Kultur im Kiez: Der versteckte Glamour des Wedding

Das Magazin "Berlin Haushoch" zeigt Bezirke aus neuer Perspektive. Im aktuellen Heft wird Wedding als glitzernde Hochglanzkulisse inszeniert.

Die Redaktion eines Hochglanzmagazins würde man am S-Bahnhof Wedding nicht vermuten. Auf dem Nettelbeckplatz schreien Trinker sich und ihre Hunde an, in den Straßen drumherum wechseln sich Dönerläden mit Wettbüros ab, die Lokale heißen Gießkanne und Dubrovnik.

Genau die richtige Gegend für ihr Magazin Berlin Haushoch, finden Alexandrea Bald, Ana Lessing und Esra Rotthoff. Die drei sitzen bei Kaffee und Keksen in einem sehr weißen Galerieraum in der Lindower Straße, und sehen aus, als könnten sie in jede Ecke Farbe bringen: rote Hosen, pinker Lippenstift, dreimal Optimismus und Aufbruchstimmung. Bald, Lessing und Rotthoff sind Erfinderinnen und Herausgeberinnen des ungewöhnlichen Magazins, das in jeder Ausgabe ein anderes Viertel porträtiert. Star des aktuellen - und bisher zweiten - Hefts, das ab heute für sechs Euro im Internet und ausgewählten Läden erhältlich ist, ist Wedding.

Auf Klischees pfeifen

Berlin Haushoch will die gängigen Kiezklischees aufbrechen und jeden Bezirk so zeigen, dass sogar langjährige BewohnerInnen überrascht sind. Das schaffen die drei 26-Jährigen, die noch an der Universität der Künste visuelle Kommunikation studieren, vor allem durch eigenwillige Fotostrecken und eine durchkomponierte Optik. Das Marzahn-Heft feierte die Platte auf edlem Papier. Es widmete Hochhausbewohnern ganzseitige Porträts, leuchtete ihre Wohninterieurs wie in einem Modemagazin aus. In einer skurrilen Fotostrecke inszenierten sich die Magazinmacherinnen in einer Plattenbaupension. Das Heft gewann diverse Gestaltungspreise, darunter den renommierten Red Dot Design Award.

"Wir sind Perfektionistinnen", sagt Ana Lessing. "Deshalb machen wir alles selbst, vom Lay-out bis zum Make-up für die Fotostrecken." Für das aktuelle Heft suchten sie zum Beispiel tagelang nach einem Oberteil, das mit der erbsengrünen Wand in Albers Wettbörse harmonierte. Diese Detailversessenheit zahlt sich aus: Die Bilder, in denen sich die drei im Wettladen, einem türkischen Männercafé, einem Supermarkt und einem Dönerladen inszenierten, gehören zu den Highlights des Hefts.

Im einem Klamotten-Secondhandladen lernten sie auch dessen Inhaberin kennen. Roseline aus Paris öffnete, neben anderen BewohnerInnen aus verschiedenen Nationen, ihr Wohnzimmer für die Fotografinnen und ließ sich auf ihrer Couch fotografieren. "Die Weddinger waren unheimlich offen und hilfsbereit", sagt Esra Rotthoff. Sie erzählt vom Dönerladeninhaber, der sie bis vier Uhr morgens in seinem Laden fotografieren ließ, und von der afrikanischen Familie, die sie von der Straße in ihr Wohnzimmer winkten. "Die Familie hatte zwei Wohnzimmer", erinnert sich Rotthoff. "Wir wurden in das für besondere Anlässe geführt und bewirtet."

Ein Jahr verbrachten Bald, Lessing und Rotthoff in Wedding. Sie suchten Bilder und Geschichten - und fanden einen Bezirk, der vielschichtiger und sympathischer war als sein Ruf des armen und ausländerreichen Problembezirks. "Der Wedding 'kommt' nicht, er ist aber auch nicht nur trostlos", fasst Lessing ihre Erfahrungen zusammen.

Selbst wohnen sie in Kreuzberg und Friedrichshain. Doch ihre Zeit im Norden lehrte sie, wie festgefahren der Blick auf die Bezirke ist - unter Berlinern und Zugezogenen gleichermaßen. Lessing und Rotthoff sind gebürtige Westberlinerinnen mit jeweils einem spanischen beziehungsweise türkischen Elternteil, Bald zog aus dem Sauerland her. Der ortsfremde Blick und die Sicht echter Berlinerinnen "mit Migrationshintergrund" vermischen sich. Ideal, um Klischees zu vermeiden, finden sie.

Laubenpieper, Texte über Rapper und eine türkische Hochzeit - ist das nicht auch ein bisschen Klischee? "Nein", widerspricht Bald. "Wir zeigen den harten Typen inmitten seiner Familie, die Rapperin ist eine gläubige Muslima, und den Dönerspieß inszenieren wir mit einer schönen Frau." Wedding ist für sie kein extraschmuddeliges Setting für schicke Fotos, sondern ein ernsthaftes Anliegen. Auch wenn die drei mit Lockenwicklern im Haar, einem geschlachteten Lamm im Arm und spektakulärem Make-up ein echter Hingucker sind: "Wir inszenieren nicht uns, sondern den Ort", stellt Bald klar. "Wir setzen uns da rein, um den Ort zu brechen, seine Skurrilität, seine Symmetrie und seine Schönheit sichtbar zu machen."

Das Heft, das neben Bildern auch Texte unter anderem von taz-Autorin Waltraud Schwab und Dummy-Herausgeber Oliver Gehrs enthält, kommt bei den Weddingern ausgesprochen gut an - auch wenn sie bisher nur Ausschnitte kennen. Häufig kamen Nachbarn und Passanten in die Galerie, wo mit einer Ausstellung das neue Heft gefeiert wird. "Wann ist es denn so weit?", fragten sie, und: "Braucht ihr was?"

Alle Bezirke abklappern

Ein bisschen werden sie Wedding schon vermissen, sagen die drei Frauen. Aber der nächste Kiez wartet schon auf seine Entdeckung: Bald wird das Magazin nach Charlottenburg ziehen. Die Magazinmacherinnen haben sich vorgenommen, nach und nach alle Bezirke zu porträtieren. Und zwar alle 23, die es vor der Bezirksreform 2001 noch gab.

Damit sie nicht mit dem Projekt alt werden, wollen die drei den Produktionsrhythmus beschleunigen. "Wir werden Leute einstellen müssen", sagt Rotthoff. Es klingt wie ein Zugeständnis. Bisher bestimmten sie alles selbst, verzichteten weitgehend auf Anzeigen und diskutierten über jedes Foto, jeden Text, jede Spaltenbreite. Ein Luxus, schon bei einer Auflage von 5.000 Stück. Die Professionalisierung soll aber nicht auf Kosten des Bezirks gehen. Unter einem halben Jahr Kiezrecherche läuft nichts, darin sind sie sich einig.

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