Gebührenboykott: Hamburgs Kunst in Aufruhr
Beinahe die Hälfte der Hamburger Kunststudenten verweigern die Studiengebühren. Der Hochschule für Bildende Künste könnte eine ganze Generation von Studenten abhanden kommen.
Es war schwer, die Journalisten zu begeistern. Als im Frühjahr an der Hamburger Universität ein linkes Bündnis die Kampagne für einen Gebührenboykott vorstellte, meldete sich eine junge Kunststudentin zu Wort. An ihrer Hochschule sei auch der Präsident gegen die 500 Euro Gebühr, aber er sage es nur hinter vorgehaltener Hand.
Laut HfBK-Referentin Andrea Klier haben 235 der 571 Studierenden der Hamburger Hochschule für Bildende Künste die Studiengebühren nicht bezahlt, ohne befreit zu sein. Davon wurden 209 Studierende im Juli exmatrikuliert, für 29 laufen Anträge wegen Befreiung; 148 Studierende wollen vor dem Verwaltunsgericht klagen, die übrigen 61 hatten es versäumt, den für die Klage nötigen Widerspruch einzulegen. Laut ihrem Anwalt Martin Klingner haben sie Chancen, weil die Exmatrikulation zu früh, also formaljuristisch fehlerhaft sei. Sollten die 148 Studierenden vor Gericht verlieren, können sie, so Klier, das Geld noch rückwirkend überweisen.
Na und, dachten die Reporter. Typische Inkonsequenz eines exlinken Funktionsträgers. Auch als am 15. Juni der Stichtag ablief und die Hochschule für Bildende Künste (HfBK) die einzige war, die eine relative Mehrheit von 291 Nichtzahlern zustande brachte, wollte die Presse nicht kommen.
Die Studierenden waren enttäuscht. Auch von den Professoren, die sich zunächst totstellten und nichts sagten. Der Boykott lief an, die Studenten wurden exmatrikuliert. Aber es war ein Gummibeschluss. Wenn sie die Gebühr bis Ende September doch überweisen, können sie weiter studieren. Am Sonntag endet die Frist.
Die jungen Künstler aber haben entschieden, lieber ihre berufliche Zukunft aufs Spiel setzen als zuzusehen, wie der parteilose Hamburger Wissenschaftssenator Jörg Dräger ihre Kunsthochschule kaputt macht. "So kann man nicht Kunst studieren", sagt Student Alex und meint damit nicht nur die 500 Euro Gebühr, die Studierende zwingen, "schon früh für den Markt zu produzieren", und im künstlerischen Sinne "Angsthasen" erzeugen. Er meint auch das gestufte Bachelor-Master-System, das das Studium stark verschule und verkürze.
Im Frühsommer wurde der Boykott dann doch zum Medienereignis. Als am 4. Juli HfBK-Präsident Martin Köttering die Jahresausstellung eröffnet, sind vier Kamerateams auf ihn gerichtet. Studierende und Lehrende tragen aus Solidarität einen Sticker mit einem roten "Ex" für "Exmatrikulation" am Revers.
Zu dem Zeitpunkt hatte Werner Büttner, Dekan der Freien Kunst, in einem offenen Brief an Senator Dräger bereits seine "brennende Sorge" über die Lage ausgedrückt. Wenn die HfBK 80 Prozent ihrer Studierenden exmatrikuliere, werde es "für viele Jahre keinen künstlerischen Nachwuchs in der Metropole Hamburg geben", heißt es in dem Schrieb, der von 27 Hochschullehrern unterzeichnet wurde. Sie warnen vor "kultureller Verarmung der Stadt".
Auf Drägers Schweigen startet Büttner einen zweiten Versuch, Gehör zu finden: "Wären wir ein mittelständischer Zahnstocherhersteller mit drohenden 400 Entlassungen, würde der Bürgermeister persönlich zur Rettung herbeieilen", schreibt er bitter.
Am 3. Juli schließlich äußert sich Dräger auf Nachfrage im Wissenschaftsausschuss. "Er antwortete, die Hochschule wird sich schon wieder füllen", berichtet Barbara Brüning (SPD). Am 12. Juli verkündet Köttering, er sehe sich nach einem Rechtsgutachten der Dräger-Behörde dazu gezwungen, 269 Studierende zu exmatrikulieren.
Es wird zur Nervenprobe für alle. Denn Nachwuchs aufzubauen, ist schwierig. "In diesem Jahr hatten wir nicht mal 200 Bewerbungen", stöhnt ein Hochschullehrer, der Anfänger in Malerei unterrichtet. Pro Jahr würden gerade mal 40 bis 45 Studenten aufgenommen, man habe Mühe, "genug zu finden, die begabt sind". Auch wenn sie angenommen sind, müssen sie erst eine einjährige Probezeit überstehen.
"Ich kann nicht sagen, wie lange es dauert, die Lücke wieder aufzufüllen, weil wir so eine Situation noch nie hatten", sagt Dekan Büttner der taz. Aber jede traditionsreiche Kunsthochschule habe einen "Genius Loci", der drohe, verloren zu gehen. Büttner: "Die HfBK war immer etwas kopflastig. Es ging immer mehr um Ideen, was mit der Konzeptkunst in den 70ern begann."
Ein Großteil der Ausbildung finde unter den Studierenden statt, die jahrgangsübergreifend in Klassen lernen, erklärt Büttner. Die neueren lernen durch die Beobachtung der älteren Studierenden. Wenn die HfBK bald eine ganze Generation unbeleckter Gymnasiasten habe, "wird es schrecklich", befürchtet er.
Hinzu kommt der Wettbewerbsnachteil für die Hamburger Kunsthochschule. Denn andere renommierte Hochschulen, wie der Hauptkonkurrent Kunstakademie Düsseldorf, die Städelschule Frankfurt oder die Universität der Künste in Berlin nehmen kein Geld und führen auch erst mal kein Bachelor-Master-System ein.
Interessant ist der Fall Düsseldorf. Denn das Land Nordrhein-Westfalen hat zeitgleich mit Hamburg die Gebühren eingeführt - es aber den Hochschulen überlassen, ob und wie viel Gebühren sie nehmen. "Die Akademie in Düsseldorf hat sich dagegen entschieden, weil Kunststudierende sehr viel Geld für Material ausgeben müssen", berichtet Ralf-Michael Weimar vom dortigen Kultusministerium. Zudem genießen die musischen Hochschulen Sonderrechte. In einem "Kunsthochschulgesetz" sollen sie auch in puncto Studienstruktur "weitestgehende Freiräume" bekommen, sagt Weimar.
Auch in Hamburg hätte Dräger die Gebührenfrage seinen sechs Hochschulpräsidenten überlassen. Die aber fürchteten den schwarzen Peter und lehnten ab - mit Ausnahme von Köttering, der sich alleine jedoch nicht durchsetzen konnte.
Der Konflikt ist auch darauf zurückzuführen, dass Dräger sich in der Gesetzgebungsphase zu wenig für die Belange der Künstler interessierte. Zwar richtete er ein mit Zinsen versehenes Darlehensmodell ein, das fertige Akademiker erst ab 12.500 Euro Jahreseinkommen zurückzahlen müssen. Doch das ist für selbstständige Künstler kein Angebot. Nur zwei Prozent werden berühmte Millionäre wie Daniel Richter. Die Übrigen verdienen "zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig", wie der Deutsche Kulturrat formulierte.
Laut Künstlersozialkasse verdienen Berufsanfänger nach drei Jahren gerade mal 10.500 Euro im Jahr. Da bedeutet so ein Darlehen lebenslange Schulden, für die sie zahlen müssen, sowie sie etwas mehr verdienen.
Mittlerweile wächst der Druck auf Dräger. Die Vorsitzende des externen Hochschulrats, Marianne Tidick, bittet Dräger, an einer "konstruktiven Lösung" mitzuwirken: "Dieses Dilemma ist schließlich auch Ihr Dilemma", schreibt sie. "Sie wollten die Studiengebühren und haben das entsprechende Gesetz in den Senat eingebracht." Doch die CDU-Bürgerschaftsfraktion, die die Studierenden zu einem Gespräch einlud, erklärte, dass es keine "Sonderregelung" für die Kunst geben werde.
Dabei läge hier vielleicht für die CDU ein Ausweg, auch wenn die Kunsthochschüler die Gebühren für alle Studierenden kippen wollen. "Die Schule kann uns nicht mit einem Papier nach Hause schicken", sagt Student Benjamin Renter. "Wir lassen uns nicht aus dem Kontext stoßen."
Die Hochschule nicht, Dräger vielleicht aber schon. Als er vor Kurzem ein Konzept vorstellte, um kreative Talente in die Hansestadt zu locken, erwähnte er die Kunstkrise mit keinem Wort.
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