Graffiti in China: Viele Wege führen zum Gold

Was passiert, wenn ein Künstler aus Australien einen chinesischen Graffiti-Writer trifft? Pekings Underground hat viele Facetten. Anti-Establishment ist er nicht.

West-östlicher Kulturaustausch: Li Qui Qui und Ben Frost unter ihrem fertigen Bild Bild: tigertranslate/oak tyler-smith

Zwei Dinge fallen auf, wenn man im Taxi sitzt und vom Pekinger Flughafen in die Innenstadt fährt. Es gibt so gut wie keine Plakatwerbung. Und es gibt keine Graffiti. Groß und dreckig stehen die Hochhäuser in der warmen Milchsuppe der Pekinger Sommerluft und akkurat blüht es aus den Blumenkübeln heraus, die die Straße säumen. Man muss anders gucken als in einer westlichen Großstadt. Der Blick bleibt an keinen offensichtlich in die Stadtlandschaft gesetzten Zeichen hängen.

Jeder hat sein Bild von China. Es geht gar nicht anders. Selbst wenn das 21. Jahrhundert nun doch nicht das chinesische Jahrhundert werden sollte - als Sehnsuchtsort für Fantasien von Größe, Zukunft und "Hier passiert es" hat es die USA längst abgehängt. Alles so dynamisch! Überall Baustellen! Gigantisches Wirtschaftswachstum! Wird demnächst Exportweltmeister! Hier darf man noch richtig bauen! Es gibt zig Millionenstädte, allesamt größer als Berlin und man hat die Namen noch nie gehört! Graffiti ist allerdings kein Teil dieses Bildes. Jeder, dem man vor der Reise erzählte, man würde nach Peking fahren, um den wichtigsten Protagonisten der dortigen Szene zu treffen, schaute einen ungläubig an: Landet man nicht sofort im Arbeitslager, wenn man in Peking eine Wand volltaggt?

Li Qui Qui fängt an zu malen Bild: tigertranslate/oak tyler-smith

"Tigertranslate" heißt die Veranstaltung, sie ist der Versuch einer großen Biermarke aus Singapur, über Szenemarketing ihr Image zu schärfen. Asiatische Künstler treffen Künstler aus dem Westen, lautet das Konzept. Erst in New York, dann in Berlin, nun in Peking. Es wird jeweils ein Motto vorgegeben, entlang dessen einige lokale Künstler mit eingeflogenen Kollegen kooperieren sollen. "Gold" ist es in diesem Fall, und Li Qui Qui heißt der bekannteste Graffiti-Künstler Pekings, er ist einer von drei Chinesen, die zusammen mit zwei Australiern und zwei Briten Kunst machen sollen. Denn natürlich gibt es Graffiti in Peking, genauso wie Punk, Techno, Rap, Drum n Bass, Big Beat, New Wave, Noise Rock und jeden anderen subkulturellen Stil: Es sind die kleinen Unterschiede, die zählen. Nicht dass es gemacht wird, ist das Besondere. Sondern wie es gemacht wird.

Li Qui Qui ist ein interessanter Typ. Über das Skateboarden sei er zum Graffiti gekommen, erzählt er, sein erstes Skateboard habe er in den frühen Neunzigern bekommen, da war er zwölf Jahre alt. Darüber sei er dann auf amerikanische Magazine, Filme und Videos gekommen, und er habe Graffiti entdeckt. Erst habe er sich nur an den amerikanischen Vorbildern orientiert, aber dann seinen eigenen, "chinesischen" Stil entwickelt. Wo er denn sprüht? Auf Ruinengrundstücken, dort störe man niemanden. Denn nichts liege ihm ferner, als irgendwen mit seiner Kunst zu belästigen. Li Qui Qui ist vorsichtig, wenn man mit ihm spricht - verständlich, eine Erlaubnis zur Berliner Veranstaltung zu reisen, wurde ihm von den chinesischen Behörden verweigert.

Ben Frost macht weiter Bild: tigertranslate/oak tyler-smith

Bohrt man ein wenig nach, erzählt er aber noch andere Dinge. Etwa, dass sein Vater Kalligraf war, bei dem er diese Kunst studiert habe. Und dass er in einem Pekinger Hutong aufgewachsen ist, einem jener Altstadtbezirke, die seit einigen Jahren systematisch abgerissen werden, um Platz zu machen für die gigantischen Hochhausviertel. "Ja", sagt er auf die Frage, ob seine Kunst auch mit Erinnerung zu tun habe. "Viele der Orte, wo ich sprühe, sind Ruinen. Alte Hutongs. Ich mache meine Tags, sprühe mein Bild und fotografiere das Ganze. Es ist eine Erinnerung an einen sterbenden Teil der Stadt, der demnächst vollständig ausradiert sein wird." Tatsächlich lebt Li Qui Qui von seiner Kunst: Er beliefert eine chinesische Kette von Skateshops mit von ihm gestalteten T-Shirts. "Wenn man als Künstler überleben will, muss man Geschäftsmann werden. Meine Kunst ist mein Geschäft geworden und mein Geschäft meine Kunst."

Nun sind produktive Missverständnisse wahrscheinlich das Beste, was bei einem Kunst-Austausch herauskommen kann, bei dem keiner der Chinesen Englisch kann und keiner der Westler Chinesisch. Dass sich Li Qui Qui an diesem Wochenende am besten mit Ben Frost versteht, ist so ein Missverständnis. Frost kommt aus Australien, war eine Weile in Tokio, lebt nun in Sydney und hat einen Kunstbegriff, der auf der Idee basiert, der westlichen Konsumgesellschaft all die Zeichen, mit der sie ihre Teilnehmer bombardiert, zurück ins Gesicht zu schmeißen. Er sammelt Magazine, Werbung, Fotos, Kinderbücher, Logos und ähnliche Dinge und collagiert sie zu Zeichenclustern zusammen.

Frost ist zum ersten Mal in China, das Thema "Gold" steht für ihn für den Versuch der Chinesen, über den Verkauf von Waren Teil der Weltgemeinschaft zu werden - etwas, das er vehement ablehnt. "Dieser Versuch ist von Hoffnung getragen, Träume könnten in Erfüllung gehen. China könnte es anders machen als der Westen. So, wie es läuft, will China so werden wie Amerika. Im Westen gibt es aber keine Hoffnung mehr." So arbeiten sie zusammen an mehreren Bildern. Li Qui Qui sprüht goldene Schriftzeichen und Ben Frost malt kritisch gemeinte Dollar und Yuan-Zeichen hinein. Drumrum ordnet er Comicgesichter an, denen rote Farbschlieren aus den Augen laufen.

Befragt, was er von diesem Widerspruch halte, schaut Frost einen erstaunt an: so sei die Hiphop-Kultur nun mal, das Ausstellen von Reichtum sei doch nichts weiter als eine Mischung aus Stolz auf und Spott über die erreichten Zeichen des Wohlstands. Genauso erstaunt wie Li Qui Qui, wenn man ihn fragt, wie wichtig eigentlich die amerikanischen Einflüsse seien. Es gebe sie, ja. Und sie würden gerade tiefgreifend die kulturelle Landschaft von China verändern. Aber er begrüße dies. "Die Welt wird eins. Aber ich kopiere nicht. Ich bin tief verankert in der kulturellen Tradition Chinas." Chinesisches Graffiti sei eigenständig. Es habe nichts mit Gangs und dem Markieren von Territorium zu tun. Es gehe um die Freude an der Sache.

Wenn man mit Li Qui Qui, Ben Frost (und einem Übersetzer) abends an einer Bar zusammensitzt, ist Li zwar etwas weniger vorsichtig, erzählt von Städten im Süden, wo es einfacher ist, Schallplatten zu kaufen als in Peking, weil man dort alles bekommt, sogar Waffen. Trotzdem sind die Konzepte von Subkultur äußerst unterschiedlich. Fragt man ihn etwa aus einer betrunkenen Laune heraus, was wohl passieren würde, wenn man ein großes Graffiti an der Mauer zur Verbotenen Stadt anbringen würde, schaut er einen mit großen Augen an. Abgesehen davon, dass die Konsequenzen einer solchen Aktion unabsehbar wären, zumal für ihn als Chinesen - wir als Westler, sagt er nach einigem Zögern, würden wohl ernsthaft verprügelt werden und dürften nie wieder ins Land einreisen. Tatsächlich würde man längst vorher verhaftet werden.

Das Atelier, in dem die Künstler zusammen arbeiten, befindet sich in dem "Factory 798 Art District", einem Fabrikviertel am mittleren Stadtrand. Die Regierung wollte es im vergangenen Jahr abreißen, um die Gegend zur Neubebauung freizugeben, nach Protesten wurden die Pläne ausgesetzt. Viele Künstler arbeiten hier, es gibt dutzende von Galerien, aber auch noch einige Fabriken, in denen Wanderarbeiter zu Winzlöhnen arbeiten - wenn man abends durch die Türen blickt, sieht man sie unter ihren Moskitonetzen schlafen. Tatsächlich ist die Factory 798 der einziger Bezirk von Peking, wo sich großangelegt und offen Graffiti an den Wänden finden.

Einige Straßen entfernt vom Atelier arbeitet Tamsin Roberts, eine jener westlichen Kulturunternehmerinnen, von denen man hier einige trifft. Aufgewachsen als Kind britischer Eltern in Hongkong, ist sie mit ihrer Familie nach England zurückgekehrt, als sie noch ein Kind war, dort ging sie dann auch zur Schule und Universität, fand es aber langweilig in Europa, fing an, Mandarin zu studieren und kehrte nach China zurück. Nach Peking. Erst um ihr Studium mit einer großen Arbeit über die Pekinger Punkszene abzuschließen, und schließlich, um hier zu arbeiten. Seit einigen Jahren ist sie nun hier und betreibt mittlerweile eine Galerie und einen Musikverlag.

In den späten Neunzigern und frühen Nullerjahren, sagt sie, gab es einen wilden Underground von Musikern und Künstlern, die in Kommunen lebten und alle Werte und Symbole der chinesischen Gesellschaft in Frage stellten. Damit ist es aber vorbei - die Szene ist größer geworden, die Protagonisten älter, alle hätten nach und nach die chinesische Identität wieder entdeckt, die ihnen von Kindesbeinen an eingeimpft worden ist. Der Underground heute sei nicht mehr anti-establishment, sondern bestehe aus dem Versuch, Differenz zu markieren. Differenz zum Mainstream der chinesischen Kulturproduktion, zum Canton-Pop etwa, wenn es um Musik gehe. Da sehe sie auch ihren Job als westliche Kulturunternehmerin in China: die Pekinger Künstler bei den Versuchen zu unterstützen, ein Gefühl für das Eigene zu entwickeln.

Im Großen und Ganzen, so Roberts, sei die Subkulturproduktion aber vor allem eine vielversprechende Unterabteilung des großen Dramas, das in Peking und anderen chinesischen Städten gerade aufgeführt werde: die Entdeckung des Konzepts des Individualismus westlicher Prägung und des Versuchs, sich dies zu eigen zu machen. Der einfachste Weg führe über das Zusammenraffen von Reichtum und die Möglichkeit, sich damit westliche Markenwaren zu kaufen. Aber Kunst und Musik seien eben auch Möglichkeiten, sich als Individuum zu begreifen.

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