Dowload-Charts : Ton ohne Träger

Die Entmaterialisierung der Musik schreitet weiter voran: Bei der Bewertung der Charts werden künftig auch Downloads berücksichtigt - mit kuriosen Folgen.

Nelly Furtado gehört zu den Gewinnern der neu geregelten Charts Bild: reuters

Der Umbruch ist da, und er hat sich lange angekündigt. Die Entmaterialisierung der Musik schreitet voran, nach Großbritannien nun auch in Deutschland: Erstmals fließen auch in die deutsche Chartsberechnung nun so genannte "Download-Only"-Titel und -Alben ein, Musik also, die ausschließlich über das Internet vertrieben wird und die auf CD gar nicht erhältlich ist.

Die einen in der Musikbranche jubeln: ein Meilenstein! Die anderen: ein überfälliger Schritt! Die dritten sagen, bisher hätten sie nur eher positive Einschätzungen zu der Änderung bekommen. Quer durch die Bank, von Ulrike Altig, der Geschäftsführerin von Media Control, das die Charts ermittelt, über Mitarbeiter von Major-Labels bis zu Vertretern kleiner Plattenfirmen.

Nur kurz, fürs Protokoll: Das erste Ergebnis der Änderungen ist, dass in den neuen deutschen Top-100-Single-Charts RTL-"Superstar" Mark Medlock ("You Can Get it", mit Dieter Bohlen) vor den ProSieben-"Popstars" Monrose ("Hot Summer") steht.

Echt irre also, der Umbruch: Die Revolution wird repräsentiert durch Castingshowsieger.

Allerdings ist die Änderung, die seit dieser Woche in Kraft ist, tatsächlich ein Einschnitt. Denn dass "Download-Only"-Titel in die Hitparadenberechnung eingehen, bedeutet, gerade im Singlebereich, eine Aufwertung a) von Bands wie den Arctic Monkeys, die nur über das Internet - ohne Plattenfirma und damit auch ohne die Möglichkeit, teure Single-CDs herzustellen -bekannt wurden und von nun an auch in Deutschland auf der Basis der Downloads in die Hitparade gelangen können; b) von Evergreens, die, wie der Name verspricht, immer gerne gehört werden, weshalb es sein könnte, dass ein Song der Beatles wieder einmal Platz eins erreicht, ohne dass davon eine CD-Single gepresst werden müsste; und c) von Songs, die plötzlich zu neuer Aufmerksamkeit kommen, etwa ältere Stücke, die in Werbespots, Kinofilmen oder zur Kaufhauseinlullung im Advent verwendet und daraufhin vielfach heruntergeladen werden. Man darf zu Weihnachten also - Nebeneffekt der Reform - die Rückkehr von "Last Christmas" von Wham in die Top-Ten befürchten und die Charts-Reform somit für die Zurückdrängung der Heutigkeit aus dem Musikmarkt und den Vormarsch der Nostalgie verantwortlich machen.

Dennoch ist auch richtig, was Ulrike Altig sagt, die Geschäftsführerin von Media Control: "Mit dem geänderten Reglement wird man den aktuellen Entwicklungen im Musikbusiness gerecht." Denn die Verkäufe von CDs, vor allem Single-CDs, sinken seit Jahren, die Zahl der legalen, bezahlten Downloads nimmt dagegen deutlich zu.

Ein wichtiges Detail der Charts-Reform jedoch wertet Downloads prompt wieder ab: Denn parallel zur Umstellung auf die neue Download-Berücksichtigungssytematik wird auch von einer Stückzahl- auf Umsatzwertung umgestellt. Dass in den aktuellen Single-Top-100 kein einziger "Download-Only"-Titel steht, kann damit zu tun haben: Downloads sind sehr viel günstiger als CDs - eine gekaufte Single-CD ist daher für die Chartsberechnung mehr wert als ein Song, der legal heruntergeladen wird. Künstler, die ihre Musik ausschließlich kostenlos zum Herunterladen anbieten, haben nach der an Umsätzen orientierten Berechnung keine Chance, in die Charts vorzukommen - nach wie vor nicht.

Dass kleine Bands dennoch nicht unbedingt zu den Verlierern der Reform gezählt werden müssen, liegt daran, dass sie lediglich nach wie vor nicht können, was sie schon vorher nicht konnten - es nämlich mit Gratisangeboten in die Hitparade schaffen. Und dass auch kleine Plattenfirmen angesichts der Reformeher positiv gestimmt sind, liegt daran, dass sie auf die Herstellung teurer Maxi-Single-CDs verzichten können. Singles dienen oft vor allem dazu, den Markt auf die Erscheinung eines neuen Albums vorzubereiten. Und es mag zwar nach wie vor schwieriger sein, mit Downloads als mit CDs in die Single-Charts zu kommen - aber immerhin ist es nun überhaupt möglich.

Es gibt daher noch eine weitere wichtige Chartsmeldung, die mit der Reform verbunden ist: Die Single-CD ist nun in der Hitparade der vom Aussterben bedrohten Arten noch weiter aufgestiegen.

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