Kommentar Kurseinbruch: Börse ohne Kritiker

Die Kritiker der Finanzwelt bleiben zahnlos. Doch um die Interessen der Industrie mit denen der Allgemeinheit ins Lot zu bringen, bedarf es einer langfristig angelegten Politik.

Die Kurse an den Weltbörsen fallen mit zunehmender Geschwindigkeit. Manche sehen darin mit Genugtuung die längst fällige Korrektur der Spekulationsblasen in diversen Ländern, allen voran den USA. Das ist richtig. In den Kursen war ein stetig steigendes Profitwachstum eingepreist, das sich so noch in keiner Wirtschaftsepoche eingestellt hat. Es zeigt sich nun, dass nach wie vor die Sägezahnkurve gilt: Die Kurse steigen langsam, fallen dann irgendwann, um von einem niedrigeren Niveau wieder zu steigen, und so weiter.

Unglücklicherweise ist das kein neutrales Schauspiel, sondern eine Geldmaschine. Wer schneller ist als die anderen oder die Regeln bestimmt, nach denen spekuliert und angelegt wird, der nimmt die Gewinne mit und hält sich bei den Verlusten weitgehend zurück. Und diese Regeln bestimmt eine dünne Schicht von Finanzinstituten. Sie sitzen vor allem in London und New York. Die Zeche bezahlen nicht nur die Banken und Versicherungen der zweiten Reihe - siehe Deutschland -, sondern auch Anleger und Unternehmen, denen der Geldhahn für Investitionen immer weiter zugedreht wird. Das wird auf die Dauer viele Arbeitsplätze kosten.

Leider ist auch nach dieser Finanzkrise keine Besserung in Sicht. Denn die Kritiker sowohl innerhalb als auch außerhalb der Finanzwelt sind und bleiben zahnlos. Sie haben es in keinem Industrieland geschafft, Einfluss auf die entsprechende Regierungspolitik zu nehmen. Um die Interessen einer in Geld schwimmenden Finanzindustrie mit den Interessen der viel gerühmten Allgemeinheit ins Lot zu bringen, bedarf es einer langfristig angelegten Politik. Schritt für Schritt müssten Instrumente erprobt werden, um Spekulationsblasen zu dämpfen, Börsentransaktionen sinnvoll zu besteuern, Anlagetrends transparent zu machen. Nichts von alledem wird in irgendeinem bedeutenden Finanzministerium auf den Weg gebracht. Und die Globalisierungskritiker haben ebenfalls kein konkretes Projekt. Wo ist der angebliche Schwung der G-8-Proteste von Heiligendamm vor einem Jahr geblieben? Solange nicht einmal von Kritikerseite Druck kommt, kann der Finanzsektor in Ruhe auf die nächste Gelegenheit zum Abkassieren warten.

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Reiner Metzger, geboren 1964, leitet taz am Wochenende zusammen mit Felix Zimmermann. In den Bereichen Politik, Gesellschaft und Sachkunde werden die Themen der vergangenen Woche analysiert und die Themen der kommenden Woche für die Leser idealerweise so vorbereitet, dass sie schon mal wissen, was an Wichtigem auf sie zukommt. Oder einfach Liebens-, Hassens- und Bedenkenswertes gedruckt. Von 2004 bis 2014 war er in der taz-Chefredaktion.

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