Kolumne Das Schlagloch: Nervige Einsichten

Auch Bioprodukte produzieren oft viel Müll. Am Ende hilft da nur der Konsumverzicht

Kürzlich, über Silvester, stand mir in Gestalt einer lieben Freundin ein privater Ökocheck ins Haus. Aus früheren WG-Zeiten hatte ich noch in Erinnerung, dass A. in Sachen Ökologie ziemlich konsequent sein kann. Was man aber an meinem vermeintlich kritischen Konsumverhalten noch alles verbessern könnte, wurde mir erst in diesen Tagen klar. Fängt offenbar schon beim Weg zum Supermarkt an. Dass dieser acht Kilometer beträgt, hatte ich bisher für einen triftigen Grund gehalten, warum ich "hier aufm Dorf leider ein Auto brauche".

A. hingegen fragte allen Ernstes, warum ich nicht einfach mit dem Fahrrad zum Einkaufen führe. Meine Verweise aufs norddeutsche Wetter tat sie mit der Entgegnung ab, nach einiger Zeit würde ich mich schon an das bisschen Regen und Wind gewöhnen. Am liebsten hätte ich A. einen Vogel gezeigt, nur wusste ich, im Grunde hatte sie ja recht. (Zumal mir auffiel, dass ich selbst bei schönstem Sonnenschein kein einziges Mal den Radweg auch nur in Erwägung gezogen hatte.)

Im Supermarkt angekommen, merkte A. beiläufig an, dass sie dazu übergegangen sei, eher konventionell angebautes, aber unverpacktes Gemüse zu kaufen als Biogemüse, das in Plastik daherkommt. Vielen Dank für den guten Ratschlag, sagte ich latent schnippisch, bemerkte aber erstmals: Während der normale Salat Kopf an Kopf herumliegt, ist das Biogemüse, stolz unter entsprechendem Schild präsentiert, quasi zum Schutz gegen die Pestizide der anderen sorgsam eingeschweißt. All dieses Plastik hat, wie ich aus dem fantastischen Buch "Die Welt ohne uns" von Alan Weisman (Piper Verlag 2006) gelernt habe, gute Chancen darauf, irgendwann in einem nordpazifischen Müllstrudel zu landen. Dazu ein paar Sätze aus Wikipedia: "Nach Untersuchungen der National Oceanic and Atmospheric Administration treibt der überwiegend aus zerkleinertem Kunststoff bestehende Teppich bis zu 16 Jahre in dem Kreisel. Weitere Bestandteile sind Einmalrasierer, CD-Hüllen, Eimer, Kabeltrommeln, Zahnbürsten und Feuerzeuge

Der emeritierte Ozeanograf Curtis C. Ebbesmeyer fand in einem verendeten Albatros-Jungtier an die 100 Plastikteile, mit denen es von den Elterntieren gefüttert worden war. Ein Stück Bakelit gehörte zu einer U. S. Navy Patrol des Zweiten Weltkrieges und trieb 60 Jahre im Meer, bevor es verschluckt wurde. Weiterer Müll stammt von Frachtschiffen, wie etwa der "Hansa Carrier", die 1990 etwa 80.000 Schuhe verlor.

Langweilig wird es dem Mohrrübenbeutel (Bio) aus 21406 Barnstedt also nicht. Ich sehe gleichsam vor mir, wie er mit Rasierern und Sandalen unter pazifischer Sonne einen fröhlichen Kanon über die Unvergänglichkeit der Polymere anstimmt.

Ich erzählte A. nichts davon, wollte kein weiteres Wasser auf ihre Mühlen gießen (ist ja auch knapp). Als wir vom Einkaufen zurückkamen, wies ich wie ein Fremdenführer auf meine Energiesparbirnen hin und war heilfroh, dass ich mir nie einen Trockner gekauft hatte.

Auch das ging direkt aufs A.s Einfluss zurück. In unserer WG-Zeit hatte sie mir mehrere Vorträge zu diesem Thema gehalten, bis ich sogar eines Nachts träumte, Tschernobyl hätte sich wiederholt. A. und ich standen vor einem riesigen verseuchten Gelände. Es war klar, dass jeder, der sich auch nur zwei Stunden dort aufhalten würde, sterben müsste. Genauso klar war, dass irgendwer die Sache "wegräumen" musste (in dem Traum ging das). "Ich kann dich natürlich nicht zwingen mitzumachen", sagte A. und machte schon mal das Tor auf Durch diese Aufzählung könnte es jetzt vielleicht so wirken, als ob A. eine kleine Nervensäge sei, aber das ist überhaupt nicht der Fall, sie ist lieb und herzlich. Das einzig Nervige an ihr ist: Sie hat recht. Und das zweite Nervige (aber an mir) ist: Wann immer ich versuche, mein Konsumverhalten zu verbessern, endet es in anderem schlechtem Konsumverhalten. Und schließlich im Müllstrudel. Nehmen wir mein Fahrrad. Es hat diese blöden französischen Ventile. Dreimal hat mir ein Fahrradhändler einen Aufsatz mitgegeben, mit dem sich die Reifen angeblich ganz leicht aufpumpen lassen. Kein einziges Mal ließen sie sich leicht aufpumpen. Man müsste wohl neue Reifen kaufen, mit denen ich zurechtkäme Und warum auch nicht? Die alten Reifen: ab in den Müllstrudel, das ist es wert. Von jetzt an geht es mit meiner Ökobilanz nämlich stetig bergauf!

Sobald ich anfange, mir dieses Fahrrad mit den unfranzösischen Ventilen vorzustellen, mich selbst darauf, wie mir Schal und Haare im norddeutschen Wind flattern, oh Mann, das ist ein tolles Bild. Nicht ich speziell natürlich, sondern die zu erwartende Abhärtung und Kondition, die vielen Natureindrücke plus die erwähnte Ökobilanz. Wenn es wirklich sehr kalt und nass wird, könnte ich mir notfalls ein Cape kaufen und eventuell eine Thermohose.

Mindestens zwei Monate würde ich das durchhalten. Dann bekäme ich eine kleine Erkältung, oder ich hätte gerade wenig Zeit Ausnahmsweise würde das Auto genommen. Für Cape und Thermohose wäre es das Ticket zum Nordpazifik.

Wo sich meine französischen Reifen übrigens schon mit meiner Wäschespinne angefreundet hätten. Einen Trockner durfte ich ja nicht haben. Aber eine Leine hängt immer so durch. Also habe ich eine Wäschespinne gekauft, leider ein Billigprodukt, sie wand sich entsetzlich unter der Last der nassen Wäsche, das arme Ding. Ich kaufte Heringe und Zeltschnur und stabilisierte sie von vier Seiten mit einem Gewirr von insgesamt acht mal acht Metern. Als ich aus dem Küchenfenster wiederholt beobachten musste, wie sich vorbeikommende Spaziergänger vor Lachen krümmten, wanderten auch Heringe, Spinne und Schnüre in den Nordpazifik.

Meine Kleidung wird natürlich größtenteils aus ökologisch und sozial verträglichem Anbau gekauft. Was A. den meisten von uns aber voraushat, ist nicht bloßes Wissen, sondern das Umsetzen einer Einsicht: dass man nämlich kein besserer Konsument wird, indem man eine bestimmte Biolimo kauft, die zuerst mit dem Lkw durch halb Deutschland und dann mit dem eigenen Auto transportiert wird. Dass wir die Welt nicht allein dadurch "retten" können, dass wir die richtigen Klamotten kaufen, sondern nur wenn wir uns und anderen zunehmend erlauben, gegen die Mode angezogen zu sein. Nicht indem wir Müll trennen, sondern indem wir keinen mehr heimschleppen, kurz und gut: nicht indem wir unser Geld für bessere, ökologische Dinge ausgeben, sondern indem wir Dinge verwenden, die wir bereits vorrätig haben. Die aber entsprechen oft nicht ganz unseren praktischen oder ästhetischen Vorstellungen. Das neueste Produktdesign hat sie geschmacklich gleich mehrfach überholt, oder es macht allzu große Mühe, sie zu reparieren. Darum kostet wahrhaft kritisches Konsumentenverhalten zwar oft mehr Geld, noch häufiger aber einfach: mehr Zeit. Oft bedeutet es nicht: richtig, sondern: weniger kaufen. Es heißt Verzicht, und vermutlich ist es das, was uns daran am schwersten fällt.

HILAL SEZGIN

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