Frauen-Fußball-WM: Die Handarbeiterin

Die Gastgeberinnen spielen am Dienstag ihr erstes Match gegen Dänemark. Auch eine Deutsche ist dabei: Carolin Scheck (31) die Physiotherapeutin des chinesischen Teams.

Der Star unter Carolin Schecks Schützlingen: die Stürmerin Han Duan. Bild: ap

Wuhan taz Es nieselt leicht, und Carolin Scheck steht, die Hände in den Taschen der blauen Turnhose vergraben, an der Eckfahne. So ernst und still wie jetzt sieht man sie selten. Inmitten der blitzenden Bankentürme Wuhans absolviert die chinesische Frauen-Elf in einem kleinen, alten Stadion eines ihrer letzten Trainings vor der Weltmeisterschaft. Und während eine Handvoll Fans und viele Journalisten oben auf der Tribüne nur Augen für das Elfmeter-Training auf der anderen Seite des Felds haben und jeden Schuss beraunen, als sei man schon im Finale, lässt die deutsche Physiotherapeutin ihren Blick nicht von den chinesischen Angreiferinnen Han Duan und Ma Xiaoxu, die Standardsituationen trainieren.

Nur wenn sie sich nicht verletzen, nur wenn sie treffen, werden die "Stahlrosen", wie die Frauen-Elf im Reich der Mitte stolz genannt wird, überhaupt ins Endspiel kommen. Ab Mittwoch, wenn das Team das erste Spiel hat, wird ein Gutteil der 1,3 Milliarden Chinesen mitfiebern. Klar, der Druck wird gewaltig werden, klar, da muss man auch mal ernst werden.

Aber noch ist es nicht so weit. Noch sind es ein paar Tage bis zum Auftaktspiel. Und Wuhan hat Laune, für ein paar Wochen dem Weltfußball Applaus und Logis zu bieten. Das war schon am Flughafen unübersehbar.

In der Ankunftshalle empfing einen nicht nur ein großes graues Banner: "Willkommen bei der Fifa-Frauen-Fußball-WM 2007". Sondern auch Ronaldo. Es muss Jahre her sein, dass der brasilianische Stürmer-Star in China Werbung für Pfefferminzdrops gemacht hat. Das Poster im Glaskasten ist total vergilbt. Falls es ein Spaßvogel war, der es hat hängen lassen, jemand, der dem so auf Organisation und Darstellung konzentrierten Weltfußballverband ein Schnippchen schlagen wollte, dann ist ihm das gelungen. Die Fluggäste aus Peking, vom Gepäckband kommend, zeigen es sich gegenseitig schmunzelnd. Und chinesische Geschäftsmänner posieren davor und reichen sich die Foto-Handys. Die Frauen-WM schafft es erst mal nicht aufs Bild.

Das sollte nicht so sein. Schließlich haben die Chinesen lange gewartet, vier Jahre zu spät findet die WM statt, eigentlich. 2003 war der Termin, aber wegen der Lungen-Epidemie Sars wurde das Turnier in die USA verlegt.

Nun soll es endlich losgehen in den Metropolen abseits der Hauptstadt Peking, in Schanghai, Hangzhou, Tianjin, in Chengdu und eben in Wuhan, der 8-Millionen-Einwohner-Metropole am Unterlauf des Drei-Schluchten-Stausees. Und es soll ein Fest für China werden - so wie nächstes Jahr Olympia in Peking. Man hat dafür Stadien gebaut, erstmals sind Prämien ausgelobt, und man hat für die heimische Mannschaft erfahrene Trainer- und Betreuerinnen aus dem Ausland eingekauft.

Carolin Scheck steht an der Eckfahne und beobachtet weiter Ma Xiaoxu und Han Duan. Noch sind es vier Tage bis zum Spiel gegen Dänemark am nächsten Mittwoch. Die Däninnen sind Mitkonkurrentinnen um Platz 2. Brasilien gilt schon als Gruppensieger, Neuseeland ist noch Fußballschwellenland. Und in diesem ersten Spiel ist gerade das Stürmer-Duo unverzichtbar. "Die sind eindeutig unsere Superstars", hat Scheck am Vorabend bei einem Gespräch in der Lobby des Mannschaftshotels gesagt. Und beobachtet nun beim Training, dass keine der Spielerinnen nach dem Sprung zum Kopfball falsch aufkommt oder umknickt. Und sie schaut auf Bewegung und Haltung, um gleich Anzeichen von Verhärtungen, Zerrungen oder Schlimmerem zu entdecken.

Nur einmal wendet sie den Kopf und blickt hinüber auf die Gegenseite. Chinas Torfrau hat zwei Elfmeter hintereinander gehalten. Drei Fans auf den Rängen des Stadions jubeln und rollen sofort ein Plakat aus: "Wir lieben das chinesische Frauen-Team. Fußballerinnen sind die schönsten Frauen der Welt", steht weiß auf rot drauf. Und sie rufen: "Jiayo, Jiayo" - es ist der Schlachtruf der chinesischen Fußballfans. Die Betreuerin sieht die Männer und lächelt.

Carolin Scheck sitzt im roten Nationaltrikot neben einem Vorhang aus perlendem Wasser in dem kleinen Bambuswald in der Lobby des Mannschaftshotels und sagt: "Ich bin die erste Physiotherapeutin in China."

Sie ist sicher die erste im chinesischen Frauenfußball. Carolin Scheck ist dafür da, das Verletzungspech so klein wie möglich zu halten. Das bedeutet nicht nur Krankengymnastik nach Operationen, um Sportler schnell wieder fit zu machen. Die 31-Jährige berät auch Trainer und Spieler, um bei der Vorbereitung Verletzungen auszuschließen. Dafür hat sie vor allem außerhalb des Trainings viel zu tun.

"Auf dem Platz bin ich eigentlich nur Ballholerin", sagt die Frau, die selbst nie Fußball gespielt hat. Gleich muss sie wieder weg, sie hat einen 15-Stunden-Tag. Die chinesischen Ärzte, die mit Akupunktur und Akupressur arbeiten, beobachtet sie aber immer neugierig: "Wir lernen gegenseitig." Und nun, kurz vor dem Turnier, sagt sie stolz: "Alle sind fit." Dafür hat sie seit Januar gearbeitet.

Die Frau mit dem norddeutschen Tonfall passt ins Land des Lächelns. Es ist ein charmantes Strahlen, wie angeboren. Im Januar ist sie kurz entschlossen hierhergekommen, nachdem sie schon als Physiotherapeutin für das Nachwuchsteam der deutschen Volley- und Beachballerinnen gearbeitet hatte. Ihr Vater, Hans-Peter Scheck, der schon der Physiotherapeut bei der WM 1974 im Stab der deutschen Elf war, riet ihr zu. Doch sie musste nicht lange überlegen. "Auf mich wartete ein riesiges Abenteuer."

Es sieht alles danach aus, dass dieses Abenteuer Carolin Scheck Spaß macht. Sie scherzt auf dem Platz, , sie rempelt und stößt die Spielerinnen freundschaftlich an der Schulter. "Oh ja, sie ist eine lustige Person", erzählt Meng Hongtao, der Sprecher des chinesischen Teams. "Sie ist für uns mehr als nur die Physiotherapeutin."

Die Betreuerinnen hätten überhaupt einen neuen Stil mitgebracht, sagt Rambo Xu, Frauenfußball-Experte bei der Shanghai Times. Er hat das Team seit Monaten von den verschiedensten Tribünen aus beobachtet. Im Gegensatz zu den chinesischen Betreuern "achten sie darauf, das die Spielerinnen Spaß haben". Er ist begeistert von der neuen Spiellaune. Auch Carolin Scheck sagt, Trainerin Marika Domanski-Lyfors habe Schluss gemacht mit Drill und Disziplin, wie sie vorher so üblich waren. Seit Jahresanfang trainiert das Team täglich wie eine Vereinsmannschaft. "Aber dass sie auch mal Freizeit haben, war anfangs sehr ungewohnt für die Spielerinnen", erinnert sich Scheck. "Unter den Chinesen gab es höchstens Gruppenfreizeiten - und auch nur ganz selten."

Außerdem hat ihr imponiert, wie konsequent die Trainerinnen auf die "schwedische Art" setzen, die Spielerinnen positiv zu motivieren. Denn die Chinesinnen sind eine junge Mannschaft, eine "oft kichernde Mädchengruppe", sagt Scheck.

Die Leistungsträgerinnen, Ma Xiaoxu und Han Duan, sind 18 und 24. "Wenn das Team nicht entspannt ist, dann wird es hier stressig", sagt die Physiotherapeutin.

Und das könnte bald so werden. Von den Frauen erwartet man sich im fußballbegeisterten Reich der Mitte ohnehin mehr als von den Männern. Lange stand die Frauen-Elf in der Weltrangliste ganz oben, gleich hinter den USA, Deutschland und Norwegen, aktuell ist es Platz 11, die Männer dagegen krebsen am Ende der Top 100 herum.

Dass wie eben nur eine kleine Traube von Neugierigen vor dem Mannschaftshotel steht, wird sich bald ändern, prophezeit Carolin Scheck. "In der Vorbereitung waren schon bei Spielen gegen die Liga-Mannschaften Massen von Fans und Journalisten im Hotel."

Die Zeitungen in Wuhan haben bereits begonnen, seitenweise über die Fußballfrauen zu berichten. Die nationalen Medien werden bald folgen. Vor allem das junge Stürmerinnen-Duo steht im Fokus.

Ma Xiaoxu wird in der heimischen Presse mit Wayne Rooney verglichen, dem jungen, bulligen englischen Stürmer. Von der Statur her kann Ma mithalten, mit ihrem vierschrötigen Körper und dem Kurzhaarschnitt ist sie genau das Gegenteil einer zierlichen Asiatin. Und sie ist so torgefährlich, dass sie im Frühjahr sogar nach Schweden verkauft wurde. Sonst spielen alle Chinesinnen in der Heimat, auch Mas Partnerin Han Duan, in China ein fast noch größerer Star.

"Black Beauty" nennt man sie hier, im Fernsehen ist die spielwitzige Angreiferin auch schon als Modell aufgetreten. "Die zwei ergänzen sich toll", sagt Carolin Scheck lächelnd.

Doch bei so viel Licht gibt es auch Schatten.

Die Physiotherapeutin wird nicht mit auf der Bank sitzen, wenn es am Mittwoch gegen Dänemark geht. Carolin Scheck ist ein bisschen traurig darüber, dass sie das gesamte Turnier nur von der Tribüne aus erleben wird, aber: "Mit all dem Lärm und mit meinem wenigen Chinesisch kann ich nicht auf den Platz rennen und mitbestimmen, ob eine Spielerin, die auf dem Boden liegt, ausgewechselt werden muss. Das muss schnell gehen", erklärt sie.

Nur bei einem Spiel, so kann man sie verstehen, wäre sie froh, nicht auf der Bank zu sitzen - Wenn es im Finale China - Deutschland hieße: "Da würde ich am liebsten gar nicht im Stadion sein."

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