Über Essen in Büchern: Harry Potter macht dick
Brathuhn, Schweinekotelett und Yorkshire Pudding: Wer isst wie Harry Potter, dürfte bald mit Gewichts- und Gesundheitsproblemen zu kämpfen haben.
Über Harry Potter haben schon viele geschimpft. Fundamentalistische Christen (Satanismus!), linksgerichtete schwedische Journalisten (elitäres Klassensystem auf Hogwarts!) und Feministinnen (Frauenbild!). Geschenkt. Bekannt. Ich klage den Zauberlehrling mit einem ganz anderen Vorwurf an: Harry Potter macht dick. Damit meine ich nicht, dass Kinder, die sich durch den neuesten 600 Seiten-Wälzer ackern, in dieser Zeit keinen Sport treiben können. Ich meine das Phänomen, das jeder kennt, der nach einer Pralinenwerbung von einem unwiderstehlichen Verlangen ergriffen wurde.
Harry Potter funktioniert ähnlich. Das fing mit Band 1 an, wo Harry im Hogwarts-Express mit Schokoladenfröschen und Kesselkuchen eine erste Ahnung von dem Schlaraffendasein bekommt, das Zauberer führen. Eine Ahnung, die sich beim ersten Diner in der Schule bestätigt. Es gibt Roastbeef, Brathuhn, Schweine- und Lammkotelett, Würstchen, Speck, Steaks, Bratkartoffeln, Pommes Frites und Yorkshire Pudding. Es folgen Nachspeisen wie Eis, Apfelkuchen, Krapfen, Milchreis, Trifle oder Schoko-Eclairs. "Klasse Essen", sagt Ron Weasley danach zu Harry, und der Leser kann nur zustimmen. Eigentlich müssten die Potter-Bücher mit dem roten Punkt gekennzeichnet sein, den in England seit neuestem Lebensmittel tragen müssen, die besonders ungesund sind.
Beeinflussbaren Lesern läuft das Wasser im Mund zusammen. Gut, es ist nicht mehr so schlimm wie früher, als ich mir mit zwölf nach der Lektüre von Juri Korinetz Taiga-Abenteuern Speck und Brot in der Pfanne briet, wie es die sibirischen Jugendlichen im Buch taten. Ich lege beim Essen auch nicht unbedingt Wert auf Fleisch mit Fleisch an Fleisch, wie es Joanne K. Rowling Buch für Buch auftischt. Und habe mich dennoch nach Potter-Konsum dabei ertappt, wie ich nach einem Schnitzel gierte.
Harry Potter und seinen Vielfraßfreunden kann es egal sein, ob sie Seite für Seite jede Empfehlung, die Ernährungswissenschaftler je gegeben haben, in den Wind schlagen. Zauberer haben offensichtlich keine Probleme mit Übergewicht, Bluthochdruck und Typ II-Diabetes. Diese Leiden treffen anscheinend nur Nicht-Magiere wie die zugegebenermaßen kreuzunsympathischen Dursleys, deren Sohn, der fette Dudley, am Anfang von Band 4 auf Diät gesetzt wird. "Hasenfutter" muss er essen, klagt er. Wäre er ein Zauberer, hätte er dieses Problem nicht - in der magischen Parallelwelt kann man die Mahlzeiten, zu denen es Salat gibt, an einer Hand abzählen.
Harry Potter lässt es sich zucker- und fettreich schmecken - ganz ohne Folgen für Figur und Gesundheit. Allerdings wagt Rowling im letzten Band eine kleine Exkursion über den Kanal und lässt die Hauselfe Kreacher französische Zwiebelsuppe kochen. Dann kehrt sie mit Steak und Kidney Pie aber gleich ins Empire zurück. Durch die lange Camp-Episode mit Harry, Ron und Hermine auf der Flucht tritt Band 7 etwas frugaler auf als seine Vorgänger, aber natürlich gibt's zum Happy End ein Festessen. Dass Rowling dabei kein einziges Gericht mehr beschreibt, wie sie es früher noch getan hat, mag daran liegen, dass es Harry geht, wie es der Verfasserin dieses Artikels seit ihrer Speck-und-Brot-Röst-Phase ergangen ist: Er ist erwachsen geworden. Anders als bei ihr haben die kulinarischen Eskapaden bei ihm aber keine Spuren an Hüfte und Bauch hinterlassen. Harry Potter macht nur andere dick.
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