die wahrheit: Die Halbwelt der Mehrsilber

Aus den Protokollen der Sprachpolizei: Auf der Spur der Wortbandwürmer.

Im brodelnden Vulkan finden sich Eskalationsspiralen, Wachstumskorridore und Interpretationsreflexe. Bild: ap

Max und ich sind Mitglied im "Verein für Wörter mit höchstens zwei Silben". Der Grundsatz des Klubs: Die deutsche Sprache neigt leider dazu, Wörter zu dehnen, zu strecken, zu füllen - mit möglichst vielen Silben. So monströs wie sie daherkommen, wecken sie in uns Schmerz, Lachlust, Trübsinn oder Zorn. Wir nehmen Rache. Wir nämlich schätzen Kargheit.

Ein Spleen, gewiss, eine Macke, ein bisschen wahnhaft, aber sobald man eines Tages anfängt, unter diesem Aspekt Texte zu hören, zu lesen oder zu schreiben, sobald man mit diesem Blick Obacht zu geben beginnt, wächst rasch auch der Wunsch, Abwehr zu leisten - sanft oder schroff, je nachdem.

Ganz bestimmt ist es Notwehr. Zugleich, ich gebe es zu, ein Fehlschluss, allein deshalb, weil uns mehr als die Zahl der Silben der Sound von Wörtern stört, die Gestalt, der Gestus, der darin zum Ausdruck kommt. Die Schönheit mancher Wörter mit mehr als zwei Silben ist nicht zu leugnen: bitterlich, charakterstark, schwerelos, herzzerreißend, wundersam oder fantastisch haben schon in der Grundform, da gibt es kein Vertun, mehr als zwei Silben. Um es enger zu fassen: Wir hassen die Wörter, die sich schier endlos wie ein Bandwurm durchs Gestrüpp der Sprache schlängeln. In ihren Feinden wird Abscheu rege und Häme vor allem durch solche Wörter, die als Subjekt oder Objekt gelten.

Wie dem auch sei, oft schleichen Max und ich im Anschluss an ein Treffen des Vereins schnurstracks in die Fabrik dieser rohen Geister, deren Merkmal eine Masse an Silben sind. Diese öde Fabrik, teils unter der Erde liegend, bauten einst die Schöpfer dieser Biester, ihre Bosheit ist mit Händen zu greifen. Wir machen uns auf.

Die Irrfahrt durch die Tiefe des Raumes ist jedes Mal riskant, demnach heute auch. Umso kecker steigen wir hinab in den Schlund des Vulkans, der auf dem Grundstück in die Höhe ragt. Und was geschieht sofort? Eine Eskalationsspirale, mit der wirklich jeder der Wachstumskorridore dort unten gespickt ist, schleudert uns derbdreist ein Alleinstellungsmerkmal direkt in die Fresse, was Applaus seitens einer Reihe von Altgesellschafterfamilien erzeugt, die ohne ihre tumbe Erwartungshaltung in den Adern gar nicht sichtbar wären.

Alsdann schlittern wir seitwärts auf eine Kuppel zu. Sie wabert, zuckt, droht sämig aufs Haupt zu tropfen. Kein Wunder, sie ist genährt von einem Substrat aus Substitutionselastizitäten, die der Hohe Rat der Problemlösungskompetenzen schürt. Max ruft: "Nichts wie weg, aber nicht da lang", und deutet nach Norden. In der Ferne, na klar, wie im siebten Himmel schlummert selig ein wüster Kerl, muss ein Oberweserdampfschifffahrtsgesellschaftskapitän sein.

Wir also südwärts. Tollkühn hecheln wir geduckt unter einer Schicht Leistungsmerkmale weiter, vorbei an einem Wall aus plumpen Interpretationsreflexen. Prompt schlägt uns eine fahle Kernkompetenz brutal in den Magen, wir keuchen nach Luft. Und die ist verseucht, logisch, stinkt nach schaler Weltverbesserungsrhetorik, kein Zweifel, igitt.

Bald darauf rechts entlang der Mauer aus Exzellenzinitiativen schwimmen wir durch den Kanal, in dem eine Unzahl Wohlfühlfaktoren blubbert, kreuzen dann gottlob schadlos das Feld der Fledermausquerungshilfe. Jetzt wird es allerdings extrem duster. Wie wild beißen zwei oder drei, vielleicht dreißig Erwerbslosenbiografien in die Waden, der eitlen Absicht getreu, mit diesem Krawall die Missfallenskundgebungen aus Richtung des Lagers der Ganzkörpernachrichten hierher zu locken. Dem Irrsinn die Stirn bieten, wir meistern es jedes Mal.

Denkste. Eine Ecke weiter wartet eine Resozialisierungsoffensive auf uns. Sie stammt aus einer Spitzenorganisation der länderübergreifenden Bildungsstandards, die auf beiden Seiten von überdurchschnittlichen Qualifikationsniveaus verstärkt werden. In der Absicht, uns Gift in die Ohren und Nasen zu träufeln, nähert sich die Meute. Ein jedes bleckt die Zähne, jault trist wie ein armer Hund - ein schnöder Trick, die Tobsucht umso krasser zu zünden. Uns glückt die Flucht.

Gleichwohl sind wir mehr oder minder betäubt, gereizt, verschnupft, matt und lädiert. Das Schlimmste aber kommt noch: Am Rande des Abgrunds öffnet sich eine Innovationswüste. Weitab ist das Gravitationszentrum eines Mindestbestellwerts zu ahnen, berstend gestopft mit Welterbepotenzial. Ein Magnet verstärkt seine Kraft, man - wir! - verbirgt sich hinter Gesträuch und entdeckt plötzlich eine Öffnung. Die eines Abstiegs zu einem Tunnel. Kaum steigen wir hinab, funzelt ein heller Punkt, nein, ein Lichtstrahl schimmert diffus. Schon recht, das Licht am Ende eines Tunnels kann auch ein Zug sein, der auf dich zufährt, aber hier ist es doch so: Wo Gefahr ist, da wächst das, was rettet, auch, oder so ... Moment ... Was ist ...!? Sind es bloß ... schlichte Eisenbahntunnelendlichtgestalten ...? - Garrrrrrh! DIETRICH ZUR NEDDEN

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kari

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