Bayern gegen TSV 1860: Zwergenaufstand kompakt
Beim dramatischen 1:0-Erfolg der Bayern im Pokal-Viertelfinale werden die Machtverhältnisse im Münchner Fußball erst spät, aber eindrücklich wieder geradegerückt.
MÜNCHEN taz Es war ein langer Abend. 120 Minuten durften sie wieder einmal mitspielen bei den Großen des Fußballgeschäfts. Das Derby Rot gegen Blau im Viertelfinale des DFB-Pokals hat dem kleinen Münchner Klub ganz kurz ein wenig groß gemacht. Am Sonntag spielen die paar gestandenen Profis und die engagierten Jungs, die derzeit die erste Mannschaft des TSV 1860 München bilden, gegen Alemannia Aachen in der zweiten Liga um Punkte. Stadtgespräch wird das Spiel nicht werden, da kann es noch so dramatisch verlaufen. Ganz klein werden sie wieder sein die 60er, arm und bedeutungslos für alle, die sich ihren Löwen nicht mit Haut und Haar verschrieben haben. Drei Tage war der TSV ein Thema in der Stadt. Jetzt ist München wieder normal.
Es waren die Bayern, ihre Fans und ein Schiedsrichter aus Bremen, die das Derby heiß gemacht haben, zu einem echten Pokalfight, den am Ende - wie kann es anders sein - vor allem die faszinierend gefunden haben, die ihn für sich entscheiden konnten. Uli Hoeneß war besonders gut aufgelegt nach dem Aufrücken seiner Bayern ins Halbfinale. Ob der Elfmeter in der letzten Minute der Nachspielzeit vielleicht nicht ganz berechtigt war, weil ein völlig übermotivierter Chhunly Papenburg den heraneilenden Miroslaw Klose eventuell vor der Strafraumgrenze dummbrutalst in die Parade gefahren ist, damit wollte sich Hoeneß nicht weiter beschäftigen. Für ihn war der Sieg verdient ("Wir hatten die klareren Chancen"). Sauer sei er nicht auf die Mannschaft, weil sie die Entscheidung nicht früher erzwungen hat. Nach der Halbzeitpause hätten die Bayern ganz ordentlich gespielt: "Das war schon in Ordnung."
Und dann wurde das Grinsen in Hoeneß wie immer hochroten Gesicht besonders breit. Er wurde auf die Aktion der Bayern-Anhänger angesprochen, die zwei Nächte vor dem Derby die Westkurve des Stadions an der Grünwalder Straße, die 60er-Kurve, "das Letzte, was den Löwen noch geblieben ist" (Abendzeitung), rot-weiß angestrichen haben. "Die Idee hätte von mir sein können", sagte Hoeneß und wurde vom Manager der Bayern mal ebenso zum Ultra. Gegen die anonymen Künstler wird ermittelt wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch.
Als solchen hätten die Bayern auch einen Sieg des TSV in der Fröttmaninger Arena empfunden. Dass der nur in einem Elfmeterschießen hätte zustande kommen können, war spätestens nach der verletzungsbedingten Auswechslung von Daniel Bierofka (66.) klar. Er war der einzige Blaue, der sich regelmäßig durchsetzen konnte, dessen Passspiel in die Offensive wenigstens ab und an als präzise bezeichnet werden konnte. Gefährlich waren sie nicht, die Löwen. Sie standen gut, wurden nach dem Spiel vom Gegner (Hitzfeld, Lahm, Kahn) gelobt, weil sie so "kompakt" gewesen seien. Doch mitspielen konnten sie nicht. Die erste Hälfte war vor allem deshalb so ausgeglichen, weil auch die Bayern nicht viel mehr taten, als kompakt zu stehen.
Als die Roten nach der Pause mit Franck Ribéry statt dem hundsmiserablen Altintop endlich zu spielen begannen, wurde deutlich: Die Blauen sind eben doch eine Klasse schlechter als die Bayern. Und weil die Roten bis zum finalen Elfmeter in der finalen Minute aus eigentlich unerfindlichen Gründen nicht getroffen haben, dürfen die 60er nun das Lied der ganz besonders bitteren Niederlage singen: "Das tut weh." (Torben Hoffman)
"Mutig" nannte 60er Trainer Marco Kurz die Elfmeterentscheidung von Peter Gagelmann, und sein Gesicht konnte doch nicht verbergen, dass er sich ungerecht behandelt fühlte. Nun stehen die Blauen also wieder so da, wie man sie kennt in den letzten Jahren: mit leeren Händen. Die erste Liga scheint vorerst unerreichbar. Das Fröttmaninger Stadion war zu teuer für die klammen Löwen. Sie mussten ihre Anteile an die Bayern verkaufen und sind nur noch Mieter in der neuen Heimat. Die alte Heimat ist rot-weiß getüncht. Und der Traum vom Pokalwunder, er ist ausgeträumt.
Die Spieler der Bayern dagegen haben sich über den Sieg derart gefreut wie schon lange nicht mehr über einen Erfolg. Der gute Philipp Lahm, der einzige Münchner, der für die Roten am Ball war, freute sich deswegen so sehr, "weil wir nach dem Platzverweis für Luca Toni gezeigt haben, dass wir eine Mannschaft sind". Hört, hört: Seit der 84. Minute des 204. Münchner Lokalderbys, als Schiri Gagelmann dem dauerrempelnden "Scheißitaliener" (60er-Kurve) die Gelb-Rote Karte gezeigt hat, ist die teure Sportgruppe von der Säbener Straße endlich eine Mannschaft. Obs wirklich stimmt, zeigt sich am Samstag. Da spielt Bayern auf Schalke.
Die Bayern dürfen schon wieder ein großes Spiel spielen, können schon wieder von sich reden machen. Gegen wen spielt 60 am Sonntag noch mal?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Trumps Krieg gegen die Forschung
Byebye Wissenschaftsfreiheit
Altvordere sollen Linke retten
Hoffen auf die „Silberlocken“
Menschenrechtsverletzungen durch Israel
„So kann man Terror nicht bekämpfen“
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten