Kulturexport Schindhelm: "Man schätzt hier deutsche Wertarbeit"
Kulturmanager Michael Schindhelm, 46, spricht über seine neue Rolle als Gastarbeiter in Dubai, über Berlin - und den schwierigen Aufbau eines Opernhauses in Arabien
taz: Herr Schindhelm, vor vier Monaten haben Sie die Berliner Opernstiftung verlassen und sind nach Dubai ausgewandert. Denken Sie noch im Zorn an Berlin zurück?
Michael Schindhelm: Berlin ist für mich ein abgeschlossenes Kapitel. Im Grunde war ich niemals dort. Als ich im Sommer 2006 endgültig aus Basel ankam, gingen ein paar Wochen später schon die persönlichen Angriffe des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit los. Aber ich weiß von meiner eigenen Erfahrung sehr wohl zu abstrahieren. Berlin ist eine wunderbare Stadt, deshalb bedaure ich, dass sie in Dubai kaum jemand kennt.
Sie wollten bis zum Sommer in Erfahrung bringen, ob Dubai außer Shopping Malls auch eine Oper braucht. Was ist Ihr Ergebnis?
Ich bin ja noch hier. Es ist eine großartige Möglichkeit, mit der Architektin Zaha Hadid dieses Opernhaus zu bauen. Das wird ein Projekt sein, für das in den nächsten fünf bis sechs Jahren mindestens eine Milliarde Dollar gebraucht werden - für Bau und Vorbereitung des Betriebs.
Sie bleiben endgültig?
Die Dinge entwickeln sich so schnell, dass von Endgültigkeit nicht die Rede sein kann. Das gibt es gar nicht in diesem System. Mit meinem Arbeitgeber habe ich verabredet, dass ich vorerst weitermache. Bis Ende des Jahres wird sich klären, was ich hier einbringen kann.
Sie haben keinen Vertrag abgeschlossen - nach dem Kompetenzgerangel in Berlin?
Entscheidend war in Berlin nicht die Kompetenzfrage, sondern der fehlende politische Rückhalt. Den habe ich hier. Alle weiteren Fragen können Sie in einem Emirat wie Dubai nur mit dem Scheich persönlich klären, und das dauert eben seine Zeit.
Im Frühjahr haben Sie die schnellen Entscheidungen im aufgeklärten Absolutismus gelobt. Ganz so einfach ist es jetzt doch nicht?
Wir sprechen über Milliardenbeträge, über die in Europa niemand mehr sprechen könnte. Nur stehe ich im Wettbewerb mit anderen Leuten, die ebenfalls Milliardenprojekte unter dem Arm haben und wie in einem Audienzsaal darauf warten, über die Schwelle gelassen zu werden. Irgendwann ist dann der Zeitpunkt gekommen, wo man die Schwelle überschreitet und entschieden werden muss.
Sie antichambrieren wie früher bei Klaus Wowereit?
Herr Wowereit hat kaum etwas zu entscheiden. Er trägt alles dem Parlament vor. In Dubai haben Sie es immer mit einem Individuum zu tun. Diese Zentralität wirkt allerdings auch wie ein Nadelöhr. Der Entscheidungsträger hat ja pausenlos gigantische Projekte zu beschließen, manchmal in zwei- oder dreistelliger Milliardenhöhe.
Wenn Sie den Absolutismus in Arabien loben, reden Sie dann nur als Kulturmanager oder auch als Staatsbürger?
Ich bin nicht Staatsbürger von Dubai. Ich bin nur ein Gastarbeiter - der regelmäßig abzuwägen hat, ob das politische System, für das er arbeitet, mit seiner Vorstellung von einer akzeptablen Gesellschaftsform übereinstimmen.
Mit welchem Ergebnis?
Natürlich herrschen hier andere Verhältnisse als in Europa. Aber ich habe eine große Hochachtung vor dem, was in den 35 Jahren erreicht worden ist, seit es die Vereinigten Arabischen Emirate gibt. Für den Optimismus, mit dem man, eingeklemmt zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, eine andere Gesellschaftsform für die arabische Welt entwickelt. Mit Frieden und Wohlstand, mit religiöser und weitgehend auch politischer Toleranz. Man will den anderen arabischen Ländern zeigen, wie viel man mit Ehrgeiz und Besonnenheit erreichen kann.
Wir im Westen würden solche Verhältnisse niemals akzeptieren, für die Araber geht das schon in Ordnung?
Auch politisch entwickelt sich alles mit großem Tempo in eine neue Form - die aber mit Sicherheit auf islamischer Religion und arabischer Tradition gründet. Insofern bezweifle ich, dass ein Europäer jemals sagen wird, er könne das akzeptieren. Es gibt einfach gravierende Unterschiede, wir sind hier in einer anderen Region der Erde.
Den Emiraten die westliche Demokratie aufzudrängen, wäre imperialistisch?
Das haben wir ja im 20. Jahrhundert wiederholt versucht, in Afrika zum Beispiel oder zuletzt in Russland. In China hat man offensichtlich größeren Respekt. Was sich in Europa an gesellschaftlicher Komplexität entwickelt hat, ist etwas völlig Einzigartiges. Es wäre eine unsinnige Forderung, das müsse und könne man überall genauso durchsetzen. Jede Gesellschaft muss ihren eigenen Weg gehen.
In Europa gibt es eine erregte Debatte über staatliche Firmen wie die Dubai Holding, die in westlichen Demokratien ganze Infrastrukturen aufkaufen. Können Sie diese Ängste nachvollziehen?
Diese Entwicklung kann der Westen gar nicht aufhalten, und sie ist auch überhaupt nicht neu. Ängste entstehen immer daraus, dass man sich zu wenig auskennt. In Dubai sind 85 Prozent der Menschen Ausländer, die sehr mobil sind und schon in verschiedenen Gesellschaften gelebt haben. Das ist etwas, was in Zentraleuropa fehlt: eine gewisse Beweglichkeit im Denken, die Bereitschaft, sich mit den anderen auseinanderzusetzen - um unsere eigenen Klischees und Ängste zu entzaubern.
Sind wir zu provinziell?
Ich bewundere die deutsche Wirtschaftskraft sehr, das meine ich ganz unironisch. Deutschland hat in der arabischen Welt einen ganz hohen Stellenwert. Und das nicht etwa, wie manche Leute glauben, wegen der Judenverfolgung in der Nazizeit. Sondern weil man den Deutschen bestimmte Qualitäten zuspricht.
Zum Beispiel?
Man schätzt hier deutsche Wertarbeit. Jeder, der es sich leisten kann, fährt ein deutsches Auto. Man bewundert auch unsere sozialen Errungenschaften, etwa das Gesundheitssystem. Wem die Ärzte in Dubai nicht helfen können, der wird oft auf Staatskosten nach Deutschland zur Behandlung geschickt.
Wo liegt dann das Problem?
Wir ruhen uns darauf aus - gerade auch im kulturellen Bereich. Die Franzosen geben 400 Millionen Euro aus, um sich bei den Olympischen Spielen in Peking kulturell zu präsentieren. Das dortige Goethe-Institut hat nur 400.000 Euro zur Verfügung. Da stellt sich schon die Frage, wie wir die Welt außerhalb Europas wahrnehmen.
Welche Rolle spielt die Kulturpolitik für Dubai?
Dubai ist ein exemplarischer Ort der arabisch-westlichen Kulturverständigung. In der libanesischen, syrischen, ägyptischen oder auch irakischen Kulturszene gibt es die interessantesten Ansätze, gerade in der Musik und in der darstellenden Kunst. Viele dieser Künstler leben heute im Exil und suchen einen Weg zurück. Das ist ein Grund, warum Dubai als politisch und wirtschaftlich stabilster Ort der arabischen Welt versucht, sich als kulturelle Plattform aufzubauen.
Die Oper ist eine westliche Kulturform. Wie wollen Sie den Bezug zu Dubai herstellen?
Was wir aufbauen, wird keineswegs ausschließlich eine Oper sein. Wir müssen etwas völlig Neues erfinden für eine Stadt, die selbst ihren eigenen Bewohnern fremd ist.
Es geht eher um globalisierte als um arabische Kultur?
Ohne lokale Verortung wird das nicht funktionieren. Neben unserer westlichen Musikkultur wird es unter dem Dach dieses Opernhauses auch arabische Kunst geben - möglicherweise auch mit einem indischen Bezug, weil jeder zweite Einwohner aus Indien kommt.
Finden die Aufführungen dann einfach nur nebeneinander statt, oder sollen sich die Kulturen auch vermischen?
Das Entscheidende ist, dass man die Dinge schön getrennt lässt. Um mit Nathan zu reden: dass man die Ringe, die jeder am Finger trägt, auch wirklich zeigt. Es geht nicht darum, einen Kessel Buntes zu entwickeln, sondern eine gewisse Distinktion zu bewahren. Die westliche Oper ist die westliche Oper, und wir werden sie als westliche Oper aufführen - und zwar auf einem Niveau, das den Vergleich mit anderen Häuser von internationalem Rang nicht scheuen braucht.
Während Ihrer Intendantenzeit in Basel wurden Sie bisweilen als "Besserwessi" beschimpft. Fühlen Sie sich nicht in Dubai jetzt wieder als armer Ossi?
Arm und Reich sind Kategorien, die hier nicht wirklich eine Rolle spielen. Hier gibts nur Reich. Man unterscheidet nur zwischen den Leuten, die mit Geld umgehen, und denen, die es haben. Ich bin ein Experte, der mit einem bestimmten Fachwissen berät und dann im Auftrag handelt. Das ist etwas anderes, als mit der klaren Stellenbeschreibung eines Theaterdirektors anzutreten. Da muss man erst einmal Orientierung suchen.
Es ist ein bisschen wie zu Wendezeiten?
Wenn meine Erfahrungen mit irgendetwas zu vergleichen sind, dann mit der Zeit nach 1989. Selbst in Nordhausen habe ich nicht unter so provisorischen Verhältnissen gearbeitet - mit wechselnden Mitarbeitern, Büros und Kommunikationsmitteln. Ich erinnere mich oft daran, übrigens auch daran, dass viele Ostdeutsche den Schnitt nicht verkraftet haben. Wenn man sich überlegt, mit welcher Drastik sich die Lebensumstände der Einheimischen verändert haben, die vor 30 Jahren vielleicht noch nicht mal Elektrizität hatten - dann sind die kulturellen Leistungen, die hier abgefordert werden, wirklich phänomenal.
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