NRW will Noten für Betragen einführen: Kopfnoten stinken!
Nordrhein-Westfalen zensiert wieder das Betragen - bei Abiturienten. Was eine Schülerin davon hält.
In Nordrhein-Westfalen werden ab diesem Schuljahr wieder Kopfnoten auf den Zeugnissen der SchülerInnen stehen. Selbst das Betragen von AbiturientInnen soll mit einer Skala von 1 (sehr gut = entspricht den Anforderungen in besonderem Maße) bis 4 (ungenügend = entspricht den Anforderungen noch nicht) bewertet werden. Beurteilt werden Leistungsbereitschaft, Zuverlässigkeit und Sorgfalt, Selbstständigkeit sowie Verantwortungsbereitschaft, Konfliktverhalten und Kooperationsfähigkeit. Seit rund 30 Jahren sind Kopfnoten mit gutem Grund verbannt - jetzt kommen sie in NRW zurück.
Ich möchte Sie um ein kleines Gedankenexperiment bitten, bevor ich zu, Kern meines Anliegens komme. Stellen Sie sich vor: Sie haben vor sich kleines, klassisch verziertes Parfumfläschchen stehen. Von außen sieht es so aus wie viele seiner Art. Doch schon beim Öffnen des Verschlusses kommt ihnen der intensive Duft von Moder, von alter vergilbter Kleidung und vergessenen Zeiten in die Nase. Die Kopfnote des Parfums, der erste Eindruck also, den man beim Öffnen des Flacons bekommt, hat Sie nicht getäuscht. Die Herz- und auch die Basisnote der Geruchsquelle vor Ihnen sind durchzogen von Fäulnis und Falschheit. Der Geruch wird stärker desto länger sie die Flasche geöffnet lassen, er lässt sich auch nicht mehr aus Ihren Gedanken vertreiben. Zurück in der Wirklichkeit realisieren sie etwas zu spät: Es geht nicht um die Noten eines Parfums, selbst nicht um das der NRW-Schulministerin Barbara Sommer. Sondern es geht um unseren Kopf, um unser Herz und um unsere Bildung!
Die CDU-Landesregierung möchte mit guten Gründen die Kopfnoten wieder einführen. Laut dem Schulministerium geht es um "ganzheitliche Persönlichkeitsbildung", um die "untrennbare Einheit von Bildung und Erziehung" und um die "übergreifenden sozialen und persönlichen Kompetenzen, die die Schüler auf ihrem weiteren Bildungs- und Berufsweg benötigen". So steht es im Vorwort der Handreichung zur "Dokumentation des Arbeits- und Sozialverhaltens". Das sind alles erstrebenswerte Ziele - die sich jedoch weder benoten noch erzwingen lassen, sondern auf Freiwilligkeit und Zusammenarbeit basieren.
Die Frage, die wir uns als SchülerInnen des Landes aber eigentlich stellen, ist: Welche Auswirkungen könnten/ werden diese Ziffern auf Betragen und Benehmen wirklich für unseren Schulalltag haben? Wir fürchten und erwarten, dass sich durch die Vergabe von Kopfnoten eher ein Klima der Angst, des Drückebergertums und der Dressur in den Klassen ausbreitet als des sozialen Engagements.
Es wird aus unserer Sicht versucht, Individualität, kritisches Denken und Eigenständigkeit zu unterdrücken - drei Eigenschaften, die uns als aktive, demokratisch denkende und handelnde Menschen auszeichnen. Kopfnoten fördern Konkurrenzdenken, Schleimen und Bravsein - gerade jene Werte, an denen wir uns nicht orientieren. Selbst in der Wirtschaft werden nicht unkreative, langweilige Arbeitstiere, sondern innovative junge Menschen gebraucht.
In der Schule geht es jetzt nicht mehr um wirkliche Anstrengung und um Interesse oder Engagement aus sich heraus, sondern um Schauspiel und um Schein. Faktisch wird durch die Kopfnoten etwas benotet, was niemandem von uns in der Schule beigebracht wurde, denn gute Manieren sind zu Recht kein Unterrichtsfach. Man bringt sie von zu Hause mit - oder eben nicht. Wir sehen Kopfnoten als ein weiteres Mittel der systematischen Auslese und Sanktionierung an, dem wir uns nicht beugen wollen.
Den Lehrern wird mit Kopfnoten ein weiteres Werkzeug der subjektiven Machtausübung, der Disziplinierung und Belohnung sozusagen frei Haus in die Hände gegeben. Dennoch wehren sich nicht nur Schüler und Eltern, sondern auch LehrerInnen vehement gegen die Einführung dieser neuen Art von Bewertung. Für wen werden die Kopfnoten denn dann eingeführt, fragt man sich, wenn alle in der Schule agierenden Gruppen DAGEGEN sind? Für Frau Sommer, für die CDU, für die Wirtschaft?
Wenn man mit allen Beteiligten in diesem Fall spricht, dann wird immer wieder als ein Hauptkritikpunkt an den Kopfnoten die lebenslange Markierung genannt, die man mit der Note auf dem Abschlusszeugnis ausstellt. Diese Noten begleiten jeden von uns sein Leben lang, alle jugendlichen Mätzchen und jeder Schabernack wird protokolliert und letztlich in einer Note zusammengefasst. Dieses geschieht, obwohl sich Persönlichkeiten im Laufe der Jahre verändern und man vielleicht schon mit 20 ganz anders handelt als mit 16 und obwohl die Situation in Beruf und Ausbildung nicht mit der in der Schule zu vergleichen ist.
Wir Schüler sind gegen willkürliche Sanktionierung und Disziplinierung, gegen Kampf und Konkurrenz im Klassenzimmer und für die Schule als einen Lern- und Lebensraum, in dem Individualität und Selbstbestimmung geachtet und gefördert werden. Und aus diesen Gründen sind wir nicht still, sondern sagen unsere Meinung und unsere Sicht der Dinge, genau deshalb handeln wir gegen die Übernahme unserer Schule und unserer Persönlichkeit durch das Ministerium.
An vielen Schulen organisiert sich der Widerstand, sowohl schulintern als auch auf Landesebene regen sich die Gemüter. Arbeitsgruppen werden einberufen, Artikel verfasst und Kontakte geknüpft. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem Schluss ist, selbst wenn dies mühsamer ist, als sich still zu fügen - und dafür gute Kopfnoten von Frau Sommer zu bekommen.
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