Interview: "Die Beschäftigung nimmt zu"

Es werden nicht nur Ingenieure gesucht. Der Aufschwung nutzt auch Geringqualifizierten. Im Osten mehr als im Westen, urteilt Arbeitsmarktforscher Eugen Spitznagel

Als Weihnachtsmann Brötchen in die Platte liefern: Im Osten wird es in Zukunft mehr Jobs für Niedrigqualifizierte geben. Bild: dpa

taz: Herr Spitznagel, die Wirtschaft klagt über den Mangel an Fachkräften, das Angebot an offenen Stellen steigt. Geht es aufwärts?

Eugen Spitznagel: Ja, vor allem aufgrund der konjunkturellen Entwicklung, die seit einiger Zeit wirklich hervorragend ist. So stark wie 2006/2007 ist die Wirtschaft zuletzt in den Jahren 1999/2000 gewachsen. So hat sich eine große Nachfrage nach Arbeitskräften aufgebaut. Die Beschäftigung nimmt derzeit zu.

Die Bundesagentur für Arbeit gibt regelmäßig eine Hitliste der offenen Stellen heraus. Im Mai standen die Werbe- und Dienstleistungskaufleute, Verkäufer, Elektriker und Schlosser, aber auch Kellner und Gastwirte auf dieser Liste. Sucht die Wirtschaft also nicht nur hochqualifizierte Leute?

Die absoluten Zahlen der gemeldeten offenen Stellen zeigen nur einen Teil des Marktes. Wir haben bei den Betrieben alle offenen Stellen erfragt und sogenannte Vakanzraten errechnet, also das Verhältnis offener Stellen zu den abhängig Beschäftigten im jeweiligen Bereich. So beträgt die Vakanzrate bei den Ingenieuren gut sieben Prozent. Bei den Stellen für Hochschulabsolventen, aber auch bei jenen für un- und angelernte Arbeiter lag die Vakanzrate über dem Durchschnitt.

EUGEN SPITZNAGEL ist Bereichsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg, das zur Bundesagentur für Arbeit gehört. Er ist dort zuständig für den Forschungsbereich Konjunktur, Arbeitsmarkt und Arbeitszeit und erstellt in den regelmäßig erscheinenden IAB-Kurzberichten unter anderem Prognosen zur künftigen Arbeitsmarktentwicklung. Spitznagel arbeitet seit 1974 beim IAB.

Das überrascht dann doch. Die Wirtschaft behauptet doch immer, die Jobs für niedrigqualifizierte Leute würden nach und nach verschwinden.

Das Stellenangebot hängt von der wirtschaftlichen Dynamik ab. In Zeiten schwacher Konjunktur werden Arbeitsplätze für Geringerqualifizierte von den Unternehmen eher abgebaut als Stellen für Höherqualifizierte. Umgekehrt legen die Betriebe in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs bei diesen Jobs für Un- und Angelernte dann auch eher zu. Daher sind die Vakanzraten für die Niedrigqualifizierten momentan vergleichsweise hoch. Das dürfte jedoch nicht von Dauer sein.

Dann müsste man aber doch annehmen, dass etwa Empfänger von Arbeitslosengeld II, unter denen ja viel Geringqualifizierte sind, jetzt besonders schnell Jobs finden. Dem ist aber nicht so. Warum?

Um das zu verstehen, muss man sich die Art der Bewerberauswahl ansehen. Wenn Unternehmen eine Stelle besetzen, wählen sie ja immer die nach ihrer Meinung Produktivsten aus der Schlange der Bewerber. So kommen bei Stellen für Un- oder Angelernte oft Personen mit Berufsausbildung oder einer entsprechenden Erwerbsbiografie zum Zug. Interessenten ohne Ausbildung stehen in der Regel weiter hinten in der Schlange.

Es gibt Politiker, die sprechen von einer Spaltung auf dem Arbeitsmarkt. Sie warnen davor, dass eine immer größere Gruppe von Erwerbslosen auf Dauer auf Hartz IV landet. Denen helfe auch der Aufschwung nicht, heißt es.

Dem würde ich nicht ohne Weiteres folgen. Ein nachhaltiger wirtschaftlicher Aufschwung hilft auch den Geringerqualifizierten, die es in der Regel schwerer haben auf dem Jobmarkt. Allerdings dauert es eine Weile, bis Betriebe auch Bewerber mit nicht so guter Qualifikation oder auch Ältere einstellen. Inzwischen nehmen die Arbeitslosenzahlen auch bei den Hartz-IV-Empfängern kräftig ab.

Wenn man die Hitliste der offenen Stellen ansieht, scheinen Dienstleistungen die größte Rolle zu spielen. Aber Berufseinsteiger, etwa in der Werbung, klagen ja öfter, dass sie erst endlose Praktikantenkarrieren absolvieren müssen, bevor sie einen richtigen Job bekommen.

Das wird in der Öffentlichkeit manchmal etwas einseitig dargestellt. Unsere Untersuchungen zeigen, dass einer großen Zahl der Praktikanten der Sprung in die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gelingt.

Die Gewerkschaften behaupten ja gerne, dass die neu geschaffenen sozialversicherungspflichtigen Stellen vor allem Jobs in der Zeitarbeit sind, dass sich also mit dem Aufschwung auch die Jobbedingungen verändern und flexibilisieren.

Die Zeitarbeit hat den Anstieg der Beschäftigtenzahlen in der Tat eine Zeit lang maßgeblich bestimmt. Das hat sich inzwischen geändert. Ich schätze, die Zunahme der Zeitarbeit macht derzeit nur noch ein Drittel vom gesamten Zuwachs an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung aus.

Überraschenderweise lagen die Vakanzraten, also der prozentuale Anteil offener Stellen, im Osten besonders hoch. Geht es aufwärts im Osten?

Ja, zumindest im laufenden Jahr. Die Vakanzraten sind Frühindikatoren der Arbeitsmarktentwicklung. Inzwischen steigen die Beschäftigtenzahlen in Ostdeutschland prozentual stärker als in Westdeutschland. Die größten Zuwachsraten verzeichnen aktuell Brandenburg, Sachsen und Thüringen, allerdings von einem niedrigen Niveau aus.

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