Kolumne Fußballland: Bewusstloses Wechselmanöver

Im verschlafenen Ahlen im Münsterland lässt sich bisweilen sogar der Fußballgott blicken.

Es ist kein Wunder, dass der Fußballgott es so selten zu Rot Weiss Ahlen schafft, denn im ehemaligen Bergarbeiterstädtchen im Münsterland gibt es nur Regional- und andere Bimmelbahnen. So ist hier auch noch nicht dieser ganze moderne Kram wie liberalisierte Öffnungszeiten angekommen. So sind, wenn man abends um sieben Uhr aus dem Zug steigt und durch die Fußgängerzone geht, bereits alle Läden verrammelt und die Bürgersteige hochgeklappt.

Ein paar Jahre lang hat sich der Fußballgott von solchen Unannehmlichkeiten dennoch nicht abgehalten, er kam auf Einladung eines Unternehmers namens Helmut Spikker nach Ahlen. Der verdiente sein Geld mit Kosmetika im Direktvertrieb und gab es beim örtlichen Fußballklub wieder aus. 50 Millionen Euro waren es angeblich insgesamt für den Verein, der irgendwann auch so hieß wie die Firma: LR. Mit dem ganz großen Sprung in die Erste Bundesliga klappte es trotz der großen Investitionen nicht. Und als es im letzten Jahr plötzlich in die Dritte Liga ging, hatte Spikker keine Lust mehr und zog sich zurück.

Jetzt heißt der Verein wieder Rot Weiss, ist arm wie eine Kirchenmaus und kämpft verzweifelt darum, im nächsten Jahr in die neue Dritte Liga zu kommen, denn nur dort kann er finanziell überleben. Aber weil das alle anderen Regionalligisten nicht minder angestrengt versuchen, war es grausam für die Ahlener, am letzten Spieltag vor der Winterpause bei Union Berlin zwar ein 0:1 und 1:3 jeweils aufgeholt zu haben, aber kurz vor Schluss dennoch 3:4 hinten zu liegen.

Jörg Hellwig vermag davon sehr eindrücklich zu erzählen und sich durch die kurzen stoppeligen Haare zu fahren, als würde das Spiel noch laufen. Denn als die 90 Minuten schon abgelaufen waren, sah er an der Seitenlinie Sebastian Schoof und konnte es nicht fassen. Schoof ist ein janckerhaft kantiger Stürmer, der als ganz junger Mann sogar mal in der Champions League aushalf. Das war jedoch in jenen Tagen, als Bayer Leverkusen dort unter Trainer Thomas Hörster alles verlor und einen ganz traurigen Eindruck machte. Schoof wechselte dann mehrfach, ohne sich bei Rot-Weiss Essen, den Sportfreunden Siegen, in Paderborn oder bei Kickers Emden richtig durchsetzen zu können. Auch in Ahlen ist er nicht gerade ein Liebling der Fans.

Aber Hellwig verfluchte oben auf der Tribüne der Alten Försterei nicht Schoof, sondern seinen Trainer Christian Wück. Denn selbstverständlich wechselt in der Nachspielzeit nicht der Trainer, der einem Rückstand hinterherläuft. Das unterbricht das Spiel und kostet Zeit, weshalb es bestenfalls der Coach macht, der mit seiner Mannschaft knapp vorne liegt. Außer Wück. Mochte der versammelte Vorstand toben, die mitgereisten Fans ihn für einen Idioten halten, in der ersten Minute der Nachspielzeit holte der Ahlener Trainer seinen Außenverteidiger Sven Schaffrath vom Platz und brachte Schoof.

"Ich habe ihn hinterher gefragt, warum er das gemacht hat", erzählt Hellmich immer noch kopfschüttelnd und schiebt aufgeregt die Brille den Nasenrücken hoch. Doch Wück konnte es ihm nicht erklären. Die Auswechslung war weder das Ergebnis eines großen Plans noch einer bescheidenen Überlegung, sondern sie geschah ganz instinktiv. Oder bewusstlos. Man kann es auch so sagen: Der Fußballgott hatte sie dem Trainer Wück souffliert. Denn 43 Sekunden nachdem Schoof den Platz betreten hatte, flog eine letzte Flanke in den Strafraum von Union Berlin, und der ungeliebte Stürmer köpfte zum 4:4-Ausgleich ein. Und wer weiß, ob sich dieser Treffer nicht als das Weihnachtsgeschenk und als der entscheidende Punktgewinn erweisen wird, damit der Haltepunkt Ahlen auch in der nächsten Saison in der neuen Dritten Liga dabei ist und der Fußballgott dann mal wieder häufiger vorbeikommt.

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