA (UN-Hilfe für palästinensische Flüchtlinge), die ihr Engagement infolge der Auseinandersetzungen ohnehin schon auf die rein medizinische und Nahrungsmittelversorgung beschränkt hat, warnt vor einer humanitären Katastrophe. Schon gestern gab es kaum noch Milch zu kaufen.

Im Gegensatz zu mehreren Hamas-Funktionsträgern, die am Donnerstag die Gründung eines islamischen Staates in Gaza in Aussicht stellten, stritt Hanijeh ab: Niemand habe vor, im Gaza-Streifen einen Staat zu gründen. Die Teilung der palästinensischen Gebiete lehnte er ebenso ab wie seine Entlassung durch Abbas. "Wir werden unsere Nationale Einheitsregierung fortsetzen", sagte er. Die Hamas hält indes mehrere Faustpfänder im Gaza-Streifen: die gefangenen Fatah-Aktivisten und den vor genau einem Jahr entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit. Ebenfalls in Gaza von Unbekannten entführt ist seit März BBC-Reporter Alan Johnston.

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