Atomstreit: "Schwerste internationale Krise"
Die Kriegsdrohung Kouchners markiert die radikale Änderung der französischen Außenpolitik unter Jacques Chirac seit dem Irakkrieg.
PARIS taz "Die internationale Gemeinschaft muss sich auf das Schlimmste vorbereiten", sagt der französische Außenminister. Was das bedeutet? "Krieg", fügt Bernard Kouchner hinzu. Er meint einen Krieg gegen den Iran. Mit der Erklärung, die der "french doctor" am Sonntag in dem Privatfernsehsender RTL abgab, ist der Sozialdemokrat auf die Linie des rechten Staatspräsidenten eingeschwenkt. Nicolas Sarkozy hatte seinen BotschafterInnen in aller Welt schon beim jährlichen Treffen Ende August in Paris die Richtung angegeben. Er bezeichnete den Streit um das iranische Atomprogramm als "zweifellos die schwerste Krise, die heute international existiert."
Mit der Kriegsdrohung markiert Kouchner eine radikale Abkehr von der Linie, die Frankreich seit den Vorbereitungen des US-amerikanischen Kriegs gegen den Irak praktiziert. 2003 drohten Expräsident Jacques Chirac und der damalige Außenminister Dominique de Villepin mit einem Veto im Weltsicherheitsrat gegen einen Krieg. Der klaren französischen Poisition gegen den Krieg schloss sich später in Deutschland auch Bundeskanzler und Wahlkämpfer Gerhard Schröder an.
Seither hat Frankreich für internationale Konflikte kontinuierlich den "Multilateralismus" gepredigt: internationale Beziehungen, in denen die Vereinten Nationen über das Vorgehen entscheiden - und nicht einzelne Staaten in Husarenmanier in Kriege ziehen. Kouchner freilich stand schon damals in Opposition zu dieser französischen Position. 2003 war er einer von wenigen prominenten Franzosen, die den den Bush-Krieg gegen den Irak befürworteten. Insofern ist er sich treu geblieben. Um seine Meinung aus einer Regierungsposition heraus kundzutun, hat er bloß das politische Lager gewechselt. Nach der Wahl von Sarkozy im vergangenen Mai war Kouchner der prominenteste Sozialdemokrat, der sich in die rechte Regierung kooptieren ließ.
Interventionismus hat Kouchners Karriere von Anfang an geprägt. Er wurde berühmt, als er sich mit Reissäcken für Kinder mit von Hungerödemen aufgeschwellten Bäuchen fotografieren ließ. Dass der "unabhängige" Menschenrechtler und spätere Gründer von zunächst Médecins sans Frontières und dann Médecins du Monde in der mineralölreichen Region Biafra einen Abspaltungskrieg unterstützte, der auch im Interesse der beiden französischen Erdölkonzerne Elf und Total lag, ist in Vergessenheit geraten.
Gegenüber dem irakischen Premierminister Nuri al-Maliki musste Kouchner sich im August öffentlich entschuldigen. Entgegen den diplomatischen Usancen hatte der Franzose dem Iraker öffentlich den "Rücktritt" nahegelegt, weil seine Regierung nicht funktioniere.
Auch Frankreichs Staatspräsident Sarkozy hat im Jahr 2003 keinen Hehl daraus gemacht, dass er die französische Frontalopposition gegenüber Bushs Irakkrieg für falsch hielt. Erst auf dem Höhepunkt des Präsidentschaftswahlkampfes, als Meinungsumfragen deutlich machten, dass selbst die Mehrheit der französischen Rechten diese Position nicht mittrug, korrigierte Sarkozy sich. Kurz vor den Wahlen würdigte er Chiracs Antikriegspolitik.
Auch wenn Sarkozy laut erklärt, Frankreich sei "ein Alliierter und kein Vasall von Washington", setzt US-Präsident Bush seit seiner Wahl auf das Pariser Trio Sarkozy, Kouchner und Jean-David Levitte. Wobei Letzterer der ehemalige französische Botschafter in Washington und jetzige außenpolitische Sherpa im Elysée-Palast ist. Bush kennt die innenpolitische Situation in Frankreich zu gut, um unmittelbare militärische Unterstützung aus Paris zu erwarten. Doch auch am Golf zeigt die neue Zusammenarbeit bereits erste Ergebnisse. Seit einigen Wochen überwachen französische Kriegsflugzeuge den Persischen Golf und beschützen US-amerikanische Schiffe. Mit dem Einsatz ermöglicht Frankreich der US-Luftwaffe, sich ganz auf den Irak zu konzentrieren.
Die Kriegsdrohung von Kouchner an den Iran stieß in Israel gestern auf Lob. Der außenpolitische Sprecher der Regierung, Mark Regev, nannte es "positiv", wenn Teheran sehe, dass die Welt dem iranischen Atomprogramm nicht untätig zuschaue. In Berlin hieß es gestern im Kanzleramt, es sei "völlig falsch, von einer Kriegsdrohung zu sprechen". Vielmehr seien Kouchners Äußerungen "ein Hinweis darauf, wie ernst es unseren französischen Freunden ist, sich dafür zu engagieren, dass es nicht zu einer entsprechenden Entwicklung kommt".
In Paris hingegen nannte gestern der Vizedirektor des Institutes für internationale und strategische Beziehungen (Iris) die offene Ankündigung von Attacken gegen den Iran "kontraproduktiv und riskant" und ein "bisschen zu weitgehend für einen Außenminister". Vizedirektor Didier Billion sagte: "Vorerst geht es um ökonomischen und diplomatischen Druck auf den Iran."
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