Debatte: Kosovo lebt

Was in der deutschen Öffentlichkeit verdrängt wird: Deutschland hat im Kosovo-Konflikt eine politisch und militärische Schlüsselrolle übernommen - Lösungen aber fehlen

So ganz scheint man die Tragweite des aktuellen Kosovo-Konflikts und die deutsche Verantwortung dort in der deutschen Öffentlichkeit noch nicht wahrgenommen zu haben. Vielleicht hängt das auch mit Verdrängungen zusammen. Wer möchte in unserer nach Frieden und Ausgleich strebenden Gesellschaft schon daran erinnert werden, dass Deutschland 1999 als Teil der Nato am Bombenkrieg gegen Serbien beteiligt war? Und damit unter Rot-Grün das erste Mal seit 1945 einen Angriffskrieg zu verantworten hat.

Im krassen Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung hat sich Deutschland in den letzten Jahren auf dem südlichen Balkan politisch und militärisch in eine Schlüsselrolle begeben. Die Bundeswehr stellt das größte Kontingent an Soldaten bei der internationalen, von der Nato geführten Kfor-Truppe. Der Chef der UN-Mission, die seit Sommer 1999 das Kosovo als UN-Protektorat verwaltet, ist ein Deutscher - wie auch der Chef der OSZE-Mission. Und seit dem "Ne" aus Belgrad und dem "Njet" aus Moskau zu dem Plan von UN-Vermittler Martti Ahtisaari, eine begrenzte Unabhängigkeit unter EU-Aufsicht zuzulassen, ist sogar der Vertreter der EU in der sogenannten Troika ein Deutscher. Bis zum 10. Dezember soll Wolfgang Ischinger gemeinsam mit den Vertretern der USA und der EU den großen Kladderadatsch verhindern und doch noch eine Verhandlungslösung herbeiführen. Von einem konstruktiven Vorschlag aber, den Konflikt politisch zu lösen, ist aus Berlin bisher nichts zu hören.

Dabei ist es äußerst fraglich, ob die Troika Erfolg haben wird. Der vor allem vom Westen unterstützte Ahtisaari-Plan, der einen Kompromiss zwischen den Unabhängigkeitswünschen der Kosovoalbaner und dem Festhalten der Serben an der "Integrität ihres Landes" und der "Wiege der Nation" darstellt, wurde nur zähneknirschend von den Kosovoalbanern akzeptiert. Doch man wollte unbedingt eine Konfrontation mit dem Westen und vor allem den USA vermeiden. Der an diesem Montag aber bekanntgegebene 14-Punkte-Plan, der den Serben weiter entgegenkommt, kann von ihnen nicht mehr akzeptiert werden.

Belgrad hingegen fühlt sich durch den Rückenwind aus Moskau politisch wieder aufgewertet. Die Regierung Koðtunica kann deshalb abwarten. Noch vor wenigen Monaten wollten es viele westliche Diplomaten und Regierungen, auch aus Serbien, nicht glauben, dass Putin in der Kosovofrage konsequent bei der im März auf der Sicherheitskonferenz in München verkündeten Linie bleiben würde. Dass der Kosovo-Konflikt zum Kristallisationspunkt einer russisch-amerikanischen Konfrontation werden könnte, hatte man so nicht auf der Rechnung.

Die Pläne der USA, einen Raketenschirm in Osteuropa aufzubauen, die Tätigkeit der US-Ausbilder in Georgien, also die Einflussnahme der USA im russischen Hinterhof von Aserbaidschan bis Tadschikistan, veranlassten Putin aber jetzt offenbar zu reagieren. Natürlich geht es in Zentralasien im Hintergrund um das Öl und das Gas, um den Verlauf der Pipelines nach Europa und damit um die Kontrolle des Energiemarktes. Indem die USA den Albanern die Unabhängigkeit von Serbien versprochen haben, bietet sich via Serbien für Russland die Gelegenheit, das grundsätzlich angewachsene Konfliktpotenzial der beiden Mächte im europäischen Umfeld sichtbar zu machen.

Der Kosovo-Konflikt hat also die regionale Bedeutung schon längst überschritten. Und vor allem für Europa Probleme mit sich gebracht. So bietet er dem serbischen Ministerpräsidenten Vojislav Koðtunica die Gelegenheit, die russische Karte gegen die EU auszuspielen. Die EU ihrerseits muss langfristig den weißen Fleck auf der Landkarte des südlichen Europas tilgen. Daher soll der jeweils von EU-Staaten umgebene "westliche Balkan" - Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbien, Bosnien und Herzegowina, das Kosovo und Albanien - auch aus strategischem Eigeninteresse eine europäische Perspektive erhalten. Schließlich ist ein weißer Fleck inmitten der EU nicht nur Einfallstor für den Drogenhandel, sondern gefährdet auch immer wieder die Stabilität Europas. Das stärkste außenpolitische Druckmittel der EU war bisher, die Beitrittsverhandlungen mit Serbien an bestimmte Bedingungen zu knüpfen, so in der Frage der weiteren Demokratisierung und der Auslieferung der als Kriegsverbrecher gesuchten Personen an das UN-Tribunal in Den Haag. Mit dem politischen und wirtschaftlichen Engagement Russlands jedoch hat Serbien größere Spielräume erlangt. Wenn die EU gegen serbische Interessen verstößt, könne sich das Land noch stärker Russland zuwenden, droht nun das rechtskonservative Lager.

Und schon beginnt die Front innerhalb der EU aufzuweichen. Die ohnehin auf dem Balkan durch ihre Banken und durch ihre Investitionen wirtschaftlich auftrumpfenden Österreicher etwa warnen davor, Serbien "außen vor" zu lassen. Sie sind sogar insgeheim dazu bereit, in der Kriegsverbrecherfrage nachzugeben. Spanien, die Slowakei oder Rumänien stehen angesichts ihrer eigenen Minderheitenprobleme einer gegen Serbien gerichteten Lösung kritisch gegenüber. Die Entscheidungsfindung in der EU bleibt also weiter kompliziert. Nur wenn Frankreich, Großbritannien, Italien und Deutschland gemeinsam eine Lösung der Kosovo-Frage vorgeben, wird man eine tragfähige Haltung erlangen können. Denn von den Antipoden Russland und USA ist kaum ein neuer Impuls zu erwarten. Die EU und damit vor allem Deutschland stehen in der Verantwortung. Das Kosovo liegt nun mal in Europa und nicht anderswo.

Für die Kosovoalbaner ist die bittere Armut und Perspektivlosigkeit nicht länger hinnehmbar. Und ein wirtschaftlicher Fortschritt bedarf der Lösung der Statusfrage. Das Argument, kleinere Länder seien nicht lebensfähig, ist durch Slowenien, Estland, Lettland und andere eindrücklich widerlegt worden. Im Gegenteil machen eigentlich die größeren Beitrittsländer Sorgen. Sollte Europa nicht den Taktstock schwingen, drohen Aufstände, bewaffnete Gruppen beider Seiten beginnen sich jetzt schon zu formieren. Vor allem dann, wenn am 10. Dezember die Arbeit der Troika ergebnislos beendet wird. Das von vielen als realistisch angesehene Szenario, die Albaner würden mit Unterstützung der USA einseitig die Unabhängigkeit ausrufen und damit auch militant-militärische Auseinandersetzungen zwischen den Bevölkerungsgruppen provozieren, würde die Deutschen an die vorderste Front der Auseinandersetzung werfen.

Zwar kann man hoffen, dass die stille Diplomatie der Angela Merkel Früchte trägt und Europa in dieser Frage nach dem erfolgreichen Gipfel von Lissabon entscheidungsfähig ist. Allein, es fehlt der Glaube. Deshalb ist es Zeit, das Schweigen in Berlin zu brechen und endlich einen politischen Plan vorzulegen, der gemeinsam mit den USA durchzusetzen ist. Es gibt ja keine Alternative zu einer beschränkten, durch die EU überwachten Unabhängigkeit des Kosovo.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Erich Rathfelder ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Suhrkamp 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, 2014 Doku Film über die Überlebenden der KZs in Prijedor 1992.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.