Porträt: Der Mann, der das Fremde nahebringt

Mekonnen Shiferaw ist gebürtiger Äthiopier. Seit 1996 leitet er in Hellersdorf das interkulturelle Zentrum "Haus Babylon" - obwohl ihn Neonazis und Anwohner anfeinden. Wie hält er das aus?

Mekonnen Shiferaw steigt in sein großes Familienauto. Nicht das teuerste ist es, aber eine Trutzburg aus Blech. "Das Auto - das müssen Sie beileibe nicht beschreiben", meint der gebürtige Äthiopier. Aber wie sonst soll man klarmachen, dass er sich eines zulegt hat, das schützt und für guten Überblick sorgt? Denn als dunkelhäutiger Mensch, der in Hellersdorf lebt, wo die rechtsextreme NPD im Bezirksparlament sitzt, ist es von Vorteil, wenn er sieht, was um ihn herum los ist. Außerdem ist das Auto eine Rüstung. "Um Gottes Willen Rüstung" - auch dieses Wort ist ihm zu militärisch. Da werden schon mit der Beschreibung Grenzen gezogen, die für niemanden hilfreich sind: Hier Schwarze, dort Weiße. Hier er, seine deutsche Frau, seine dunkelhäutigen Kinder, dort die anderen. Hier Sieger, dort Unterlegene. "Können Sie nicht einen besseren Anfang für den Text finden?", fragt er. Was für einen? "Einen, in dem klar wird, dass nichts so bleibt, wie es ist."

Heute veranstalten die Berliner Stadtteilzentren ab 10 Uhr im Raum 311 des Abgeordnetenhauses eine Geschichts- und Zukunftswerkstatt zum Thema "Demokratie und Menschenwürde". Mit Geschichte ist die Zeit seit 1990 gemeint. Eine der Leitfragen: Welche Erscheinungsformen von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus bildeten sich seit der Wende heraus? Bezogen auf die Zukunft stehen Fragen im Vordergrund, wie man gesellschaftliche Teilhabe gestalten muss, um Ausgrenzung zu verhindern. Die Stadtteilzentren sind - aufgrund ihrer niedrigschwelligen Zugänglichkeit - Seismographen gesellschaftlicher Entwicklungen. Sie sollen ungerechte gesellschaftliche Zustände nicht abfedern, sondern öffentlich machen. Um 11.15 Uhr wird der Film "Die Würde des Menschen … " uraufgeführt. Darin wird auch über die Brandanschläge auf das Haus Babylon in Hellersdorf, dessen Geschäftsführer Mekonnen Shiferaw ist, berichtet.

Der 50-jährige Shiferaw lebt gern in Hellersdorf, dem Ostbezirk am Rand von Berlin. Hier hat er ein Zentrum für interkulturelle Arbeit aufgebaut. "Haus Babylon" heißt es. Menschen aller Sprachen und Hautfarben tragen ihre Kultur in die Plattenbausiedlung. Ohne Auto allerdings geht es kaum. Gerade fährt Shiferaw vom "Haus Babylon" zum Stadtteilzentrum in Marzahn. Er soll über Rassismus im Alltag referieren. "Aber wissen Sie, ich bin es müde, darüber zu sprechen. Ohnehin kommen immer die gleichen. Rassisten sind es nicht. Wir reden und reden. Und dann?"

Im Stadtteilzentrum ist zu Kaffee und Kuchen gedeckt. Fünf Menschen sind da. Alle arbeiten im Zentrum - manche fest angestellt, manche sind 1-Euro-Jobber. Shiferaw kennen sie. Und sie schätzen ihn. "Er ist unser erster Ansprechpartner bei kulturübergreifenden Fragen. Er hat ja wahnsinnig viel Erfahrung mit Ausgrenzung", sagt Asli Pekar, die die interkulturelle Arbeit koordiniert.

"Ja, Alltagsrassismus", sagt Shiferaw nach der Begrüßung, "was ist das überhaupt für ein Begriff?" Niemand in der Runde weiß eine griffige Antwort. Deshalb nimmt Shiferaw, der Mann im braunen Streifenanzug, der Mann mit dem schwarzen, kaum sichtbaren Schnurrbart im dunklen Gesicht, das Gespräch wieder auf: "Man muss sich eine ganz dicke Haut zulegen, wenn man hier lebt." Und weil er keine Lust mehr hat, in allem einen Angriff zu sehen, arbeitet er an der Dicke seiner Haut. Er merke, meint Shiferaw, ob jemand nur so daherrede, oder ob er ihn verletzten wolle. "Zielgerichtete Angriffe sind schlimm. Aber wenn die Leute gedankenlos rassistischen Blödsinn sagen, antworte ich meistens nicht mehr. Ich höre etwas und tue so, als höre ich es nicht."

Für die Leute in der Runde ist das zu abstrakt. Sie brauchen Beispiele für Rassismen, die ein Schwarzer ignorieren kann. Da pickt Shiferaw das Wort "Negerkuss" heraus und erzählt von einer Fahrt mit seiner Familie durch Brandenburg. Dabei kommen sie an einem Schild an der Straße vorbei, auf dem steht: "Frische (Ost) Negerküsse." Die Shiferaws nehmen es wörtlich: Die Kinder stellen sich neben das Schild, werfen sich einen Kuss zu. Der Vater fotografiert die Szene. "Mit dem Foto zeige ich, was so ein Wort mit Dunkelhäutigen macht."

Ein Mann in der Runde meldet sich. Er komme ja aus dem Westen und als Schüler habe er beim Bäcker immer Negerkussbrötchen gekauft. Hier im Osten wisse man gar nicht, was das sei. "Der Bäcker hat ne Schrippe aufgeschnitten, den Mohrenkopf dazwischen geklatscht. Zugeklappt. Fertig." Seine Worte hängen für den Bruchteil einer Sekunde in der Luft. - Mohrenkopf - geklatscht - fertig -. Shiferaw sagt nichts, isst ein Stück Pflaumenkuchen. "Für mich ist der Negerkuss ein Lebensmittel", fügt der Mann noch hinzu. Da nickt Shiferaw - und beginnt über seine Erfahrungen zu sprechen.

"Ich könnte Ihnen hundert Beispiele nennen von Diskriminierung, von Rassismus, die mich, meine Familie, meine Freunde treffen." Ganz frisch ist noch, was seinem Sohn im Sommer auf dem Zeltplatz in Brandenburg passierte, als Nazis ihn beschimpften, ihn schlagen wollten. Am nächsten Tag sind er und seine hellhäutigen Freunde abgereist. "Die Nazis haben sie verjagt."

Oder der mosambikanische Mitarbeiter im Kulturzentrum, der, als er rausging, mit Flaschen krankenhausreif geschlagen wurde. "Manchmal frage ich mich, warum halte ich das aus?" Nach einer Pause antwortet er sich selbst: "Weil ich weiß, dass viele nicht so denken." Die in der Kaffeerunde nicken.

"Wissen Sie, Äthiopien ist eins der wenigen afrikanischen Länder, die nicht kolonialisiert wurden. Wir haben unseren Stolz behalten." Wenn jemand einen Äthiopier erniedrigt, dann müsse er damit rechnen, dass dieser auf Augenhöhe reagiert. Sein Bruder, berichtet Shiferaw, setzte sich in der U-Bahn einmal neben eine schwangere Frau. Sie sagt, er soll sich einen anderen Platz suchen, seine Nähe sei schlecht fürs Kind. "Du kannst es ja abtreiben", antwortet der Bruder. Es ist dieser Stolz, diese Selbstachtung, die es auch Shiferaw ermöglicht, sich in Hellersdorf zur Projektionsfläche für die zu machen, die meinen, andere ausgrenzen zu dürfen. Für ihn ist klar: Das ist deren Versagen.

Seit 27 Jahren lebt Shiferaw, Sohn eines äthiopischen Bauern und Kaffeehändlers, in Deutschland. Er hat in Leipzig Journalistik studiert. "Nach dem Studium wollte ich eigentlich zurück." Schon 1981 lernt er aber seine Freundin kennen, zwei Jahre später kommt die Tochter zur Welt. "Wenn ich gehe, kann ich sie doch nicht zurücklassen." Die Versuche der beiden, die bald auch ein zweites Kind haben, zu heiraten, werden von den Behörden unterbunden. Das Heiratsbegehren wird als Ausreiseantrag gewertet. Alle Verwandten seiner Frau müssten der Ehe zustimmen. Das tun sie nicht. "Mein Schwiegervater meinte, dass er dann seine Tochter nie mehr wiedersähe."

Diese Schwierigkeiten lösen sich durch den Mauerfall und die Wiedervereinigung auf. Shiferaw und seine Freundin können heiraten. Neue Probleme kommen jedoch hinzu. "Plötzlich haben wir schrecklich Dinge in der U-und S-Bahn zu hören bekommen." Als wäre von einem Tag auf den anderen ein rassistisches Fanal gesetzt worden. Sie kaufen sich sofort einen klapprigen VW. Er soll sie schützen. "Dass es heute nicht mehr solche Zustände gibt wie damals nach der Wende, bestärkt mich darin, mit meinem Gesicht hier gegen Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus anzugehen", sagt er entschlossen.

Nach seiner Promotion über Massenmedien in Entwicklungsländern arbeitet Shiferaw eine Zeit lang als Journalist. 1992 entwickelt er das Konzept für die interkulturelle Arbeit im Ostberliner Plattenbau und bekommt sofort 20 ABM-Kräfte vom Arbeitsamt bewilligt. "Ich wollte, dass die Hälfte nichtdeutscher Herkunft ist. Das war die erste Herausforderung", sagt Shiferaw. Die zweite: mitzuerleben, dass manche Arbeitslose nicht bereit sind, einen Schwarzen als Chef zu akzeptieren.

1996 ist das Projekt in die ehemalige Kita am Fuß der Hochhäuser gezogen. Das Gebäude wirkt fragil. Seine hellblaue Farbe strahlt etwas Leichtes, Flüchtiges aus. An manchen Stellen wurde die Fassade erst kürzlich frisch gestrichen. Unter dem Übermalten waren Hakenkreuze. Sie werden, das ist Shiferaws Devise, sofort übertüncht. Der neue Farbton aber ist heller. Drinnen wirkt alles weitläufig und improvisiert. Nur die Wände, die sind auch hier frisch gestrichen. Von den drei Brandanschlägen auf das Zentrum findet man keine Spuren mehr. Der letzte war 2006.

Im Haus Babylon wird allen etwas geboten: Kinder haben ihr eigenes Puppentheater. Jugendliche nehmen Computer auseinander, machen Musik, lassen sich beim Übergang von der Schule ins Berufsleben helfen. Erwachsene lernen Sprachen, malen, lassen sich in Erziehungs- oder Rechtsfragen beraten. Außerdem ist ein Seniorenclub im Haus untergebracht.

Herzstück der Arbeit jedoch sind die Ländertage. Sie werden mit allen vorbereitet, Jung und Alt. Da wird zusammen äthiopisch, japanisch, amerikanisch oder sonst wie gekocht, gegessen, werden Vorträge übers Land gehört, typische Gebräuche erklärt, typische Gepflogenheiten gezeigt und wird Musik gemacht. Denn Shiferaws Credo lautet: Wenn die Leute einen sinnlichen Bezug zu dem bekommen, was ihnen fremd ist, können sie Vorurteile überwinden. "Wir zeigen, dass das, was als fremd empfunden wird, normal ist, schön, wohlschmeckend, manchmal ungewöhnlich, manchmal simpel", sagt Shiferaw.

Manchmal sind auch Schulklassen in die Vorbereitung der Ländertage eingebunden. So kommen Kinder ins Zentrum, deren Eltern mitunter sehr schlecht über Ausländer reden. Obwohl Shiferaw den Kindern viel Verantwortung auflädt, weil sie mit den Widersprüchen zwischen den Erfahrungen von zu Hause und von hier umgehen müssen, setzt er seine Hoffnung auf sie. "Die Kinder sind offen. Ihre Neugier kann man nähren. Bei den Älteren ist es schwieriger."

Jedenfalls machen viele Erwachsene, die in der Nähe des Zentrums leben, aus ihrer Gesinnung keinen Hehl. Bei der letzten Bundestagswahl war das Haus Babylon ein offizielles Wahllokal. 9,5 Prozent der Leute, die dort ihre Stimme abgaben, wählten die NPD. Shiferaw sagt: "Das war ein direkter Affront."

Natürlich ist die Finanzierung des Zentrums ein Drahtseilakt. Einen Teil des nötigen Geldes bekommt das Haus Babylon vom Senat, einen anderen von der EU und von Stiftungen. Ständig muss um den Fortbestand der Arbeit gerungen werden. Ständig muss, was von den einen begonnen wurde, von anderen weitergeführt werden. Massenhaft ABM-Stellen gibt es längst nicht mehr. Nun werden 1-Euro-Jobber geschickt. "Heute ist es viel schwerer, motivierte Leute zu bekommen."

Shiferaw sitzt wieder im Auto. Er muss seinen Jüngsten vom Hort abholen. "Es gibt Leute, die sind sauer, weil ich einen großen Wagen fahre", sagt er. Dass der Baujahr 90 ist, interessiere die nicht. "Guck mal, der Neger fährt Auto. Buschmann, du musst doch Kamel reiten" - das sind die Art Sätze, die er zu hören bekommt, die er nun überhören will. "Meine Frau wird auch beschimpft, ob sie keinen Deutschen gefunden habe." Seine Kinder wiederum werden gefragt, wann sie nach Hause gingen. "Meine Kinder können noch nicht einmal ihre Vatersprache. Nur ihre Muttersprache." Deutsch eben.

"Dass meine Kinder solche Sachen erleben, das verletzt mich sehr." Manchmal fragen sie ihn, ob Deutschland ihre Heimat sei. "Und ich sage, natürlich ist es eure Heimat. Meine ist es ja auch schon."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.