Mediziner: Der Rekonstrukteur

Schönheitschirurg will Milomir Ninkovic nicht genannt werden. Er richtet Körper wieder her, die von Krieg oder Krankheit entstellt sind.

Mehr Lebensqualität statt größere Brüste - Ninkovic transplantiert Hände, hilft Brandopfern und rekonstruiert Gesichter. Bild: dpa

MÜNCHEN taz Der Mann betrachtet skeptisch den Zeh an seiner linken Hand. Er kann ihn noch nicht bewegen. Der Zeh ragt aus einem weißen Stoffknäuel, das an einigen Stellen rötlich durchnässt ist. Der ganze Arm ist in Mullbinde eingewickelt. "Der Zeh ist hervorragend durchblutet", sagt Milomir Ninkovic und nickt. Am Tag zuvor hat der Chefarzt den zweiten Zeh vom Fuß getrennt und an die Stelle des Daumens gesetzt. Den Daumen hatte sich der Metallarbeiter abgesägt. Er war nicht mehr anzunähen.

Zwei Minuten später, zwei Zimmer weiter spricht Ninkovic kurz mit einem dicken Bayern, dessen Bauchwand er stabilisiert hat. Der Rentner hatte 40 Kilo abgenommen. Die schlaffe Haut, die bis zu den Oberschenkeln hing, musste teilweise abgeschnitten werden. Die Narbe ist über einen Meter lang.

Nach der Morgenvisite muss Ninkovic in den Operationssaal, ein Auge entnehmen und das Gesicht darum herum so wiederherstellen, dass ein Ersatz aus Glas eingesetzt werden kann.

Milomir Ninkovic leitet die Abteilung für plastische und rekonstruktive Chirurgie am Klinikum Bogenhausen in München. Er baut Brüste nach Tumoroperationen wieder auf, versetzt Hautlappen, Nerven und Muskeln, bringt wieder Bewegung in gelähmte Gesichtshälften und zertrümmerte Gliedmaßen, transplantiert sogar Hände. Zu seiner Abteilung gehört auch das Zentrum für Schwerbrandverletzte im Erdgeschoss des Krankenhauses, wo die Patienten oft wochenlang im künstlichen Koma liegen, während Eingriff für Eingriff Hautstücke von gesunden an die verbrannten Stellen transplantiert werden. Die Brandopfer sind in verpuffende Grillflammen geraten, haben Stromschläge von mehreren tausend Volt erlitten, oder haben sich manchmal selbst mit Benzin übergossen und angezündet.

Etwa 500 Mal im Jahr steht Ninkovic im Operationssaal. Er ist einer der besten plastischen Mikrochirurgen der Welt. Täglich arbeitet er mit Menschen, die der Krebs oder das Feuer entstellt haben, und er hat fast immer gute Laune. Ein großer Mann mit grauem Haar, goldener Uhr und sanftem Lächeln. "Sie müssen Medizin aus Überzeugung und Liebe machen", sagt er. "Man muss Operationen auch genießen auf eine gewisse Art und Weise."

Kurz vor elf setzt er die OP-Haube auf, bindet sich den Mundschutz um und tauscht die schwarzen Lederschuhe gegen grüne Gummischlappen, auf die jemand "Chef" geschrieben hat. So nennen ihn auf seiner Station alle. In der Mitte des blau gekachelten Saals liegt eine Frau. Sie ist wach, nur ihr Gesicht ist nicht von Tüchern bedeckt. Ninkovic fragt, wie der Urlaub in Kroatien war. Mit einer Spritze betäubt er die eine Braue, schneidet sie auf und zieht mit dem Haken ein Stück Fett heraus, dass ein bisschen aussieht wie das Innere einer kleinen Miesmuschel. Im portablen CD-Player läuft "Entspannung pur. Musik für alle Sinne." Ninkovic erzählt, dass er in Mostar einmal zwei Stunden vom Flughafen bis ins Stadtzentrum gebraucht hat. Er wechselt die Seite und entfernt auch über dem anderen Auge einen Fetttropfen. Nach einer knappen Stunde ist er fertig. Über den Brauen verlaufen bläulich Nähte. Ninkovic steht auf. Für einen kurzen Moment legt er der Assistenzärztin die Hand auf die Schulter: "Vielen Dank."

Es kommt darauf an, sagt Milomir Ninkovic, wie man die Menschen führt. Die Mitarbeiter, die Patienten. Es kommt besonders darauf an, wenn Menschen ihr Gesicht verloren haben, Haut, Gliedmaßen.

Aber fast noch wichtiger ist es bei den gesunden Patienten, weil sie meist falsche Vorstellungen haben und große Brüste auch bei kleinen Schultern und zierlichem Becken haben wollen. Nur etwa zehn Prozent seiner Operationen sind ästhetischer Art. Den Begriff "Schönheitschirurg" verabscheut er. Jeder kann sich so nennen. Er kümmert sich um Brüste meist erst, wenn sie vorher entfernt werden mussten. Am liebsten nimmt er dafür Fett aus dem Bauch, nicht Silikon. "Wir unterstützen die Natur", sagt er. Er möchte, dass die Patienten, die seine Station verlassen, dem Menschen, der sie vor dem Unfall, dem Feuer, dem Tumor waren, so ähnlich wie möglich sehen. Er nennt es "eine ästhetische Einheit wiederherstellen." Und sie sollen ihre Hände, Arme, ihre Lippen so nutzen können, wie sie es vorher getan haben.

Im Januar 2004 hielt Ninkovic in Palm Springs in Kalifornien einen Vortrag. Er hatte einen der renommiertesten Preise seiner Zunft erhalten. Hunderte Kollegen hörten ihm zu und rechts hinter ihm lief sein bisheriges Lebenswerk in Bildern über die Wand. Die Bilder erzählten Vorher-Nachher-Geschichten. Ein Unterarm ohne Haut, Fleisch, nur Knochen, Sehnen, Blut. Ein paar Bilder weiter: Ein gewöhnlicher Unterarm mit einigen Narben.

Aus einer völlig verbrannten Brust wurde eine gesunde Brust. Aus zwei Stümpfen zwei Arme mit Händen. Aus einem Gesicht mit einem roten Loch in der Mitte ein Gesicht mit einer Nase. Aus einem riesigen Unterlippengeschwülst eine Unterlippe. Die Bilder erzählten nur das medizinische Kapitel dieser Vorher-Nachher-Geschichten. Für Milomir Ninkovic ist das menschliche mindestens genauso wichtig. Die Frau mit den kartoffelförmigen Lippenauswüchsen hatte ihr Leben lang weder essen noch trinken können. Sie traute sich irgendwann nicht mehr aus dem Haus. Die Leute stierten sie an. Zwei Chirurgen hatten vergeblich versucht, das Geschwülst zu entfernen. Ninkovic sah in ihr, wie in jedem Patienten, einen Fall, den es zu lösen gilt. Er plant diese Lösungen wie ein Architekt. Woher kann er wieviel Haut nehmen, wo werden Muskeln nicht gebraucht? Die spannenden Fälle fordern ihn heraus, die auf den ersten Blick hoffnungslosen. Er beschloss, das Geschwülst komplett zu entfernen und durch einen Muskel aus dem Oberschenkel zu ersetzen. Ein Jahr später konnte die Frau sogar pfeifen.

Mit seinem besten Freund, einem Urologen, hat er sich eine Methode ausgedacht, wie eine gelähmte Blase mithilfe eines Rückenmuskels wieder funktionsfähig wird. In einer Versuchsgruppe von zwanzig Menschen, konnten am Ende 18 auf einen Katheter verzichten. Sie leben jetzt ohne Röhrchen in der Bauchdecke. Er sagt, er möchte Menschen glücklich und zufrieden machen. Fürs Medizinstudium hat er sich entschieden, weil er seiner Großmutter dabei zusehen musste, wie sie an Krebs starb. Er wollte helfen.

Wenn Ninkovic davon erzählt, wie er zur rekonstruktiven Chirurgie kam, hört sich das fast nach einer kleinen Flucht an. Er war ein junger, fleißiger Assistenzarzt an der Universität von Sarajevo. Eines Tages wollte ein Professor ihn für die Wiederherstellungschirurgie werben. "Sie erhöhen die Lebensqualität der Menschen", sagte er, "Und Sie stehen nicht täglich unter dem Druck, dass die Leute sterben werden. Wenn Sie einem Patienten einen Daumen annähen können, ist er glücklich und froh. Wenn nicht: Vielleicht klappt es mit einem Zehentransfer."

Ninkovic entschied sich dafür, Lebensqualität zu schenken. Er spezialisierte sich auf die Wiederherstellung unterm OP-Mikroskop, auf das Verknüpfen winziger Blutgefäße. Er ging nach Amerika, bildete sich fort. Als der Balkankrieg ausbrach, wechselte er mit seiner Frau nach Innsbruck. Sie ist auch Ärztin. Sie arbeitet immer noch in Österreich. Ohne sie wäre er jetzt wahrscheinlich in den USA. Sie wollte in Europa bleiben. Die beiden haben zwei Kinder. Zu Beginn seines Vortrags in Palm Springs hat er Fotos von ihnen gezeigt, beim Wasserskifahren.

Um die Bilder und Schicksale der Verstümmelten und Entstellten weit genug von sich fernzuhalten, geht er Joggen und Tennisspielen, "negative Energie abladen." So kommt er morgens frisch zurück ins Besprechungszimmer. Um 18 Uhr, hat er dort am Morgen angekündigt, gibt es einen Informationsabend für Patientinnen, die ihre Brust verloren haben. "Ich glaube, dass es ein guter Abend wird", hat er gesagt. Milomir Ninkovic ist ein zuversichtlicher Mensch.

Mit dieser Zuversicht nähert er sich auch schwierigen Aufgaben. Beispielsweise die Transplantation zweier Hände. Ninkovic erzählt, vor sieben Jahren habe das noch 18 Stunden und 20 Minuten gedauert. Der Erfolg hing nicht nur davon ab, ob der Körper des Mannes, der die neuen Hände bekam, sie annehmen würde. Die Frage war auch, ob der Polizist, der beim Entschärfen einer Bombe verkrüppelt worden war, sie akzeptieren würde. Es waren die fremden Hände eines toten Mannes. Als der 47 Jahre alte Österreicher wieder aufgewacht war, ging der Chirurg zu ihm und sagte: "Bewegen Sie Ihren rechten Zeigefinger." Er war sich sicher, dass es funktionieren würde. Der Finger hob sich. Da wusste Ninkovic, dass der Patient die Hand als seine eigene annehmen würde. Der Mann arbeitet wieder als Polizist. Er fährt sogar Motorrad. Motorradunfälle sind eine der häufigeren Ursachen, weshalb Menschen auf Ninkovics Station landen. Er findet es trotzdem gut, dass sein ehemaliger Patient das macht. Es zeige, wie sich sein Leben verbessert hat.

Am Ende muss es immer schön aussehen, findet Ninkovic. So schön wie möglich. Wenn man ihn fragt, ob seine Arbeit auch etwas Künstlerisches hat, dann überlegt er keine Sekunde und sagt: "Das ist vollkommen richtig."

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