Thilo Sarrazin: Der Besserwisser

Sarrazin ist eine Hassfigur, und zwar gern. Als Berliner SPD-Finanzsenator spart er, wo immer Wowereit ihn lässt. Ab Donnerstag leitet er die Finanzministerkonferenz.

Der Besserwisser ist erfolgreich. Bild: ap

Berlin taz Wäre Thilo Sarrazin ein richtiger Politiker, dann hätte er in diesem Beruf so ziemlich alles falsch gemacht. Der Mann im Maßanzug und mit dem kerzengraden Gang hat seine potenziellen Wähler als "Trainingsanzug tragende Schluffis" beschimpft, nahezu jeden Bundesminister wahlweise als dumm oder überfordert geschmäht, und dass er sich ohnehin für den Besten hält, möchte der 62-Jährige auch niemandem verheimlichen. Der taz sagt er ohne Anflug von Ironie: "Ich hatte immer das Gefühl, ich weiß es besser." Berlins Finanzsenator ist aber kein richtiger Politiker. Der SPD-Mann mit dem Auftreten eines preußischen Leutnants will keine Zuneigung, er will Respekt. Nun bekommt er ihn.

12. Februar 1945: Thilo Sarrazin wird kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Gera geboren. Der Sohn eines Arztes, Nachfahre südfranzösischer Einwanderer, wächst in Recklinghausen auf. Bereits als Student der Volkswirtschaftslehre in Bonn nimmt er sich vor, Deutschland zu reformieren: "Gewaltige Organisationsdefizite haben mich schon immer aufgeregt."

17. Januar 2002: Thilo Sarrazin wird Finanzsenator im rot-roten Berliner Senat, die Stadt ist mit 60 Milliarden Euro sensationell hoch verschuldet. Dem Ex-Bahn-Vorstand kommt die Mammutaufgabe der Haushaltssanierung gerade recht - wenige Wochen zuvor hat ihn sein Chef Hartmut Mehdorn im Streit über die Bahn-Privatisierung rausgeworfen.

31. Januar 2008: Thilo Sarrazin leitet in Berlin zum ersten Mal eine Sitzung der Finanzministerkonferenz. Auf den einzelgängerischen Zahlenliebhaber kommt eine neue Aufgabe zu: die des Moderators. Sein erklärtes Ziel ist es, die Föderalismusreform voranzubringen. MLO

Die Bild-Zeitung nennt den spröden Ministerialbürokraten neuerdings "Doktor Cool". Die grüne Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus betrauert vorsorglich seinen möglichen Abgang zur Bundesbank im kommenden Jahr. Und Bürgermeister Klaus Wowereit schreibt in seiner Autobiografie halb verständnislos, halb bewundernd über seinen wichtigsten Senator: "Sarrazin war eine Art politischer Günter Netzer, bisweilen genial, gerne etwas lauter, aber nicht jeden Tag teamfähig."

Wenn dieser Vergleich stimmt, dann ist Wowereit Franz Beckenbauer. Der eine macht die Drecksarbeit, foult den Gegner und brüllt die Mannschaft zusammen. Der andere tänzelt übers freigeräumte Spielfeld und macht die Tore. So halten es Sarrazin und Wowereit seit sechs Jahren. Sie sind ein Team. Gemeinsam haben sie in der rot-roten Koalition die Hauptstadt umgekrempelt. Die Liste ihrer Erfolge ist lang.

Gegen alle Widerstände haben ausgerechnet Sozialdemokraten und Sozialisten eisern gespart und das Anwachsen des gewaltigen Schuldenbergs bei 60 Milliarden Euro gestoppt. Jedem betete Sarrazin sein Mantra vor: "Man kann nicht mehr ausgeben, als man einnimmt." Das Ergebnis: Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg hat Berlin 2007 keine neuen Schulden gemacht. Die Hauptstadt, in der Geldverschwendung als Gewohnheitsrecht der alten Frontstadt galt, hat das Sparen gelernt.

Munitioniert mit Grafiken und vielen roten Zahlen, ist er dabei so ziemlich jeder Interessengruppe auf den Fuß getreten. Eingespart wurden milliardenschwere Wohnungsbauförderungen, Millionen für die drei Unis, für Jugendhilfe und Kitas. Als Sarrazin antrat, skandierten von Kürzungen bedrohte Erzieherinnen: "Die Kinder schrein, die Eltern fliehn / da hinten kommt der Sarrazin." Der Senator entgegnete ungerührt: "Wenn Sie eine Tür mit der Brechstange öffnen müssen, können Sie nicht nach dem anschließenden Reparaturbedarf des Tischlers fragen."

Das Erstaunliche war: Die Hauseigentümer haben dem Mann mit der Brechstange den Einbruch nicht sonderlich übel genommen. Die Berliner haben Sarrazins Mantra verinnerlicht und Rot-Rot Ende 2005 erneut gewählt. Trotz allem. Heute ist das erste Kitajahr kostenfrei, zwei weitere sollen es werden. Die Zuschüsse für Unis und Schulen steigen wieder, und die Arbeitslosenzahlen sinken. Berlin erholt sich.

Doch Erholung ist nichts für den Mann, der von sich sagt: "Für mich fühlt sich schon ein längerer Urlaub an wie ein Pharaonengrab." Sarrazin ist selbst hart im Nehmen: Seit einer Ohroperation 2004 ist seine rechte Gesichtshälfte größtenteils gelähmt. Aufhebens macht er nicht davon.

Die neue Herausforderung kommt gerade recht. Seit Januar sitzt Sarrazin der Finanzministerkonferenz vor. Es ist eine Auszeichnung: 28 Jahre lang stellte Berlin keinen Vorsitzenden dieser erlauchten Runde. Anders als in anderen Ministerkonferenzen gilt hier nicht das Rotationsprinzip. Die 13 Männer und drei Frauen haben viel zu sagen, weil sie durch den Bundesrat die Bundespolitik beeinflussen. In diesem Jahr wird es spannend. Die zweite Runde der Föderalismuskommission aus Bund und Ländern soll bis zum Herbst den deutschen Föderalismus reformieren. Derlei Versuche gibt es seit fast 40 Jahren. Zufrieden war noch nie jemand.

Sarrazin und die Kommission stehen vor einer kaum lösbaren Aufgabe. Die reichen Länder wollen nichts abgeben und mit Steuersenkungen Investoren anlocken. Die armen Länder haben Angst, weniger Geld aus dem Länderfinanzausgleich zu bekommen. Das zu entwirren, verlangt nach einem Vermittler. Ausgerechnet diesen Job will nun der Einzelgänger Sarrazin erledigen. Heute treten die 16 Ressortchefs unter seinem Vorsitz zusammen.

Dass er diesen Job einmal innehaben würde, hat Sarrazin wohl nicht erwartet. Noch vor eineinhalb Jahren winkte er bei der Frage nach seiner Mitarbeit bei der Föderalismuskommission ab: "Ich gestalte auch nicht den Nahostkonflikt mit." Heute steckt er mittendrin, und er hat bereits alle gegen sich aufgebracht. Vor einem halben Jahr platzte Sarrazin in die Vorverhandlungen mit der Idee, die Steuerverwaltung beim Bund anzusiedeln. Die Länder wären ihre Steuerhoheit los und hingen am Tropf des Bundes, ein Verteilungsschlüssel soll garantieren, dass sie ähnlich viel Geld in den Kassen haben wie heute. Prompt schrien die Landesfürsten, das Ende des Föderalismus sei nah. Sarrazin blieb bei seinem Plan. Wenn die anderen ihm nicht glauben, sind sie selbst schuld: "Die Mehrheit der Finanzminister und Ministerpräsidenten interessiert sich für Konzepte überhaupt nicht."

Sein unerschütterliches Selbstvertrauen scheint angeboren. Jedenfalls hatte bereits der junge Volkswirtschaftsstudent in Bonn drei Ziele: die Bundeswehr reformieren, die Bahn umbauen und die deutsche Einheit mitgestalten. Das war Ende der 60er-Jahre. Zwei davon hat er erreicht. Zu Wendezeiten hatte er als Arbeitsgruppenleiter im Finanzministerium maßgeblichen Einfluss auf die Währungsunion. Noch heute schwärmt er von den Jahren 89 und 90 als seiner "größten Zeit".

Seine Jahre bei der Bahn beschloss Sarrazin 2001 als Vorstandsmitglied. Er ging, weil er Mehdorns Privatisierungspläne für falsch hielt. Seither sind sich beide in Feindschaft innig verbunden. Sarrazin zeiht seinen Exchef "Zwerg", der revanchiert sich mit "Autist". Die Fehde hat mittlerweile Geschichte geschrieben. Ihr Titel: "Volksaktie".

Seit Jahren tut Sarrazin nämlich alles, um die Bahn-Privatisierung zu verhindern. Nicht aus Liebe zum Staatsunternehmen - der Zahlenmann hält die Trennung von Betrieb und Schienennetz schlicht für unwirtschaftlich. Ende Oktober beim Hamburger SPD-Parteitag erhielt er seine Chance: Die Genossen bekamen in letzter Minute Bauchschmerzen, sie wollten den Privatisierungsplan von Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee nicht abnicken. In diesem Moment schloss Sarrazin einen taktischen Pakt mit den Parteilinken. Der Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer warb für eine "Volksaktie". Das klang nach Volkseigentum und der Rettung vor dem Ausverkauf öffentlichen Eigentums. Der zwar im roten Ruhrgebiet aufgewachsene, aber linker Neigungen unverdächtige Sarrazin steuerte diskret ein Konzept bei. Darauf klebte Scheer sein Etikett "Volksaktie". Die Privatisierung geriet aus dem Gleis: 70 Prozent der Delegierten stimmten gegen die Pläne des eigenen Verkehrsministers. "Wenn auch zum Teil aus emotionalen oder sachlich falschen Gründen", kommentiert Sarrazin den Vorgang.

Eines muss man dem Vater zweier erwachsener Söhne lassen: Wenn er gewonnen hat - gegen einen Senatorenkollegen, Mehdorn oder sonst ein Symbol der Dummheit dieser Welt -, heuchelt er kein Verständnis. Er will Entscheidungen durchzusetzen, nicht Menschen verletzen. Passiert das dennoch, nimmt er es allerdings in Kauf. Dass ihn das sonderlich schmerzen würde, ist nicht überliefert. Kein Wunder, Sarrazin ist durch die ganz harte Schule gegangen: die SPD der 70er-Jahre. Damals drängten unentwegt helle Köpfe in die Partei. Der junge Doktor der Volkswirtschaft musste sich mit Argumenten und Machtspielen behaupten, als er mit Parteigrößen wie Horst Ehmke den "Orientierungsrahmen 85" schrieb. Ein ambitioniertes Programm für die folgenden zehn Jahre. Emanzipation, soziale Sicherung, Umweltschutz - alles drin. "Nur zwei Dinge sah das Programm nicht vor", urteilt Sarrazin heute, "die Globalisierung und die deutsche Einheit."

An Programme glaubt der Pragmatiker Sarrazin schon lange nicht mehr. Seine Welt sind die Zahlen. Sein Markenzeichen, die Zettel voller Grafiken und Ziffern, verteilt er selbst im persönlichen Gespräch. Noch heute macht er einige davon selbst, zu Hause am Rechner. Ihm macht so was Spaß.

Mit dem Chefposten der Finanzministerkonferenz will der bald 63-Jährige seine Karriere nicht beschließen. Er fühlt sich noch im Saft. Beharrlich halten sich Gerüchte, Sarrazins Wechsel in den Bundesbankvorstand 2009 sei bereits ausgemachte Sache. Der Senator tut wenig dafür, das Gemunkel zu dementieren. Darauf angesprochen, antwortet Sarrazin sibyllinisch: "Das ist auch eine denkbare Alternative."

Er kann sich aber auch vorstellen, die Nachfolge seines verhassten Exchefs Hartmut Mehdorn anzutreten: "Das", sagt Thilo Sarrazin ungerührt, "würde ich mir jederzeit zutrauen."

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