Börse: Der Boom auf Pump bricht ein
Die Immobilienblase in den USA platzt, Kredite werden knapp - auch für die Übernahmen der Private Equity Fonds. Geht der Börsenboom zu Ende?
Was passiert eigentlich, wenn eine Immobilienblase platzt? Die Ereignisse an den Börsen in aller Welt geben recht eindeutige Hinweise darauf. In New York stürzte am Donnerstag der Dow-Jones-Aktienindex, der erst vor einer Woche einen neuen Rekord erzielt hatte, um 2,3 Prozent. Der Londoner Index FTSE 100 verlor 3,2 Prozent - so viel wie seit dem Einmarsch in den Irak nicht mehr. Und beim deutschen Aktienindex DAX waren es 2,4 Prozent. Gestern herrschte nervöse Spannung an den Börsen. Ein paar Schnäppchenjäger kauften die jetzt billiger gewordenen Aktien, während andere ihre Papiere nur loswerden wollten. Die Folge waren kräftig schwankende Kurse.
Schon seit Anfang Juni scheint es, als sei die Börsenrallye an ihre Grenzen gestoßen. Gerade so schaffte es der DAX Mitte Juli, seinen alten Rekord aus dem Jahr 2000 zu brechen. Aber er konnte sich nie auf diesem Niveau halten. Als Begründung verweisen Börsenexperten auf die steigenden Zinsen und Erdölpreise - beides sind Faktoren, die die Konjunktur beeinträchtigen. Und immer wieder auf die Probleme des US-amerikanischen Immobilienmarkts. Dort waren kürzlich zwei milliardenschwere Hedgefonds, die sich mit Hypothekenkrediten kräftig verspekuliert hatten, in eine schwere Krise geraten.
Private Equity Fonds sind Fonds, die mit dem Geld, das sie von Großinvestoren eingesammelten haben, ganze Firmen oder zumindest große Anteile daran übernehmen. Oft nehmen die Fonds auf den Namen des übernommenen Unternehmens Kredite auf. Mit diesem Geld zahlen sie ihren Anlegern einen beträchtlichen Teil ihres Kapitaleinsatzes oder gar mehr zurück. Zusätzliche Einnahmen erzielen sie, indem sie der übernommenen Firma Beratungsgebühren abknöpfen. Wenn das Unternehmen ganz oder in seine Einzelteilen weiterverkauft oder an die Börse gebracht wird, mehrt das die Gewinne der Private Equity Fonds. Privaten Kleinanlegern stehen sie im Allgemeinen nicht offen. Hedgefonds sind Fonds, die das von ihnen verwaltete Geld in hochspekulativer Weise und meist sehr kurzfristig einsetzen. Sie investieren in Aktien, Rohstoffe oder Währungen. Sie nutzen Währungs- oder Preisschwankungen, indem sie etwa auf sinkende Aktienkurse spekulieren. Mit der Absicherung von Geschäften, für diese Fonds einmal gedacht waren, haben sie kaum noch etwas zu tun. Diese Fonds sind meistens in Steueroasen ansässig und unterliegen keiner Marktaufsicht.
Wenn so eine Blase auf dem Immobilienmarkt platzt, ist kein lauter Knall zu hören, allenfalls das leise Zischen der entweichenden Luft. Es ist in den USA seit einiger Zeit schwieriger, für Häuser einen Käufer zu finden, die Hauspreise sind leicht rückläufig, und die Neubautätigkeit stagniert. Lange hatte das überhaupt keine negativen Folgen. Die erwarteten Auswirkungen auf die Konjunktur - nämlich dass die private Nachfrage einbricht, wenn die Amerikaner ihren Konsum nicht mehr durch immer neue Hypothekendarlehen finanzieren können - blieben aus. Doch langsam breiten sich die Probleme aus und stecken andere Märkte an. Und irgendwann erwischt es die Börse. So wie jetzt.
Der Schrecken hat in den USA einen Namen: Subprime. Damit sind Immobilienkredite an Leute mit "suboptimaler" Kreditwürdigkeit gemeint. In den USA haben sich einige Hypothekenbanken genau auf diesen Markt spezialisiert. Bis zu 100 Prozent des Werts des Hauses vergeben sie als Kredit, mit dem Haus selbst als einzige Sicherheit.
Kredit aufs Haus
Viele Amerikaner haben Hypotheken auf ihr Haus aufgenommen, um sich damit beispielsweise ein neues Auto oder die neue Einbauküche zu finanzieren. Das System funktionierte prima, solange die Zinsen niedrig waren und die Immobilienpreise immer weiter stiegen. Doch wenn die Hauspreise fallen, dann sind auch die Sicherheiten für die Immobilienkredite weniger wert. Zugleich können immer mehr Amerikaner wegen stark gestiegener Zinsen ihre Schulden nicht mehr bedienen. Das brachte zunächst die auf Subprime-Kredite spezialisierten Immobilienfinanzierer in die Bredouille - und dann die Hedgefonds, die diesen einen Teil der Hypotheken abgekauft hatten, um damit wild zu spekulieren. Jetzt scheint auch der normale Hypothekenmarkt betroffen.
Lange hat die restliche Finanzwelt so getan, als ob sie das alles nichts anginge. Die großen Banken verdienten sich schließlich gerade eine goldene Nase mit der massenhaften Vergabe von Krediten. Anschließend bündelten sie die Schuldscheine in große Pakete und verkauften diese - genau wie es auch die Hypothekenfinanzierer getan hatten - gleich weiter an andere Investmentbanken oder Hedgefonds. Die übernehmen mit den Schuldscheinen auch das Ausfallrisiko und lassen sich das teuer bezahlen. Dieser Weiterverkauf habe das Risiko so breit gestreut, dass eine Finanzkrise eigentlich ausgeschlossen sei, so die weitverbreitete Überzeugung.
Dankbare Heuschrecken
Vor allem Private Equity Fonds - vulgo: Heuschrecken - nahmen dankbar die günstigen Kredite auf und finanzierten mit dem geliehenen Geld eine Firmenübernahme nach der anderen. Zahlreiche andere Unternehmen wollten sich vor der Übernahme schützen: Sie kauften - meist auch mit Hilfe von Krediten - ihre eigenen Aktien auf, umso deren Kurs so hochzupushen, dass die Heuschrecken nicht drankommen. Der kreditfinanzierte Übernahmeboom und die Aktienrückkäufe der Unternehmen waren wesentliche Triebkräfte des jüngsten Börsenbooms.
Doch damit ist es jetzt erst einmal vorbei. Die Immobilienkrise, der Konkurs mehrerer Subprime-Hypothekenfinanzierer und in der Folge die Beinahepleite einiger Hedgefonds, die die Schuldscheine aufgekauft hatten, hat Banken und Investoren plötzlich unsanft an die Risiken des Kreditgeschäfts erinnert. Angst macht sich breit. Und die führt dazu, dass für riskante Deals keine Kredite mehr bereitgestellt werden.
Es hat einige Zeit gedauert, bis sich diese Entwicklung auf die Börse niederschlug. Die Börsenwelt sei wie ein Dinosaurier, lästerte unlängst der bekannte US-Investmentfondsmanager Jeremy Grantham: "Der Brontosaurus wurde in den Schwanz gebissen, aber die Information hat sein winziges Gehirn noch nicht erreicht. Sie pflanzt sich erst ganz langsam durch sein Rückgrat fort, von einem Wirbel zum nächsten." Am Donnerstag scheint die Botschaft im Gehirn angekommen zu sein: Achtung, Risiko - das Ende des Booms ist möglicherweise in Sicht!
Der Markt für Risikokredite ist so rapide ausgetrocknet, dass inzwischen selbst die Schwergewichte auf dem Markt betroffen sind. Ein schon vereinbarter Kredit über 10 Milliarden US-Dollar, mit dem die Riesen-Heuschrecke Cerberus den Automobilhersteller Chrysler von Daimler kaufen wollte, wurde erst mal auf Eis gelegt. Diese Nachricht war einer der Auslöser für den Aktienkurseinbruch vom Donnerstag.
Und wo es noch Kredite gibt, dürften sie viel teurer werden. In den USA sind die Zinsen schon jetzt hoch, und in Europa sind sie derzeit im Anstieg begriffen. Nicht nur Fusionen und Übernahmen werden so teurer und unattraktiver, sondern alle Arten von Investitionen. Die Folge geringerer Investitionen aber ist ein Abflauen der Konjunktur, was wiederum auf die Aktienkurse drückt. Zugleich legen viele Investoren nun lieber ihr Geld in festverzinslichen Anlagen an, insbesondere in sicheren Staatsanleihen, die jetzt ja eine höhere Verzinsung bieten. Die Nachfrage nach Aktien sinkt also - und damit ihr Kurs.
Doch nicht alle sind darüber unglücklich. So mancher Börsianer atmet auf: "Endlich kehren wieder normalere Zustände ein", sagte ein New Yorker Händler. Die allzu große Risikobereitschaft der Kreditgeber habe übermäßig riskante Deals begünstigt - ein Risiko für die gesamte Finanzwelt.
Hoffnung auf China
Auch Grantham ist gar nicht so pessimistisch, was die weitere Entwicklung angeht. Kredite seien ja schließlich nicht die einzige Finanzquelle, aus der sich der Aktienboom speiste. Ganz andere, meist durchaus solide Investoren könnten die Nachfrage nach Aktien beleben: staatliche Fonds aus Erdölländern und erfolgreichen Exportnationen wie China, die ihre Einnahmen gewinnbringend anlegen wollen.
An eine ungehemmte Fortsetzung der Börsenrallye glaubt derzeit kaum jemand. Aber auch nicht an einen Crash: "Es wird etwa einen Monat dauern, bis sich alle vergewissert haben, dass das Problem nicht die gesamte Weltwirtschaft runterzieht", lautet beispielsweise die Prognose des Volkswirts Kazuhiro Takahashi von der japanischen Investmentbank Daiwa Securities. Wenigstens er hat noch Hoffnung.
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