Hip und Hop: Ein ganz harter Gangsta trifft seine Fans
Autogrammstunde in Hellersdorf: Der "Gangsta-Rapper" Fler redet viel über sein Deutschsein - und dass er sich "Fremd im eigenen Land" fühlt. Doch Aufregung lohnt nicht.
Vor dem Einkaufszentrum in Hellersdorf stehen mehrere grün-weiße Einsatzwagen. Drinnen wird ein Gangsta-Rapper gleich sein neues Album signieren. Könnte Stress geben. Weiß man in diesen Tagen nie so genau. Zumal der Rapper Fler heißt und vor einigen Wochen erst nach einem Auftritt bei MTV mit einem Messer angegriffen worden ist. Auf seiner neuen CD ist nicht nur Massiv mit dabei, der vor einigen Tagen angeschossen wurde, sie heißt auch "Fremd im eigenen Land". Könnte noch mehr Stress geben. Fler hat erst vor drei Jahren das Lied "Neue Deutsche Welle" gemacht. Jetzt geht es wieder ein bisschen darum, dass er stolz ist, deutsch zu sein, und außerdem viele Kumpels hat, die Ausländer sind. In Hellersorf wiederum gibt es ja nicht ganz so viele Migranten, dafür möglicherweise ein paar mehr Glatzköpfige, die Alben wie "Fremd im eigenen Land" mit Titeln wie "Ich bin Deutscha", in dem vom weißen, reinsten Stoff die Rede ist, irgendwie spannend finden könnten. Tatsächlich stehen aber nur Teenies in weiten Hosen Schlange, dazwischen wasserstoffblonde Mamas in rosa Jacken. Niemand hat Deutschlandflaggen dabei.
Im ersten Stock der Einkaufspassage ist ein Podest aufgebaut, mit einer rosa Torkonstruktion darauf, an der Halme hängen, die nach Erntedank aussehen. Davor setzen sich Fler und ein großer, breiter Mann mit Glatze. Er heißt Joe Rilla, seine CDs veröffentlich auch er bei AggroBerlin. In seinen Tracks rappt er von Plattenbauten und Hooligans, in Homevideos auf Aggro.tv wirkt er recht sympathisch, mal abgesehen davon, dass er sehr laut rülpst. Es sind viele Bodyguards da, von Saturn und von Aggro, aber alles geht gesittet zu. Ein paar Polizisten in Kampfmontur lehnen entspannt am Geländer.
Aus den Boxen dringen schwere Beats. Wenn Fler aufsteht, um sich von Teenie-Handys fotografieren zu lassen, ist fast seine komplette weiße Unterhose zu sehen, die aus ähnlich reinem Stoff zu sein scheint wie er selbst beziehungsweise das Koks in seinem Deutscha-Stück. Ist ja alles doppeldeutig. Der dritte Mann auf dem Podium heißt Godsilla, sieht aber, im Gegensatz zu Joe Rilla, nicht ganz so aus, wie er heißt.
Gelegentlich entstehen auf der kleinen Bühne interessante Spiegelungen: Die Fans, die keine Trucker-Mützen tragen, haben dadurch zum Teil ähnliche Kurzhaarfrisuren wie Fler und seltener auch noch vergleichbare Lederjacken. In denen geht Fler mit Massiv auch gerne mal in die Sauna, erzählt Letzterer auf dem Album - so cool seien sie. Bei den Leuten mit Fler-Frisur wiederum wirkt es durch die Spiegelungen immer, als würde der Rapper ein Double grüßen. Für öffentliche Auftritte, potenziell brenzlige Situationen, wäre es vielleicht gar nicht so verkehrt, einen von denen mal mitzunehmen, um ihn im Zweifelsfall als Doppelgänger einzusetzen.
Die Stimmung in Hellersdorf, zwischen den Absperrgittern und vor den Autogrammkartenstapeln, bleibt freundlich und friedlich. Es ist ja im Grunde auch eine eher zurückhaltende Deutschtümelei auf "Fremd im eigenen Land" im Vergleich zu der Frakturschrift und den Hitler-Zitaten, die Fler noch verwendet hatte, als er zum ersten Mal Welle machte. Die Lightkultur, die er da wiederholt über die Boxen als seine Identität ausruft, ist - abgesehen von weiß, rein, blauäugig - auch im rechten Feld ziemlich inhaltsleer. Im Übrigen, teilt Aggro wiederholt mit, ficke Fler die NPD und, das sagt der Rapper auf dem Album selbst, ist sein Bodyguard Araber, weshalb er ja gar kein Nazi sein könne. Ein Rentner in schwarzer Lederjacke holt sich an diesem Nachmittag auch eine CD. Nicht für seinen Enkel, nein, die habe er für sich selbst gekauft, sagt er. Wolle er sich auch mal anhören.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS