die wahrheit: Mein Vater Homer Simpson

Der Nachbar war zurück aus dem Urlaub. Braun gebrannt, aber auch ein wenig missmutig stand er im Treppenhaus. Florida sei langweilig gewesen, murrte er...

Der Nachbar war zurück aus dem Urlaub. Braun gebrannt, aber auch ein wenig missmutig stand er im Treppenhaus. Florida sei langweilig gewesen, murrte er. In jedem italienischen Kaff wäre mehr los. Kommt drauf an, erwiderte ich. Florida kann auch anders sein. Jedenfalls wenn mein Vater dort Urlaub macht.

Zu viert hatten sie ein Traumhaus gemietet. In einem Deltaarm. Mit eigenem Bootssteg. Der Strand lag nur einen Kilometer entfernt. Also morgens hurtig in die Shorts und Adiletten geschlüpft, das Hawaii-Hemd übergestreift, ein paar Utensilien zusammengeklaubt - und ab mit dem Wagen zum Beach. Nur kurz noch angehalten an der Shopping Mall, um Getränke zu besorgen. Das würde schnell gehen. Oder auch nicht …

Sanft öffneten sich die Automatiktüren zum Einkaufsparadies, als plötzlich ein sagenhafter Krach losbrach und ein Mann in einem grellen Anzug auf die vier zustürzte. In seinem Gefolge hatte er ein Kamerateam des Lokalsenders, einige Cheerleader und die Blaskapelle der örtlichen High School: "Florida begrüßt den einmillionsten Urlauber."

Die vier in ihren Adiletten, Shorts und Hawaii-Hemden standen dem amerikanischen Angriff der guten Laune etwas verloren gegenüber. Wahrscheinlich hätte sich an dieser Stelle nur ein einziger Mensch über die Ehrung gefreut, doch der ist gar kein Mensch, sondern eine Comic-Figur: Homer Simpson hätte sicher alles begeistert durchgestanden. Mein Vater gab erst einmal die Devise aus: "Das ist gleich vorbei." Da hatte er sich aber gehörig getäuscht. Denn der Herr im grellen Anzug war der Bürgermeister des gastfreundlichen Ortes, und dort tobte gerade ein Wahlkampf.

Der Bürgermeister zahnte in die Kamera, während er überschwänglich Hände schüttelte. Dann gab er einem Mitarbeiter einen leisen Wink und ein pinkfarbener Cadillac fuhr vor. Der Bürgermeister bugsierte die vier in das offene Schlachtschiff, platzierte eine der beiden Damen zwischen sich und den Fahrer und verkündete stolz, dass der einmillionste Floridabesucher nun die Stadt besichtigen dürfte. Doch zuvor bot er noch eine echte Überraschung auf: Aus der inzwischen großen Menge Zuschauer löste sich eine verwitterte alte Indianersquaw, die auf den Kofferraum des Cadillacs krabbelte. Dort sitzend, griff sie in die Saiten einer Klampfe.

Die Squaw war in Wirklichkeit der Countrysänger Willie Nelson, den der Bürgermeister zur Feier des Tages verpflichtet hatte. Langsam setzte sich der Tross in Bewegung: der Cadillac, der Wahlkampfbus des Bürgermeisters, die Cheerleader, die Blaskapelle sowie zuletzt der Wagen des Sheriffs. In den höllischen Lärm aus Wahlkampfparolen und Big-Band-Märschen hinein krächzte Willie Nelson stoisch seine traurigen Songs: "Country Road, Country Road …"

Als allerletztes Geschenk gab es später eine Videokassette des Lokalsenders mit dem Bericht über das Großereignis. Zu bewundern ist darin auch, wie die vier in ihren Adiletten, Shorts und Hawaii-Hemden die Feuerwehrstation und den blitzblanken Einsatzwagen besichtigen. Mit dem Feuerwehrhelm auf dem Kopf sieht mein Vater aus wie der gelbe Comic-Held Homer Simpson höchstpersönlich.

Auch so kann Florida sein.

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