Kommentar Bürgerbewegung: Der Reifetest

So viel Basisdemokratie gab es lange nicht. Doch ob Demokratie funktioniert, hängt nicht nur vom Engagement des Volkes ab - auch von der Akzeptanz des Engagements durch die Eliten.

"Demokratie ist die schlechteste Regierungsform - außer all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind." Diese Einschätzung soll Winston Churchill vor 60 Jahren abgegeben haben. 60 Jahre später hätte Winston Churchill seine helle Freude: Plötzlich werden alte basisdemokratische Grundrechte wiederentdeckt. In Mainz beteiligen sich zehn Prozent aller Einwohner am Genehmigungsverfahren gegen ein dort geplantes Kohlekraftwerk. In Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg laufen Volksbegehren gegen den Braunkohletagebau. Im Saarland verhinderten Bürger ein Kohlekraftwerk. In Hamburg war gerade eine Volkspetition gegen das dortige Kohleprojekt Moorburg erfolgreich. So viel Basisdemokratie war lange nicht.

Die deutschen Demokraten müssten also jubeln. Augenscheinlich aber ist den Berufs-Demokraten Volkes Meinung völlig schnuppe. So will sich zwar die CDU in Hamburg für vier weitere Jahre legitimieren lassen. Dazwischen aber möge sich der Demos bitte schön raushalten. 12.000 Hamburger hatten sich im September gegen den Kraftwerksbau Moorburg ausgesprochen. Trotzdem genehmigte im November der oberste Demokrat der Hansestadt die Vattenfall-Pläne.

So wie die Regierenden ein Demokratie-Problem haben, so muss auch das Volk erst nachweisen, mit seinen neu entdeckten Rechten etwas anfangen zu können. Als in Dresden der Volksentscheid zum Bau der Waldschlösschen-Brücke anstand, gingen nur ein Zehntel so viele Dresdner an die Urne als später auf die Straße - gegen das Ergebnis der demokratischen Entscheidung.

In Berlin gibt es nun Gelegenheit, die demokratische Reife abzulesen: Gestern endete das Volksbegehren zum Weiterbetrieb des Flughafens Tempelhof. Ein erster Schritt zu direkter Demokratie, jetzt sind die Berliner im Volksentscheid gefragt. Das Ergebnis wird interessant: Ob Demokratie als Regierungsform funktioniert, hängt nämlich einerseits vom Engagement des Volkes ab. Und andererseits von der Akzeptanz dieses Engagements durch die politischen Eliten.

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Seit 1998 bei der taz (mit Unterbrechungen), zunächst als Korrespondent in Dresden, dann als Wirtschaftsredakteur mit Schwerpunkt Energie, Klima und Landwirtschaft, heute Autor im Zukunftsressort.

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