Konjunktur: Mehr Arbeit ohne mehr Jobs

Der aktuelle Aufschwung schafft bisher weniger Arbeitsplätze als frühere Boom-Phasen, sagen Konjunkturforscher. Trotz oder sogar wegen der Arbeitsmarktreformen.

Obwohl es mehr zu tun gibt, zögern viele Unternehmen, neue Beschäftigte einzustellen. : dpa

BERLIN taz Der Wirtschaftsaufschwung hat einen Nachfrageboom auf dem Arbeitsmarkt ausgelöst. Das behauptet die Bundesagentur für Arbeit. In ihrem am Mittwoch veröffentlichten Stellenindex für Juni heißt es, es gebe eine "sehr hohe Einstellungsbereitschaft in der deutschen Wirtschaft", auf der Bewerberseite zeichneten sich bereits "erste Knappheiten" ab. Zu kurz geguckt, meinen die Konjunkturforscher des Instituts für Makroökonomie und Konjunktur (IMK) in Düsseldorf. Im Vergleich zu früheren Konjunkturaufschwüngen schafft der aktuelle bislang überraschend wenig zusätzliche Arbeitsplätze.

Im aktuellen IMK-Report untersuchen die Ökonomen, wie sich die Arbeitsmarktreformen im derzeitigen Aufschwung auswirken. Dabei gehen sie davon aus, dass die absoluten Zuwächse auf dem Arbeitsmarkt allein wenig über Erfolg oder Misserfolg aussagen. "Erst der Vergleich mit vorhergegangenen Aufschwüngen zeigt, ob sie etwas verändert haben", heißt es. "Wenn die Reformen greifen, müsste der Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt diesmal kräftiger ausfallen als etwa in der letzten Boomphase von 1998 bis 2000", so IMK-Direktor Gustav Horn. Schließlich soll die Bundesagentur für Arbeit Jobs inzwischen viel schneller vermitteln. Zusätzlich sind der Anreiz und der Druck erhöht worden, auch schlecht entlohnte Arbeit anzunehmen.

Folgt man der Studie, ist das Kalkül der Reformer jedoch nicht aufgegangen. Im derzeitigen Aufschwung sind bislang gut eine halbe Million neuer Arbeitsplätze entstanden, etwa 400.000 davon für abhängig Beschäftigte. Im Vergleichszyklus waren es 1,3 Million neuer Jobs, also doppelt bis dreimal so viele. Dabei ist die Stundenproduktivität sogar gefallen - was bedeutet, dass für die gleiche Leistung länger gearbeitet wird.

Tatsächlich ist die Zahl der Arbeitsstunden auch deutlicher gestiegen als im letzten Aufschwung. Diese Mehrarbeit wird aber zu einem erheblichen Teil von denen geleistet, die auch vorher schon Arbeit hatten. Klar: Die Unternehmensvorstände wollen so lange wie möglich nicht neu einstellen, um in der nächsten Abschwungphase keine unausgelasteten Mitarbeiter bezahlen zu müssen. Und dafür bietet ihnen die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeit im Vergleich zu den Jahren 1998 bis 2000 jede Menge neuer Möglichkeiten. Maßnahmen wie verlängerte Arbeitszeit, Arbeitszeitkonten und Co, ursprünglich gern als Beschäftigungssicherung verkauft, entpuppen sich also als genau das, was sie für Kritiker immer schon waren: Job- und Neueinstellungskiller.

Kein Wunder, meinen die Experten, dass "der Druck auf Arbeitslose bisher keine Spuren in der Beschäftigung hinterlassen hat": Für sie gibt es immer noch zu wenig Angebote, zu deren Annahme sie gezwungen werden könnten.

Das allerdings könnte sich noch ändern, wenn der Aufschwung lange genug weitergeht. "Man kann die Arbeitszeit pro Kopf nicht unendlich ausdehnen", sagt Horn. "Irgendwann müssen die Unternehmen einstellen."

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