die wahrheit: Ich war das Klavier von Brahms

Kein Mensch kann je das Klavier von Brahms sein, und doch war ich es. Man hat mir sehr viel Geld dafür geboten, und so bin ich es dann, der Not gehorchend, geworden....

Kein Mensch kann je das Klavier von Brahms sein, und doch war ich es. Man hat mir sehr viel Geld dafür geboten, und so bin ich es dann, der Not gehorchend, geworden. Es gibt historische Aufnahmen von mir, beim Bayerischen Rundfunk auf einer Wachswalze konserviert, alle Jubeljahre einmal vorsichtig abgespielt und in einer Kultursendung ausgestrahlt. Nichts ahnend schalte ich das Radio ein, und was höre ich? Mich. Das Klavier, das da aus dem Lautsprecher tönt, das bin ich! Gejaul und Gebell ist zu hören, keine Melodie, überhaupt keine Musik, und an ein Klavier erinnert nichts.

Das kommt daher, dass sich die Organisation meiner eigenen Klavierhaftigkeit mitnichten an europäisch-neuzeitlichen Vorstellungen orientiert. Wie Brahms seinerzeit speziell darüber gedacht hat, ist nicht überliefert. Ich allerdings habe keine persönliche Erinnerung an Brahms, was viele einschließlich meiner selbst bedauerlich finden. Vor kurzem hat man mir wieder viel Geld geboten, diesmal für das Verfassen meiner Memoiren. Sie sollen den Titel tragen "Ich war das Klavier von Brahms". Wie die Dinge nun einmal liegen, werde ich alles frei erfinden müssen. Die so dumme, dumme Welt will betrogen sein, das ist die lautere Wahrheit.

Hinter den Kulissen wird unterdessen mein künftiger Ruhm geschmiedet, Radiosendungen werden anberaumt. Fernsehauftritte bleiben mir erspart, weil Brahms dort einfach nicht zu erklären ist. Dafür muss ich zahlreiche Konzertauftritte überstehen. Zunehmend gelangweilt sitze ich ganz vorn im Publikum und höre mir zu, wie ich auf der Bühne jaule und belle, während sich alle vorstellen, dass ein dicker Mann mit grauem Vollbart meine Tasten schlägt. Hätte ich doch den Mut, eines Abends mitten im Vortag aufzustehen und etwas zu rufen, und sei es nur: "Hier irrt Dr. Brahms!" Da wäre ich dann im Handumdrehen meinen Einkaufsschein los und stünde in allen Zeitungen, aber auf eine Art und Weise, die ich mir nicht wünsche.

Solche Aussichten lassen mich melancholisch werden, besonders um den Totensonntag herum. Ich bleibe zu Hause, in die Betrachtung einiger Verrechnungsschecks versunken, mir ist alles zu viel, ich sage Verabredungen ab, schwänze Klavierkonzerte. Eine Menge Leute sind enttäuscht, viel Geld geht dadurch verloren. Deprimierend ist zudem der Umstand, der mir zufällig durch einen Halbsatz am Telefon bekannt wird, dass nämlich jemand anderer beim selben Verlag wie ich ein Buch veröffentlicht, das den Titel trägt "Hier irrt Dr. Brahms".

Vor Empörung kaufe ich es mir, obwohl ich gewiss dank meiner exzellenten Beziehungen ein Freiexemplar hätte bekommen können. Hauptthese des Werks ist, dass ich gar nicht das Klavier von Brahms gewesen sein könne. Die Beweisführung entbehrt nicht der Eleganz und überzeugt auch mich restlos. Befreit atme ich auf, die böse Zeit um den Totensonntag herum ist vorbei wie der Spuk der albernen Zwangsvorstellung, ich sei das Klavier von Brahms gewesen. Doch schon wieder ist etwas. Im Posteingang finden sich ganz kuriose Formulierungen. Ich verstehe sie nicht. Könnte mir zum Beispiel jemand diese Frage beantworten: Was ist eine "Magensaft-Schreibmaschine"?

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kari

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