Regierungskrise in Ungarn: Steile Fieberkurve in Budapest

Ein Referendum über Gesundheits- und Studiengebühren in Ungarn am Sonntag könnte zu Neuwahlen und Machtwechsel führen. Die rechte Opposition macht schon mobil.

Schon seit Monaten wird in Budapest gegen die geplante Gesundheitsreform demonstriert. Bild: dpa

WIEN taz Den Todesstoß für Ungarns sozialliberale Regierung von Premier Ferenc Gyurcsány verspricht sich Oppositionsführer Viktor Orbán von einem Refendum am Sonntag. Es geht um die Bestätigung der Gesundheits- und Studiengebühren, die letztes Jahr eingeführt wurden. Angesichts der geringen Popularität dieser Abgaben ist am Ausgang der Volksabstimmung nicht zu zweifeln.

Die Gültigkeit einer Volksabstimmung hängt allerdings von der Beteiligung ab. Wenn nicht mindestens ein Viertel der Wahlberechtigten zur Urne schreitet, ist das Ergebnis hinfällig. Das ist in den vergangenen Jahren bei mehreren Referenden in Ungarn passiert. Allerdings haben in Umfragen 46 bis 54 Prozent angekündigt, sie wollten abstimmen. Gyurcsány und seine sozialdemokratische MSZP werben daher weniger für ein Ja zu den Gebühren als für die Stimmenthaltung.

Mit einer Praxisgebühr von umgerechnet 1,20 Euro pro Arztbesuch und Studiengebühren von rund 85 Euro ab dem nächsten Wintersemester will die Regierung das schwer defizitäre Gesundheitssystem und die staatlichen Universitäten sanieren. Immerhin etwa 80 Millionen Euro wurden in einem Jahr in die Kassen der Ärzte und Spitäler gespült. Doch obwohl ungarische Patienten regelmäßig mit viel höheren "Dankgeldern" beim Gesundheitspersonal bessere oder schnellere Behandlung erwirken wollen, sträuben sie sich vehement gegen verordnete Zuzahlungen.

Premier Gyurcsány weiß, dass er beim Referendum nicht viel zu gewinnen hat, und versucht, sein Kabinett für die erwartete Regierungskrise fit zu machen. So ersetzte er im Februar Justizminister Albert Takács durch seinen Vertrauten Tibor Draskovics. Den hatte er schon einmal als Finanzminister gefeuert. Der Regierungschef begründete den überraschenden Wechsel mit der Notwendigkeit, einen starken Mann an seiner Seite zu haben, damit sich Ausrutscher bei der Bewahrung der öffentlichen Ordnung nicht wiederholen. Bei gewalttätigen Demonstrationen in den letzten Jahren hatte die Polizei teils zu spät, teils mit exzessiver Gewalt reagiert.

Neue Demonstrationen könnten demnächst ins Haus stehen. Es wird befürchtet, dass die Opposition den Staatsfeiertag am 15. März nach einem für sie erfolgreichen Referendum nutzen könnte, um eine landesweite Protestbewegung ins Leben zu rufen. Viktor Orbán, Chef der rechtspopulistischen Jungen Bürgerunion Fidesz, bestreitet derartige Absichten. Er schließt aber nicht aus, dass eine Schlappe bei der Volksabstimmung innerhalb der sozialdemokratischen MSZP zu einer Revolte führen könnte.

Orbán, den die Regierung für die Ausschreitungen rechtsextremer Demonstranten in den letzten anderthalb Jahren mitverantwortlich macht, versucht jeden Eindruck zu vermeiden, er rufe zur Gewalt auf. In einem Gespräch mit der Auslandspresse erklärte er das Ziel des Referendums folgendermaßen: "Viele, die meinen, Demokratie bedeute lediglich einen Urnengang alle vier Jahre, sollen sehen: Das Volk hat die Macht, Beschlüsse der Regierung rückgängig zu machen."

Und die Opposition hofft auch auf Neuwahlen. Denn während sich die Fidesz nach jüngsten Umfragen bei einer Wahl 35 bis 39 Prozent ausrechnen könnte, dürfte die MSZP mit 17 Prozent rechnen. Ihr kleiner Koalitionspartner, die liberale SZDSZ, die mit Ágnes Horváth die unpopuläre Gesundheitsministerin stellt, würde gar an der Fünfprozenthürde scheitern.

RALF LEONHARD

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